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„Hier lässt es sich einfach leben“

Berlin ist weltoffen, multikulturell, manchmal etwas schroff und laut. Viele Menschen erliegen dem Charme der Stadt. Darunter sind auch Israelis. Während Juden aus aller Welt in das Land ihrer Vorfahren zurückkehren, zieht es vor allem junge Israelis zu Tausenden in die deutsche Hauptstadt.
Der Israeli Amir Yazkan fühlt sich in Berlin zu Hause
Das Restaurant „Hummus & Friends“ liegt in der Oranienburger Straße in Berlin-Mitte, nur einen Steinwurf von der Neuen Synagoge entfernt. Die israelischen Brüder Eran und Amir Yazkan servieren dort und im angrenzenden Innenhof koschere Küche und Weine. Der Duft orientalischer Gewürze und entspannende Lounge-Klänge ziehen Gäste von der belebten Straße in eine Oase der Ruhe und des Genusses. Vor fünf Jahren hat Amir Yazkan seinen Lebensmittelpunkt nach Deutschland verlegt. Aus Tel Aviv zog er mit seinem Bruder Eran nach Berlin. Sie hatten eine Ausschreibung gewonnen und wollten am neuen Berliner Flughafen ein Restaurant eröffnen. Darauf warten die zwei Brüder bis heute. Der angekündigte Eröffnungstermin des Flughafens wurde zwei Wochen vorher abgesagt. Seit Jahren warten sie nun darauf, mit ihrer Millionen-Investition zu beginnen.

Flaggschiff in Berlin

Die Brüder machten aus der Not eine Tugend. Gemeinsam entwickelten sie das neue Restaurant-Konzept „Hummus & Friends“. Mit vegetarischen, koscheren Hummus-Gerichten können sich Gäste gesund, bewusst und „entschleunigt“ ernähren. Seit 2014 ist Amir zudem ins Immobiliengeschäft in der deutschen Hauptstadt eingestiegen. Der 45-Jährige und seine Vorfahren stammen aus Jerusalem und waren fest in der israelischen Hauptstadt verwurzelt. Als Kind lebte er in der Nähe des Mahane-Jehuda-Marktes. Für seinen Militärdienst ist er dann nach Tel Aviv gezogen und dort geblieben. Ein Teil von Amirs Familie lebt noch immer in Jerusalem, der andere ist nach Tel Aviv gezogen. Nach Deutschland sind die Brüder gekommen, um zu bleiben – auch wenn das nicht von Anfang an so geplant und viel Glück dabei war. Bei seiner ersten Deutschlandreise war Amir in München. 2006 besuchte er mit einem Freund, der in Deutschland geboren wurde, erstmals Berlin. Eigentlich hatte sich der Israeli vorgenommen, nach Moskau zu gehen, um dort etwas aufzubauen. Doch dann erhielt er 2009 einen Anruf vom Management des neuen Berliner Flughafen. Sie wollten von ihm wissen, warum er seine E-Mails nicht beantworte. Er hatte zwischenzeitlich seine Mail-Adresse geändert. „Wollen Sie sich nicht an der Ausschreibung im neuen Flughafen beteiligen? Das wird eine große Sache“, fragte die Stimme am anderen Ende des Apparates. Amir wollte, denn er hielt Berlin für den besseren Standort, um sein neues Restaurant-Konzept für den europäischen Markt zu entwickeln. Er gewann die Ausschreibung um den Gastronomiebereich unter rund 600 Bewerbern, erhielt einen Vertrag über zehn Jahre. „Ich habe mir Berlin nicht ausgesucht – Berlin hat mich ausgesucht“, sagt Amir und lächelt. Doch der Hickhack rund um den Flughafen regt den 45-Jährigen auf. „Ich bin nicht nach Berlin gekommen, um mit den Betreibern des Flughafens oder der Stadt Prozesse zu führen. Ich möchte einfach mein Geschäft machen.“ Ursprünglich wollten sie am Flughafen 50 Personen beschäftigten, deren Verträge waren schon unterschriftsreif. „Wir wollten dort ein gastronomisches Flaggschiff aufziehen“, macht Amir deutlich.

