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Die Anwältin, die immer verliert

Die jüdische Anwältin Lea Tsemel setzt sich vor israelischen Gerichten für die Belange der Palästinenser ein. Sie verteidigt auch Terroristen. In der ARD läuft über sie am Mittwoch eine Dokumentation, der die Distanz zu seinem Subjekt fehlt. Eine Rezension von Michael Müller
Seit mehr als 50 Jahren kämpft Lea Tsemel in Israel vor Gericht für Palästinenser

Lea Tsemel ist eine jüdische Anwältin, die seit 50 Jahren Palästinenser in Israel verteidigt: Terroristen, Demonstranten, politische Gefangene und Fundamentalisten. Sie sieht sich als Vorkämpferin für Menschenrechte an. Einmal sagt sie über ihre Motivation im Dokumentarfilm „Lea Tsemel, Anwältin“, den die ARD am heutigen Mittwoch um 22.45 Uhr ausstrahlt: „Ich bin Israelin und Besatzerin. Da es mir nicht gelungen ist, das Regime, das an der Macht ist, zu ändern, bin ich bereit, Fälle zu übernehmen, in denen sich Menschen bewusst gegen die Besatzung wehren.“

Als der Film Anfang Juni auf einem Tel Aviver Festival als bester Dokumentarfilm ausgezeichnet und mit einem Preisgeld von umgerechnet 17.500 Euro bedacht wurde, meldete sich die israelische Kulturministerin Miri Regev. „Keine Film-Spezialeffekte können verdecken, welche Arbeit Tsemel gegen den Staat Israel und seine Bürger macht“, kommentierte Regev den Preis. Mit den Spezialeffekten spielte sie auf die Eigenart des Films an, die angeklagten Palästinenser mit einem visuellen Stilmittel comichaft zu verfremden, so dass ihre Identität geschützt bleibt.

Die beiden Filmemacher Rachel Leah Jones und Philippe Bellaiche folgen der 73-jährigen Anwältin vor allem bei einem Fall. Zwei junge Palästinenser jagten mit Messern Passanten in Jerusalem durch die Straßen, bis sie Sicherheitskräfte niederschossen. Einer der beiden Terroristen, erst 13 Jahre alt, überlebte die Schüsse. Es ist vielleicht der Schlüsselmoment der Dokumentation, weil der Zuschauer die Ereignisse in Bild und Ton präsentiert bekommt. Aufnahmen von Überwachungskameras werden mit der Amateur-Aufnahme eines Passanten zusammengeschnitten. Dieser hat gefilmt, wie die Kugeln den Palästinenser auf den Schienen der Jerusalemer Straßenbahn trafen.

Was den Rechtsstaat ausmacht

Es ist ein schwer erträglicher Ausschnitt: Das Gesicht des Jungen ist unkenntlich gemacht, aber er ist mit verdrehten Beinen auf den Gleisen liegend zu sehen. Der filmende Passant brüllt aus dem Off, dass die Sicherheitsbeamten doch ihren Job erledigen und dem „Hurensohn“ einen Kopfschuss verpassen sollten. Den habe er verdient. Genau an diesem Punkt fangen aber die Fragen zu Selbstjustiz und Rechtsstaat an. Und wenn auch dieser Junge mit seinem Messer einen Prozess verdient, wer ihn dann überhaupt verteidigt.

Die Dokumentation „Lea Tsemel, Anwältin“ ist voller solcher unbequemer und schmerzhafter Momente. Ein geleaktes Verhörvideo der israelischen Polizei, in dem der Beamte den jungen Angeklagten quasi zum Geständnis schreien will; der israelische Premier Benjamin Netanjahu, der sich vor dem Prozess per Pressekonferenz in den Fall einmischt; junge Palästinenserinnen, die sich gegenüber dem Angeklagten fast groupiehaft als seine Mütter bezeichnen und für ihn weinen wollen, weil er für sie ein Märtyrer sei.

Die angehende Anwältin Lea Tsemel bei der Arbeit Foto: SWR/privat
Die angehende Anwältin Lea Tsemel bei der Arbeit

Konzept erinnert an Doku über Klaus-Barbie-Verteidiger

Ein Stück weit erinnert der Film an die deutlich vielschichtigere Dokumentation „Im Auftrag des Terrors“ des französischen Filmemachers Barbet Schroeder aus dem Jahr 2007. Darin geht es um den Anwalt Jacques Vergès, der weltweite Bekanntheit erlangte, weil er in Frankreich den Terroristen Carlos, Mitglieder der Guerillabewegung Rote Khmer und den „Schlächter von Lyon“, Gestapo-Chef Klaus Barbie, verteidigte. Eine Hauptmotivation für seine Arbeit zog Vergès aus der Gewalt und den Verbrechen, welche die Franzosen in den Kolonien begangen haben. Geboren wurde er im Königreich Siam, dem heutigen Thailand.

Schroeders Darstellung des Anwalts Vergès ist ausgewogener, weil er Stimmen aus verschiedenen politischen Spektren zu Wort kommen lässt und ein breiteres Bild zeichnet. Der Film „Lea Tsemel, Anwältin“ klebt seiner Protagonistin dagegen an den Fersen. Als O-Töne gibt es nur ihren antizionistischen Mann Michel Warschawski und ihre beiden erwachsenen Kinder zu hören, die sie sehr unterstützen. Sich selbst kündigt Tsemel einmal angesichts ihrer rechtlichen Härtefälle als die Anwältin an, die immer verliert.

Etwas mehr Distanz zum Subjekt hätte dem Film gut getan. Außerdem ist bemerkenswert, wie schnell die von SWR und NDR co-produzierte Dokumentation im deutschen Fernsehen zu sehen ist. Die Weltpremiere war erst im Januar auf dem amerikanischen Festival in Sundance. Aktuell läuft der Film eigentlich noch auf Festivals weltweit. Offenbar war es den Öffentlich-Rechtlichen ein Anliegen, ihn so schnell wie möglich den deutschen Zuschauern zu zeigen.

„Lea Tsemel, Anwältin“, Regie: Rachel Leah Jones & Philippe Bellaiche, 90 Minuten, am 10. Juli um 22.45 Uhr in der ARD.

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