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Geschichte hinter Gebäuden entdecken

Mehr als 120 Häuser öffnen für drei Tage im Rahmen der Initiative „Häuser von innen“ ihre Türen. Anhand eines Gebäudes erklärt eine Architektin die Verbindung des deutschen Kaisers Wilhelm II. zu einem Gelände in Jerusalem, das für Besucher gut zugänglich und doch leicht zu übersehen ist.
Israelis interessieren sich auch für Gebäude mit christlicher Geschichte

JERUSALEM (inn) – Bis heute bildet die evangelisch-lutherische Erlöserkirche im Herzen der Altstadt von Jerusalem das Zentrum der deutsch-, arabischsprachigen und weiteren protestantischen Gemeinden Jerusalems. Der Bau wurde nach Plänen des Architekten Friedrich Adler 1893 begonnen und am Reformationstag 1898 im Beisein des deutschen Kaisers Wilhelm II. eingeweiht.

Die Kirche dient als Sitz der Propstei. Was vielen nicht bekannt ist: Anfang des 20. Jahrhunderts lag die Propstei in der Prophetenstraße 42, wenige Hundert Meter nordwestlich der Altstadt. Die Architektin Valentina Nelin berichtet etwa 80 interessierten Israelis über die Geschichte des Gebäudes: „Seit etwa 60 Jahren befindet sich hier das ORT-College, eine Fachhochschule, in der vor allem technologische Fächer gelehrt werden.“ Sie betont nachdrücklich: „Es ist der einzige Ort in ganz Jerusalem, wo auch Landschaftsarchitektur angeboten wird.“

Nelin hat sichtlich Freude, als sie den Besuchern erklärt: „Dies ist ein historischer Ort. Als der deutsche Kaiser Wilhelm II. im Rahmen seiner Orientreise auch Jerusalem besuchte, brachte er seinen ganzen Stab mit. Der umfasste mehrere Hundert Soldaten. Die wollten zusammen unterkommen und ihre Zelte aufschlagen. Man bot ihm dieses Grundstück an.“ Sie zeigt den Besuchern ein Foto aus dem Jahr 1898: Darauf ist der Kaiser zu sehen, vor einem großen Zelt, das von vielen kleineren Zelten umstellt ist. „Natürlich war es ein diplomatischer Besuch. Doch die Unterkunft hatte den Charakter eines Militärlagers. Der Kaiser weihte auch die Erlöserkirche in der Altstadt ein. Doch während seines sechswöchigen Besuches wohnte er die ganze Zeit auf diesem Gelände.“

Die Zuhörer sind begeistert, als sie erfahren, dass sich hier auch das historische Treffen zwischen dem Kaiser und Theodor Herzl zugetragen hatte: „Das Treffen dauerte nicht länger als eine halbe Stunde, doch Herzl und seine Begleiter waren zuversichtlich.“ Von dem Treffen zwischen Herzl und dem Kaiser gibt es kein Foto, doch Nelin zeigt ein Bild, das Herzl und vier weitere Männer im schwarzen Anzug abbildet. Unter den Zuhörern befinden sich auch mehrere Fremdenführer, einer ruft aus: „Herzl schrieb in sein Tagebuch, dass er am Morgen der Zusammenkunft extra keinen Knoblauch gegessen hatte. Man wollte den Kaiser doch nicht schockieren.“

Nelin erzählt weiter: „Herzl hatte gehofft, mithilfe des Kaisers den Weg zu einem Judenstaat zu ebnen. Anfangs zeigte sich der Kaiser demgegenüber offen, später berief er sich allerdings auf die Landeshoheit des osmanischen Sultans.“ Das Gelände gehörte der deutschen protestantischen Gemeinde. Nur fünf Jahre nach diesem historischen Zeltlager wurde das Gebäude errichtet, das bis heute in der Prophetenstraße zu sehen ist. Als es in der Altstadt zu eng geworden war, musste man außerhalb bauen, und so beherbergte dieses Gebäude über mehrere Jahre die protestantische Propstei. Später wurde daneben eine deutschsprachige Jungenschule errichtet. Zwischen 1918 und 1926 lebte dort der britische Gouverneur von Jerusalem, Ronald Storrs.