Angetan vom Standort Berlin

Ohne Netzwerke und familiären Rückhalt baut er jetzt sein neues Geschäft auf. „Wir haben uns entschieden, hier zu bleiben und es zu überstehen. Das sind wir Israelis gewohnt.“ Mit den Betreibern haben sie sich friedlich geeinigt und dann die neue Geschäftsidee entwickelt. Für die Entscheidung, zu bleiben, sprach letztlich wohl auch der Standort Berlin: Die Stadt ist hipp für viele Israelis. Für Amir sprechen etliche Gründe für die deutsche Hauptstadt. „Entwickler und Geschäftsleute haben viele Möglichkeiten, in der Stadt ein Geschäft zu etablieren. Die Stadt entwickelt sich rasant schnell. Jedes Jahr gibt es neue Chancen, seine Marktlücke in der Stadt zu finden.“ Yazkan nennt noch einen weiteren Grund: „In Berlin kann man schlicht leicht und einfach leben. In Israel ist das Gegenteil der Fall. Das liegt an der politischen und ökonomischen Lage des Landes.“ Der Geschäftsmann rechnet vor, dass man in Tel Aviv doppelt so viel verdienen müsste wie in Deutschland, um über die Runden zu kommen: „Es ist sehr anstrengend und hart, das kann und möchte nicht jeder leisten.“ Amir ist seit einiger Zeit auch in der Immobilienbranche tätig. Er sollte für einen Bekannten Flächen in Potsdam erschließen. Die Nationalsozialisten hatten der Familie die Grundstücke weggenommen. Die Familie kämpfte darum, die Liegenschaften wieder zu erhalten: „Mit 90 Jahren sah sich der Bekannte nicht mehr in der Lage, sich darum zu kümmern.“ Amir übernahm die Aufgabe, während sein Bruder die Restaurants leitet.

Unternehmensgründung in Deutschland einfacher

Nicht nur Berlin schätzt Amir, sondern auch Deutschland als Land. Er mag die zuverlässige Struktur und Organisation: „In Israel ist manchmal schwer zu verstehen, wie das System funktioniert. Da müssen einfach Dinge geändert werden.“ Entsprechend hält er es in Deutschland für einfacher, ein Unternehmen zu gründen. Natürlich gelte es, den richtigen Investor zur richtigen Zeit zu finden. „Du hast hier mehr Raum, um dich und dein Geschäft zu entwickeln.“ Die Deutschen könnten von den Israelis jedoch lernen, andere Wege als die üblichen einzuschlagen: „Einmal außerhalb des Üblichen zu denken. ‚Out of the box‘. Hier wird oft gedacht wie in einer Maschine.“ Die Bürokratie sei stärker als das Individuum. Mit Antisemitismus ist er in der Bundeshauptstadt bislang nur unterschwellig in Berührung gekommen. Persönlich hat er noch keine Anfeindung erlebt. „Eine solche Gesinnung habe ich schon wahrgenommen, aber persönlich betroffen war ich bislang nicht.“ Kritisch sieht Amir die Flüchtlingsbewegung in Deutschland. Israel habe seit seiner Gründung Menschen mit unterschiedlichen kulturellen Hintergründen gut integriert. Seine deutschen Freunde seien der Meinung, dass es gelingt, die Flüchtlinge an die deutsche Kultur und die Demokratie heranzuführen. Yazkan ist da skeptisch: „Jede Kultur sollte in ihrem Land beibehalten werden, weil es schwierig ist, eine andere Kultur zu integrieren.“ Die Gastarbeiter aus der Türkei hätten es beispielsweise nicht geschafft, die türkische Kultur hier zu verankern oder zu integrieren: „Man muss sehen, dass viele das Land schlicht ausnutzen.“

