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Wie die arabische Welt Israel erforscht

Wenn arabische Wissenschaftler Israel-Studien betreiben, wollen sie oft den Feind kennenlernen. Doch es gibt auch andere Zugänge – und einen positiven Wandel in der palästinensischen Forschung.
Befasst sich mit arabischen Zugängen zum Israel-Studium: Johannes Becke

HEIDELBERG (inn) – Auch in der arabischen Welt befassen sich Wissenschaftler mit Israel. Allerdings unterscheiden sie sich in Absicht und Methodik von ihren Kollegen in westlichen Ländern. Dies hat der Politikwissenschaftler Johannes Becke am Dienstag in einem Vortrag an der Hochschule für Jüdische Studien (HfJS) in Heidelberg herausgearbeitet. Der Vortrag stand unter der Überschrift: „Israel-Studien in der arabischen Welt. Mehr als nur Feindstudien?“
Auf das Thema war der Juniorprofessor für Israel- und Nahoststudien an der HfJS bei einem Aufenthalt in Beirut gestoßen, als er sich mit dem syrischen Einfluss im Libanon befassen wollte. Im Institut für Palästina-Studien entdeckte er unerwartet eine umfangreiche Sammlung von hebräischen Büchern und Zeitschriften – und wurde neugierig. Israel-Studien gibt es nicht nur in der libanesischen Hauptstadt, auch in Ägypten, Jordanien und anderen arabischen Ländern. Häufiger sei jedoch das Fach „Hebräische Literatur“. Solche Wissenschaftler dienten etwa ägyptischen Medien als Israel-Experten.

Ägypterin mit akzentfreiem Hebräisch

Doch auch der umgekehrte Fall ist möglich. Becke zeigte einen Ausschnitt aus einem Interview des israelischen Fernsehsenders „Kanal 10“ vom Juli 2013. Gesprächspartnerin ist eine ägyptische Journalistin, Hiba Hamdi Abu Sajjaf, die sich während einer Demonstration anlässlich des Sturzes von Präsident Mohammed Mursi auf dem Tahrir-Platz aufhält. Die Ägypterin antwortet in akzentfreiem umgangssprachlichem Hebräisch.
Der israelische Moderator fragt die Journalistin, ob sie keine Angst habe, auf dem Tahrir-Platz Hebräisch zu sprechen. „Ich fürchte mich nicht, an irgendeinem Ort in Ägypten zu sprechen, auch wenn wir Leute haben, die wissen, dass es Hebräisch ist und mich fragen, ob ich Ägypterin bin oder nicht“, entgegnet sie. „Dann antworte ich ihnen, dass ich in der Tat Ägypterin bin, aber dass das die Sprache ist, die ich gelernt habe.“ In Ägypten sprächen viele Leute mehr als eine Sprache: „Das ist in Ordnung.“
Auf die Frage, ob sie den Israelis eine Botschaft mitgeben wolle, antwortet die Frau mit dem Kopftuch in dem Video: „Ja, natürlich. Ich sehe und verfolge natürlich, was in Israel passiert.“ Sie ruft die Israelis und jedes Volk auf, nicht zu schweigen, wenn seine Regierung oder sein Präsident ihren Pflichten nicht nachkämen: „Wenn Bibi (Netanjahu) und auch (der damalige Finanzminister Jair) Lapid nicht ihre Arbeit tun, setzt sie ab, bringt jemanden hoch, der für euch wirklich die Arbeit tut, die ihr wollt. Wenn man euch einfach Versprechen gemacht und sie nicht eingehalten hat, schweigt nicht dazu.“ Das Volk müsse entscheiden.
Becke deutete dies als Ausdruck der Sympathie. In dem Fall grenze sich die Ägypterin nicht von Israel ab, sondern gehe offenbar von einem gemeinsamen Schicksal aus. Allerdings komme es selten vor, dass israelische Sender einheimische Gesprächspartner in arabischen Ländern befragten.

Kairo: Modernes Hebräisch seit 1928

Die hebräische Sprache als Grundlage für ein wissenschaftliches Studium hat nach Aussage des Referenten eine lange Tradition in der arabischen Welt. Bildungseinrichtungen, die von christlichen Missionaren gegründet wurden, hätten das biblische Althebräisch in die Lehre einbezogen. Modernes Hebräisch wiederum sei an der Universität Kairo bereits 1928 gelehrt worden.
In Ländern, die keine diplomatischen Beziehungen zu Israel pflegen, ist die wissenschaftliche Arbeit problematisch. Und in Ägypten und Jordanien stoßen die Forscher trotz der Friedensverträge mit Israel auf Druck von der Antinormalisierungskampagne. Arabische Wissenschaftler können nur schwerlich an Konferenzen in Israel teilnehmen. Der einzige Bezug zu ihrem Forschungsthema seien israelische Medien, hebräische Literatur und Tagungen außerhalb Israels. Becke wies darauf hin, dass auch die Orientalistik in Israel oft keinen direkten Zugang zu Arabern suche.
Araber hofften, den Texten „zu entlocken, was Israel zusammenhält“, sagte der Politikwissenschaftler. Er zitierte eine Anmerkung des Institutes für Palästina-Studien in Beirut aus dem Jahr 1973. Demnach sei es kein Geheimnis, dass die wissenschaftliche Waffe gegen die Gefahr des Zionismus bedeutsamer sei als materielle Waffen.