Wer genau hinsieht, kann die Inschrift an den Seiten der Giebel erkennen: Ein feste Burg ist unser Gott Foto: Israelnetz/mh
Wer genau hinsieht, kann die Inschrift an den Seiten der Giebel erkennen: Ein feste Burg ist unser Gott

„Architekt für das aktuelle Gebäude war Paul Palmer, der Sohn eines Freundes des legendären Conrad Schick.“ Und auch dieser hinterließ deutliche Spuren seines deutschen, protestantischen Erbes. Wer genau hinschaut, kann links und rechts der vorderen Giebelfenster die Worte des großen Reformators Martin Luther entdecken: „Ein feste Burg ist unser Gott.“ Nelin verweist darauf, dass das Gelände morgens und abends von Studenten übervölkert ist. „Doch wer in den Nachmittagsstunden kommt, so zwischen halb vier und halb sechs, kann freundlich den Wächter fragen, ob er mal einen Blick in das Gelände und auf das Gebäude werfen darf. Das ist dann in der Regel kein Problem, auch wenn man zum Gebäude selbst nur Zugang erhält, wenn darin gerade Ausstellungen stattfinden.“

Offenes Haus für alle

Nelins Tour findet statt im Rahmen des Projekts „Offenes Haus“, das 1992 in London gegründet wurde. Ziel ist, die Architektur von Gebäuden einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Dabei bekommen die Bewohner einer Stadt einmal im Jahr kostenfrei die Möglichkeit, Gebäude von innen zu erleben und mit Experten in den Dialog zu treten, um sich besser mit ihrer Umgebung auseinandersetzen zu können. In Israel sind Tel Aviv und Jerusalem seit 2007 Teil der Initiative „Häuser von innen“, wie sie auf Hebräisch genannt wird.

Am dritten Septemberwochenende hatten bereits in Tel Aviv mehr als 150 Gebäude ihre Türen geöffnet. Weltweit nehmen inzwischen 47 Städte an dem Programm teil. Im deutschsprachigen Europa sind es derzeit Wien (seit 2012), Zürich (seit 2016) und Basel (seit 2018).

Häuser als Publikumsmagnet

An den geführten Touren, die in Jerusalem zwischen Donnerstagmorgen und Samstagabend ein- bis viermal angeboten wurden, nahmen jeweils zwischen 30 und mehrere Hundert Personen teil. Eine von ihnen ist Sara-Jael. Sie ist extra aus der Siedlung Beit El angereist, um sich historische Gebäude anzuschauen, und berichtet: „Toll an dem Projekt ist, dass Häuser und auch Privatmenschen ihre Türen öffnen, zu denen ich allein nie Zugang hätte. Ich selbst bin in der Prophetenstraße aufgewachsen und erinnere mich besonders an die 70er Jahre. Da waren so viele schöne Häuser, wir wussten aber niemals wirklich, was sich hinter den hohen Mauern verbirgt.“

Ein Beispiel ist das Tabor-Haus, das ursprünglich von Conrad Schick als Wohnhaus für seine Familie entworfen und gebaut wurde. Zwischen 1882 und 1901 wohnte er dort. Aufgrund der Mischung von europäischen und nahöstlichen Bauelementen sticht das Haus aus seiner Nachbarschaft hervor. Heute ist es Eigentum der Schwedisch-Lutherischen Kirche und enthält ein theologisches Seminar. Teddy Kollek, der zwischen 1965 und 1993 Bürgermeister von Jerusalem war, bezeichnete es einst als „das schönste Haus in ganz Jerusalem“.

Das wollte sich auch Sara-Jael dieses Jahr endlich von innen anschauen. Die Mittfünfzigerin erzählt: „Heute Morgen ging ich hin und es waren etwa 45 Besucher da. Für mich sah es früher immer so schön und mysteriös aus.“ Doch die national-religiöse Jüdin schaut befremdet ihre Gesprächspartner an. „Als wir reingingen, sah ich eine Kapelle, eine kleine Kirche, mit einem Jesus und so. Da bin ich schnell wieder rausgegangen.“

Schosch, eine pensionierte Lehrerin aus Ramat Gan, gibt zu: „Jerusalem ist mir fremd und ich komme nicht gerne her. Aber dieses Festival ‚Häuser von innen‘ ermöglicht auch mir, mich durch ihre architektonischen Besonderheiten der Stadt anzunähern. Durch die Führungen erfährt man sehr viel über den Hintergrund der Gebäude und bekommt einen ganz eigenen Zugang zur Stadt.“

Von: mh

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