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Die Juden aus dem Norden

Einwanderer aus der früheren Sowjetunion prägen die israelische Gesellschaft. Der Zuzug aus diesem Gebiet begann im 19. Jahrhundert. Heute helfen jüdische Organisationen bei der Einwanderung, aber auch Christen, die diese in besonderer Weise in der Bibel vorausgesagt sehen. Ein Gastbeitrag von Hinrich Kaasmann
In Israel sind Zeichen russischer Kultur nichts Ungewöhnliches

Wer heute in Israel unterwegs ist, stellt schnell fest, dass „Russen“ einen erheblichen Teil der israelischen Gesellschaft ausmachen. In jedem Supermarkt, in fast jeder Autowerkstatt ist Russisch nach Ivrit die wichtigste Umgangssprache, und nicht immer kommt der Tourist mit Englisch weiter.
Das war in den ersten 40 Jahren des Staates Israel völlig anders. Die damaligen Einwanderer aus der Sowjetunion identifizierten sich trotz aller Schwierigkeiten mit der neuen Sprache und lernten wie selbstverständlich Neuhebräisch. Andere Sprachen waren in Kibbutzim und in der Armee tabu.
Heute haben 20 Prozent aller Israelis russischen oder ukrainischen Migrationshintergrund, viele halten Kontakt zu Verwandten und Freunden, die noch in der Ukraine oder in Russland leben. Es gibt einen regen und problemlosen touristischen Austausch in beide Richtungen, da die Einreise bis zu 90 Tagen visafrei möglich ist. So kommen etwa 550.000 Touristen jährlich aus Russland, circa 200.000 aus der Ukraine. Zum Vergleich: aus Deutschland kamen 2015 rund 230.000 Touristen nach Israel.
Die Einwanderung, in Israel Alija genannt, belief sich 2015 aus Russland auf 7.184 Olim (Neueinwanderer) und aus der Ukraine auf 7.586 Olim. Aus Deutschland machten im vergangenen Jahr 147 Juden Alija, aus Frankreich 7.835. Somit wandern jährlich zwei Prozent der heutigen jüdischen Bevölkerung in Russland nach Israel aus, das ist der höchste Prozentsatz weltweit.
Seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion 1990 sind zwei Drittel der damals dort lebenden Juden, etwa 2,3 Millionen, ausgereist; davon 1,2 Millionen nach Israel, 250.000 nach Deutschland, 750.000 in die USA und in andere Länder (Kanada, Südafrika, Australien). Zurück blieben in der GUS diejenigen, die im Berufsleben stehen und ihre Lage dort aktiv gestalten möchten, sowie die Alten und die Optimisten: „Es wird auch wieder besser!“ Das erinnert fatal an die Stimmung der deutschen Juden 1933 bis 1938. Doch eine große Zahl, gerade der Älteren, würde auch gern nach Deutschland kommen. Da sei das Wetter besser, nicht so heiß wie in Israel, heißt es oft als Begründung.

Wer darf nach Israel einwandern?

Bei alle dem stellt sich die Frage, wer überhaupt zur Einwanderung berechtigt ist. In der israelischen Unabhängigkeitserklärung heißt es: „Der Staat Israel steht der jüdischen Einwanderung und der Sammlung der im Exil Lebenden offen; er fördert die Entwicklung des Landes für alle seine Bewohner; er gründet sich auf Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden, wie es die Propheten Israels vorhergesehen haben …“
Aber wer ist eigentlich ein Jude, und wie viele gibt es? Studien zu dem Thema zeigen sehr unterschiedliche Zahlen. Sind nur halachische Juden (Mutter ist Jüdin) gemeint oder wird von der einstigen sowjetischen Zählung ausgegangen? In Russland stand in Zeile 5 des Passes bis 1997 die ethnische Zugehörigkeit, die sich nach dem Vater oder der Mutter richtete und häufig von Beamten nach Gutdünken festgelegt wurde. In Deutschland gibt es diese Unterschiede auch: Der Zentralrat der Juden spricht von 120.000 Juden, deren Mutter Jüdin ist. Die Einwanderer-Organisation „Jewish Agency“ geht von 250.000 Juden aus, die berechtigt sind, nach Israel einzuwandern.
Viele an der Alija Interessierte haben jüdische Namen, fühlen sich jüdisch und kennen aus der Familie mündlich überlieferte Geschichten, die die jüdischen Wurzeln belegen. Aber leider fehlt jedes Dokument, denn Eltern oder Großeltern haben wegen der stalinistischen Verfolgung nach dem Zweiten Weltkrieg alle Papiere vernichtet. Schätzungen gehen heute von rund einer Million Juden in Russland und 300.000 bis 500.000 in der Ukraine aus, die zur Alija berechtigt sind.
Alija ist nur durch Kooperation mit israelischen staatlichen und halbstaatlichen Organisationen möglich. Zentrale Bedeutung haben dabei die „Jewish Agency for Israel“ (JAFI), die Konsuln der israelischen Botschaften, die die Visa erteilen, sowie die sogenannten Konsuln einer speziellen Organisation „Nativ“, die anhand von Dokumenten prüft, wer überhaupt Jude ist oder wer wenigstens einen Großelternteil jüdischer Herkunft hat.
Diesen Nachweis zu erbringen ist nicht nur in der Ukraine oft schwierig, weil Dokumente in Archiven im unerreichbaren Separatistengebiet oder auf der Krim liegen, sondern auch in diktatorischen, muslimisch geprägten Nachfolgestaaten der UdSSR, wie zum Beispiel Tadschikistan. Jüdische und christliche Organisationen helfen, unauffällig und verschwiegen, auf vielfältige Weise.
Einwandern darf grundsätzlich nur derjenige, der nachweislich „Vierteljude“ ist, also der nachweisen kann, dass ein Großelternteil jüdische Herkunft hat. Diese Regelung des israelischen Einwanderungsgesetzes von 1953 orientiert sich an den Nürnberger Rassegesetzen der Nazis von 1935; damals kamen sogenannte Vierteljuden in Konzentrationslager. Alle Überlebenden sollten nach Israel einwandern dürfen.