Feindstudien nach Sechstagekrieg

Verändert habe sich der Zugang zu Israel mit dem Sechstagekrieg im Juni 1967, führte der Juniorprofessor weiter aus. Davor hätten arabische Wissenschaftler den jüdischen Staat als intellektuelle Herausforderung betrachtet. Nach dem Krieg sei es darum gegangen, den „Feind Israel“ kennenzulernen, um ihn bekämpfen zu können. Dabei herrsche vielerorts die Ansicht, der Zionismus sei „wegen seiner Propaganda so erfolgreich“. Aus dem „transnationalen Projekt“ der Israelforschung brach Kairo 1978 infolge der Friedensverhandlungen aus. Das ägyptische Abkommen mit Israel wurde als „Verrat an der Sache der arabischen Welt“ gewertet, ägyptische Forscher wurden von Kooperationsprojekten ausgeschlossen.
Becke äußerte sich auch zur neuen arabische Talmud-Übersetzung, die in Jordanien erschienen ist. Das akademische Vorwort dazu sei „nicht unproblematisch“. Ein Religionswissenschaftler weise darauf hin, dass es sinnvoll sei, den Babylonischen Talmud zu lesen, um Israel zu verstehen. Dabei behaupte er, dass das Ausrauben von Nichtjuden in der Schriftensammlung nicht verboten sei. Deshalb protestierten Rabbiner nicht gegen den Raub von palästinensischen Gütern im besetzten Palästina. Die Herausgeber wollten sich vermutlich durch eine „antisemitische Exegese“ vor dem Verdacht schützen, Sympathie für das „zionistische Gebilde“ zu empfinden.

Wandel in der palästinensischen Forschung

Eine neuere Entwicklung beobachtet der Referent angesichts des israelisch-palästinensischen Friedensprozesses. Aus dem Motto „Kenne deinen Feind“ werde bisweilen die Devise „Kenne dein Gegenüber“. Manche palästinensische Wissenschaftler formulierten denn auch das Ziel, mithilfe der Israel-Studien am Verhandlungstisch den Konflikt zu lösen. Den Wandel des Diskurses führt Becke unter anderem auf den sozialen Aufstieg von Palästinensern in israelischen Bildungsinstituten zurück.
Das „Wörterbuch zionistischer Begriffe und Persönlichkeiten“ vom Palästinensischen Forum für Israel-Studien lasse diese Entwicklung erkennen. So definiere es Zionismus als Ausdruck der Wünsche und Sehnsüchte des jüdischen Volkes in der Moderne. Weiter heißt es, palästinensische Araber und deren Anhänger betrachteten ihn als rassistische Bewegung. Zu Theodor Herzl merkt die Enzyklopädie an, er habe das Judentum politisiert. In Israel seien viele Straßen und öffentliche Gebäude nach ihm benannt. Dies hebt sich von anderen Formulierungen ab, in denen etwa Israel als „rassistisch“ gebrandmarkt wird.
Aus Ländern wie Saudi-Arabien kämen immer mehr Doktoranden mit einem akademischen Abschluss etwa in Hebräischer Literatur an westliche Universitäten. Sie befassten sich beispielsweise mit jüdischen Islamwissenschaftlern, aber auch mit anderen Themen. Ob sie überhaupt in ihre Herkunftsländer zurückkehrten und wie es ihnen mit einem solchen Doktortitel ergehe, sei noch nicht abzusehen. Möglicherweise seien weitere Neugründungen von Instituten zu erwarten, die sich mit Israel-Studien oder dem Judentum befassten. In der Golfregion sieht Becke dafür Potential: „Dort gibt es Israel-Studien, aber sie werden nicht so genannt.“
Der Vortrag bildete den Auftakt zu einer Reihe mit dem Titel: „Israel und der Vordere Orient“. Veranstalter ist der Ben-Gurion-Lehrstuhl für Israel- und Nahoststudien der Hochschule für Jüdische Studien Heidelberg. (eh)Saudisches Institut ehrt israelische Hochschule (inn)
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