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Heiliger Zorn in der Heiligen Stadt

Eigentlich sollte der Sabbat ein Ruhetag sein in Jerusalem. Doch in den vergangenen Wochen waren die Sabbate in der Heiligen Stadt sehr unruhig. Zehntausende von schwarz gekleideten ultraorthodoxen Juden hatten sich zu Massengebeten versammelt. In zornigen Demonstrationen machten sie ihrem Unmut über den säkularen Bürgermeister Nir Barkat im Besonderen und das unzüchtig-gottlose Israel im Allgemeinen Luft.

Orthodoxe Juden glauben, dass am Sabbat jegliche Arbeit verboten ist, auch das Autofahren. Deshalb wurden vorbeifahrende Autos und Polizisten, die gegen die Demonstranten vorgingen, mit Steinen, Flaschen, verfaultem Obst und Gemüse sowie schmutzigen Windeln beworfen. Medienvertreter wurden angeschrien, bedroht und bespuckt, weil auch sie durch Filmen oder Fotografieren den Sabbat schänden.

Mit Einbruch der Dunkelheit und dem Ende des Sabbats setzten die Ultraorthodoxen Müllcontainer in Brand, zerschlugen Verkehrsampeln und lieferten sich ausgereifte Straßenschlachten mit den Ordnungskräften Jerusalems. Die Polizei ging mit Reitern und Wasserwerfern gegen die Demonstranten vor. Dutzende Menschen auf beiden Seiten wurden verletzt und eine ganze Reihe von frommen Juden verhaftet.

Demonstrationen gegen Öffnung von Parkhaus am Sabbat

Auslöser der Unruhen war Ende Juni ein Beschluss des Bürgermeisters, städtische Parkhäuser im Umfeld der Altstadt am Sabbat zu öffnen. Die Polizei unterstützte die Öffnung der Parkhäuser, weil das wilde Parken an den Feiertagen „unerträglich“ geworden sei. Nichtreligiöse Israelis riefen zu Gegendemonstrationen auf, weil sie sich die religiösen Vorstellungen ihrer Landsleute nicht so einfach aufzwingen lassen wollen und überhaupt eine große Angst davor haben, dass Jerusalem ausschließlich zur Stadt der Ultraorthodoxen und Araber wird.

Mitte Juli erlebten die Unruhen dann eine Neuauflage, als die Polizei eine ultraorthodoxe Mutter verhaftete, der vorgeworfen wird, eines ihrer Kinder ausgehungert zu haben. Versteckte Kameras offenbarten, warum das Kind trotz künstlicher Ernährung weiter abnahm: Die Mutter zog die Schläuche heraus und verabreichte irgendwelche unbekannte Substanzen, die zu Erbrechen führten. Ein Sprecher des Hadassah-Krankenhauses erklärte, die Frau leide an dem so genannten „Münchhausen-Syndrom“, das heißt, sie suche Aufmerksamkeit, indem sie ihr eigenes Kind krankenhausreif mache. Nächtelang brannten in den Jerusalemer Stadtvierteln, die von Ultraorthodoxen bewohnt werden, Mülltonnen und Autoreifen aus Protest gegen das Eingreifen der Behörden. Die Straßen glichen Schlachtfeldern.

Doch Insider, die aus dem nach außen nahezu hermetisch abgeriegelten ultraorthodoxen Milieu stammen, sind sich darin einig, dass sowohl die Parkplatzöffnung als auch die Verhaftung der schon wieder im fünften Monat schwangeren Münchhausen-Syndrom-Mutter nur Auslöser waren. „Da war seit langem ein Vulkan am Brodeln“, erklärt Rabbi Ja´akov Julus, der selbst im ultraorthodoxen Viertel Mea Schearim aufgewachsen ist. Sein Großvater war einer der Gründer der „Neturei Karta“, die den harten Kern der unbeugsamen Frommen stellen. „Die Parkplatzfrage und die Verhaftung der Frau waren nur der Funke, der die Explosion ausgelöst.“

Vorfahren kamen, um Gebote zu erfüllen

Im 19. Jahrhundert waren die Vorfahren dieser Ultraorthodoxen aus Europa ins Heilige Land eingewandert. „Mit dreihundert Glaubensgenossen kam mein Großvater aus dem ‚Oiberland‘ der österreichisch-ungarischen Monarchie in das von den Osmanen verwaltete Palästina“, erzählt Rabbi Jolus. Durch ihre Anwesenheit im Verheißenen Land wollten sie noch besser die Gebote der Heiligen Schrift erfüllen, um so das Kommen des Messias und die Erlösung der Welt zu beschleunigen. Viele Gebote der Torah kann man überhaupt nur in „Eretz Jisrael“, dem Land Israel, erfüllen.