Die Aufgaben der Christen bei der Alija

Nicht nur viele Juden, sondern auch viele Christen sehen die Einwanderung als ein zentrales Anliegen. Sie berufen sich dabei auf biblische Verse wie Jesaja 49,22: „So spricht der Herr: Siehe, ICH will meine Hand zu den Heiden hin erheben und für die Völker mein Banner aufrichten. Dann werden sie deine Söhne in den Armen herbringen und deine Töchter auf der Schulter hertragen.“
Unter Israelis wird auf Englisch von „Evangelicals“ oder etwas inkorrekt von „Christian Zionists“ gesprochen. „Evangelikale“ Christen, die bei der Alija helfen, sind heute als bewährte Freunde Israels quer durch das israelische politische Spektrum anerkannt.
Auch für die Einwanderung aus Russland finden Christen Belege in der Bibel. Wenn Propheten vom „Land des Nordens“ sprechen, dann „übersetzen“ Christen das heute mit den Gebieten der Ex-UdSSR, denn Kiew und Moskau liegen nördlich von Jerusalem. In Jeremia 16,14–15 heißt es: „Darum siehe, es kommt die Zeit, spricht der HERR, dass man nicht mehr sagen wird: ‚So wahr der HERR lebt, der die Israeliten aus Ägyptenland geführt hat‘, sondern: ‚So wahr der HERR lebt, der die Israeliten geführt hat aus dem Lande des Nordens und aus allen Ländern, wohin ER sie verstoßen hatte‘. Denn ICH will sie zurückbringen in das Land, das ICH ihren Vätern gegeben habe.“
Das neuzeitliche geistliche Verständnis für die Rückkehr der Juden ins Verheißene Land begann im 19. Jahrhundert. Als Napoleon 1799 in Akko war, lud er Juden bereits zur Rückkehr nach Israel ein. Ausschlaggebend waren dann aber die Erweckungsbewegungen in England, damals in Verbindung mit Christen in Preußen. 1841 war der erste anglikanische Bischof an der „Christ Church“ in Jerusalem, Michael Salomon Alexander, ein Jude aus Preußen.

Einwanderung braucht Infrastruktur

Die Einwanderung aus Russland begann jedoch erst ab 1880 in großem Stil. Ermöglicht wurde dies mit dem Ausbau des Eisenbahnnetzes bis ins Zarenreich und neuen Möglichkeiten des Seetransportes. Progrome verstärkten die ersten beiden modernen Alija-Wellen ab 1881 und ab 1904.
Im Jahr 1984, als die Sowjetunion für Ausreisewillige, ob Juden oder Russlanddeutsche, noch größtenteils geschlossen war, veröffentlichte Steve Lightle, Amerikaner und damals Missionar in Braunschweig, das prophetische Buch „Exodus II“. Darin vertrat er die These, die UdSSR würde Juden in großer Zahl ausreisen lassen; Christen sollten ihnen helfen, nach Israel zu kommen. Zusammen mit den Bibellehrern Derek Prince, Johannes Facius und anderen setzten dann tatkräftige Männer diese Visionen ab 1991 mit Unterstützern, Fürbittern und Freiwilligenteams praktisch um: Phil Hunter (mit den „Exodus-Transfers“ zu Flughäfen) und Gustav Scheller („Operation Exodus“ mit dem von Ebenezer gecharterten Schiff von Odessa nach Haifa).
Historisch sind die Beziehungen zwischen Deutschen, Juden, Ukrainern und Russen belastet. Aber: Die russischen und ukrainischen Menschen unterscheiden zwischen „den Nazis“ und „den Deutschen“. Bei uns in Deutschland wird weniger differenziert, wenn wir über „die Russen“ in der DDR oder in Ostpreußen 1945 sprechen.
Generell bewundern Russen die deutsche Kultur und bringen deutschen Besuchern sehr viel Wärme und Gastfreundschaft entgegen, gerade auch, wenn Deutsche die Vergangenheit ansprechen. Ein Schlüssel ist dabei der Prophet Jesaja, der in Kapitel 60,14 über die Söhne der Unterdrücker redet: Diese sollen kommen, hingehen und sich vor den Juden verbeugen – dazu braucht man nicht einmal einen Übersetzer!
Heute sind wir Zeugen der Erfüllung von Gottes Verheißung und seiner Treue zu seinem Volk und Land, etwa in 5. Mose 30,3: „Dann wird der HERR, dein Gott, dein Geschick wenden und sich über dich erbarmen. Und ER wird dich wieder sammeln aus allen Völkern, wohin der HERR, dein Gott, dich zerstreut hat.“

Hinrich Kaasmann ist 1. Vorsitzender des Ebenezer Hilfsfonds Deutschland e.V. Der Verein setzt sich für die Rückkehr von Juden nach Israel ein.

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