Deutschland sollte vor Ort helfen

Der Israeli ist dafür, dass der Staat den Menschen hilft. Dabei unterscheidet er, ob die Menschen kommen, um zu investieren oder nicht. So fragt er sich, warum man den Menschen nicht vor Ort hilft: „Deutschland sollte den Menschen in ihrer Heimat helfen. Der große Teil der Menschen wird nie Teil der Kultur werden“, sagt Yazkan und verweist auf die Gastarbeiter, die vor 30 oder 40 Jahren nach Deutschland gekommen sind: „Die Menschen kommen zum Teil aus einer anderen Welt, aus einer anderen Atmosphäre. Man kann sie nicht einfach hierherbringen.“ Eine ähnliche Wahrnehmung hat er bei den Israelis: „Die meisten von ihnen passen nicht wirklich in das System und die Kultur hier. Einige strengen sich an und möchten sich integrieren, aber das sind bei Weitem nicht alle. Viele leben in einer Art Blase, haben ihre eigenen Webseiten, Zeitungen, ihre eigene Gemeinschaft. Sie bleiben als Israelis hier.“ Viele der Angestellten in der Gastronomie wollen einfach ihren Job machen und sich sonst nur um ihre Aufgaben kümmern. Für Amir selbst spielen Religion, Kultur oder Herkunft keine Rolle bei der Auswahl seines Personals: „Es geht um die Fähigkeiten und die Einstellung.“ Die Angestellten kommen aus zehn verschiedenen Ländern. Häufig entscheide das Bauchgefühl. Natürlich werde man in eine bestimmte Kultur und Denkweise hineingeboren. Es brauche auch oft Zeit, um diese Gewohnheiten zu ändern. Yazkan macht dies an einem Beispiel deutlich: „Ich habe Freunde aus dem Ost-Teil der Stadt. Sie denken heute noch anders als die Freunde aus dem West-Teil.“ Obwohl der Fall der Mauer 25 Jahre zurückliege, seien die Denkweisen geblieben. Amir selbst möchte irgendwann gerne eine Familie gründen. „Früher haben die Israelis jünger geheiratet, weil sie in jungen Jahren schon sehr viel Lebenserfahrung hatten. Heute warten die Menschen länger“, beobachtet er. Die israelischen Frauen wünschten sich Kinder: „Ich denke, das kann man jetzt auch wieder in Deutschland spüren.“ Die Politik habe geholfen, dass dies wieder der Fall ist. Für Politik in Israel interessiert sich Amir eigentlich nicht: „Die Themen in den Nachrichten und Newslettern sind mehr oder weniger dieselben, wie vor zehn Jahren.“

Wachsender Einfluss der Muslime beängstigend

Von Deutschland und Europa erwartet Amir Ehrlichkeit im Umgang mit dem Friedensprozess im Nahen Osten. „Mittlerweile kann man in Europa auch sehen, wer für den Terror verantwortlich ist. Es sind die gleichen Personen, die den Terror nach Europa gebracht haben.“ Angst hat der Israeli vor dem wachsenden Einfluss der Muslime in Europa. Aus dem Nahen Osten fließe viel Geld nach Europa und Deutschland: „Sie werden bald das Sagen in Europa haben, wenn ihnen nicht Einhalt geboten wird.“ Amir möchte noch einige Jahre in Berlin bleiben. Ob er seinen Lebensabend auch hier verbringt, weiß er jetzt noch nicht. In der aktuellen Situation hätte Berlin gute Chancen. Doch er weiß: Ein typischer Deutscher wird er nie werden. „Die Deutschen sind viel entspannter als die Israelis, weil dort alles durch Sicherheit geprägt ist.“ Zudem gibt es Dinge, die er hier vermisst: den Strand, das schöne, warme Wetter und die alten Freunde. Deswegen reist er auch regelmäßig nach Israel, um Freunde und Familie zu besuchen: „Wenn Sie mich fragen, wo ich daheim bin: Hier in Berlin bin ich zuhause.“

Israelis in Berlin

Die Zahlenangaben zu in Berlin lebenden Israelis schwanken stark. Von 17.000 bis 30.000 ist die Rede. Die Bertelsmann-Stifung spricht in ihrer Studie „Israelis in Berlin“ von 6.265 Israelis, die zum Jahresende 2014 in der Bundeshauptstadt lebten. Jedoch werde eine erhebliche Zahl von Israelis von der deutschen Meldestatistik nicht erfasst. Dazu gehörten diejenigen, die neben der israelischen eine weitere nichtdeutsche Staatsbürgerschaft besitzen und unter dieser gemeldet sind. (nob)

Den Artikel „Hier lässt es sich einfach leben“ finden Sie auch in der Ausgabe 4/2016 des „Israelnetz Magazins“. Sie können die Zeitschrift kostenlos und unverbindlich bestellen unter der Telefonnummer 06441/915151 oder via E-Mail an info@israelnetz.com oder online unter www.israelnetz.com.

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