Penibel achten sie darauf, dass die Torah gehalten wird. Der aramäische Name „Neturei Karta“ bedeutet „Wächter der Mauern“. Alles, was von Außen kommt, betrachten sie als feindlich und als Gefahr für die junge Generation. „Als wir Nationalreligiösen gegen die Homosexuellenparade demonstriert haben“, erzählt der orthodoxe Rabbi, „haben sich die Haredim – so werden die Ultraorthodoxen in Israel genannt – nicht daran beteiligt, weil sie befürchten, dass ihre Kinder dadurch schlechten Einflüssen ausgesetzt werden.“ Große Schilder fordern Besucher in den ultraorthodoxen Vierteln auf, sich züchtig zu kleiden. „Ganz praktisch wollen sie die geistliche Mauer zwischen dem rechtgläubigen Judentum und den Abgefallenen, der Außenwelt, aufrechterhalten“, erklärt Reb Jenkele, wie er auf Jiddisch genannt wird, und fällt dabei selbst immer wieder in seine dem Mittelhochdeutschen verwandte Muttersprache: „Die haben Angst davor, dass die Säkularen diese geistliche Mauer zerstören könnten.“

Den säkularen Zionismus verachten, ja bekämpfen sie. Jehuda Meschi-Sahav war einer der organisatorisch begabten Rädelsführer ultraorthodoxer Demonstrationen gegen das System und die Werte des modernen Staates Israel. „Ohne uns wären die Straßen unserer Viertel bis heute am Sabbat für den Verkehr geöffnet“, lächelt der Mann, dessen Gesicht von grauen Schläfenlocken und einem schütteren Bart umrahmt ist, verschmitzt und spürbar stolz. „Wir haben die Stadtverwaltung in den vergangenen Jahrzehnten dazu gezwungen, die Straßen in den orthodoxen Vierteln Jerusalems an den jüdischen Feiertagen für den Verkehr zu schließen.“ Wenn ganz Israel einmal wirklich den Sabbat hält, so denken die Haredim, dann kommt der Messias.

Gegen säkularen Staat Israel

Aus seinem Erzählen wird schnell klar, dass „die Zionisten“ aus Sicht dieser ultraorthodoxen Glaubenseiferer schlimmere Feinde sind als „die Gojim“, die Nichtjuden. Auch wenn sie ganz offensichtlich sehr gut gelernt haben, mit dem modernen jüdischen Staat Israel auszukommen und ihn vor allem für ihre Zwecke auszunutzen, lehnen diese frommen Juden dessen Existenz doch im Grunde als eine gotteslästerliche Vorwegnahme dessen ab, was erst der Messias mit seinem Reich aufrichten darf. Die Herrschaft des erwarteten Messias ist die einzig legitime politische jüdische Herrschaft über das gelobte Land.

Plakate im Ultraorthodoxen-Viertel Mea Schearim verkünden: „Zionisten sind keine Juden!“ und: „Juden sind keine Zionisten!“ Oder auch: „Zionismus und seine Kollaborateure raus!“ Das ist allerdings kein Widerspruch dazu, dass auch diese Juden das von Gott erwählte Land lieben und alles dafür zu geben bereit sind. „Eretz Jisrael ist untrennbar mit der Bibel verbunden“, erklärt Rabbi Jolus den Glauben seiner Vorfahren. „Wer die Torah nicht hält, hat kein Recht, in diesem Land zu leben. Wer das Land Israel verunreinigt, zerreißt die Torah. Wenn jetzt etwa in der Jaffa-Straße Bars und Pubs eröffnet werden, ist das ein Gräuel für die Haredim. Sie haben Angst, dass Jerusalem zu einem Sündenpfuhl wie Tel Aviv wird.“

Jehuda Meschi-Sahav bedauert, dass Brücken, die in den vergangenen Jahren zwischen Säkularen und Ultraorthodoxen gewachsen waren, innerhalb kürzester Zeit „abgebrannt“ wurden. Die Einwohner Jerusalems stehen vor einem Scherbenhaufen. Der Polizei bleibt jetzt nur noch die Beweisaufnahme. Die Gerichtsverfahren gegen die Hooligans werden Monate, vielleicht sogar Jahre dauern. Der Millionenschaden, der an der städtischen Infrastruktur entstanden ist, wird relativ schnell behoben sein. Der tiefe Riss zwischen Torahgläubigen und Nicht-ganz-so-Frommen wird nur langsam wieder zuwachsen. Und das Image der „Gewaltbereitschaft“ wird den schwarz gekleideten, bärtigen und so fremd wirkenden Menschen noch lange anhaften.

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