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Am Anfang war Ben-Gurion

Der israelische Staatsgründer David Ben-Gurion hat als Politiker bleibenden Eindruck hinterlassen. Der Historiker Tom Segev schildert auf einer Konferenz zur Staatsgründung Israels auch die Widersprüchlichkeit, die den Politiker gekennzeichnet hat – und erklärt dessen bleibende Beliebtheit.
Hat sich ausführlich mit David Ben-Gurion befasst: Der israelische Historiker Tom Segev

FRANKFURT/MAIN (inn) – Bei der Konferenz „Wie alles begann …“ aus Anlass des 70. Jubiläums des Staates Israels ist Staatsgründer David Ben-Gurion das Thema des ersten Tages gewesen. Der Zentralrat der Juden in Deutschland hatte zu der dreitägigen Konferenz eingeladen. Das Ziel der Veranstaltung sei es, Israel besser zu verstehen, sagten die Organisatoren am Mittwoch bei ihrer Begrüßung im Ignatz-Bubis-Gemeindezentrum in Frankfurt am Main. „Wenn wir die israelische Gegenwart und Zukunft verstehen wollen, müssen wir erstmal verstehen, wie alles begann“, erklärte Johannes Becke von der Hochschule für Jüdische Studien in Heidelberg. Der Pädagoge Doron Kiesel beschrieb Israel als eine Versuchsanordnung der Identitätsfindung, die bis heute nicht abgeschlossen sei. „Diese Dynamik des Ungeklärten macht diese Gesellschaft so aufregend.“ Das nachzuvollziehen bedeute, die israelische Gesellschaft nachzuvollziehen.

Praktische „Staatsräson“ gefordert

Der Bürgermeister und Kämmerer der Stadt Frankfurt, Uwe Becker (CDU), kam in seinem Grußwort auf die aktuelle Lage Israels zu sprechen. Der jüdische Staat habe in den vergangenen Tagen die schlimmsten Angriffe seit dem Gaza-Konflikt 2014 erlebt. Bis heute sei jedoch vielen unklar, in welcher Situation sich das Land wirklich befinde, meinte der Katholik. Zeichen dafür seien „Wohnzimmerratschläge“ wie der Aufruf nach der „Verhältnismäßigkeit“ der israelischen Reaktion – ohne dabei an die Verantwortung der Palästinenser zu appellieren. Fest stehe jedenfalls: „Den Medienkrieg beherrscht die Hamas perfekt.“

Becker forderte, dass Deutschland und Europa zu einem „gemeinsamen Verständnis für das Existenzrecht Israels“ kommen müssten. Er bemängelte zudem, dass viele Fragen als offen behandelt würden, die für Israel längst beantwortet seien. Als Beispiel nannte er die Rückgabe des Golan, wozu es „allein aus strategischen Gründen“ nicht kommen werde. Auch die Frage Jerusalems als Hauptstadt Israels sei unstrittig; Deutschland müsse diese Realität anerkenne. Zudem müsse Deutschland die „Sicherheit Israels“ als Staatsräson praktischer gestalten als bislang und etwa die Beziehungen zum Iran aufkündigen, da dieser mit Israels Vernichtung drohe.

Eine Frage des Humors

Hauptredner dieses ersten Konferenztages war Tom Segev. Der Historiker hat eine umfangreiche Biographie zu David Ben-Gurion veröffentlicht. In seinem Vortrag beschrieb er den Staatsmann als eine Persönlichkeit voller Widersprüche, der auch von seiner Widersprüchlichkeit wusste. Er sei mal euphorisch, mal aber auch depressiv gewesen. Fast jeden Tag und bis zu seinem Tod 1973 habe er Tagebuch geschrieben, dabei auch hin und wieder sein poetisches Talent gezeigt. Allerdings sei Ben-Gurion humorlos gewesen. „Das machte es schwer, die Biographie zu schreiben.“

Doch ob Ben-Gurion wirklich völlig humorlos war, bezweifelten die Zuhörer, nachdem am Abend ein Film über das letzte große Interview Ben-Gurions gezeigt worden war. „Ben-Gurion sitzt der Schalk im Nacken!“, schilderte eine Dame aus dem Publikum ihre Eindrücke. Segev konterte, das sei kein Humor, sondern Koketterie mit der Kamera. Überhaupt habe sich Ben-Gurion anders verhalten, wenn Kameras dabei gewesen seien. Dass er sich, wie der Film zeigt, jeden Tag um die Landwirtschaft in Sde Boker gekümmert habe, sei nicht zutreffend, erklärte der Historiker. „Er hat das vielleicht fünfmal gemacht.“

Doch neben der angeblichen Humorlosigkeit erschwerten auch andere Dinge das Schreiben an der Biographie – etwa die Frage, welchen Geschichten man Glauben schenken sollte. Ben-Gurion behauptete von sich, schon als Dreijähriger ein Zionist gewesen zu sein. Ob das so stimme, sei fraglich. Doch Ben-Gurion sei auch auf Nachfrage davon überzeugt gewesen. Fest stehe jedenfalls, dass er sich sehr früh als Zionist verstanden habe: Mit 13 Jahren lernte er Hebräisch, mit dem Ziel, dass sich auch die anderen Juden in seinem Heimatdorf Plonsk – im heutigen Polen – die Sprache aneignen.

Rigoroser Zionismus

In seinem Zionismus sei Ben-Gurion rigoros gewesen. Dafür dürften auch Erlebnisse in Palästina gesorgt haben, wohin er 1906, im Alter von 20 Jahren, ausgewandert war. Drei Jahre später erlebte er „die Stärke des arabischen Hasses“, wie er es nannte: Ein Überfall auf das Dorf, in dem er lebte, bei dem zwei Juden getötet wurden. Seither sei ihm klar gewesen, dass das Leben an einem seidenen Faden hänge. 1919 habe er dann gesagt, es gebe für den Konflikt keine Lösung: bei diesem Gedanken sei er zeit seines Lebens geblieben. Auch heute sei diese Auffassung nicht unbekannt, betonte Segev. Heute sage man nur, der Konflikt sei nicht zu lösen, sondern nur zu „managen“.

Als Beispiel für den Zionismus Ben-Gurions nannte Segev den „Kampf um jüdische Arbeit“. Er sei dafür eingetreten, dass Juden arabische Landarbeiter entließen und dafür jüdische einstellten. Auch habe er den Teilungsplan der Briten von 1937 für gut befunden, weil er die Umsiedlung der arabischen Bevölkerung beinhaltete. Zehn Jahre später trat dies gewissermaßen ein – mit dem UN-Teilungsplan, der israelischen Staatsgründung, dem von arabischen Staaten begonnenen Unabhängigkeitskrieg und der Flucht und Vertreibung der zahlreicher Araber, die diese Ereignisse als „Nakba“, als Katastrophe sehen. „Man kann eine gerade Linie ziehen vom Kampf für die jüdische Arbeit und die palästinensische Tragödie vierzig Jahre später.“

Bleibende Beliebtheit

Heute sei Ben-Gurion bei den Israelis äußerst beliebt, sagte Segev weiter. Allein in den vergangenen fünf Jahren seien vier Biographien erschienen. Dies liege zwar auch an der Öffnung von Archiven, aber eben auch am Interesse. Israelis machten sich sogar ins Kino auf, um Filme über Ben-Gurion zu sehen.

Segev erklärt das Phänomen mit der Auffassung, in Ben-Gurion sähen die Israelis einen ehrlichen, vertrauenswürdigen Staatsmann – und damit eine Gegenfigur zu Benjamin Netanjahu, dem aktuellen Regierungschef. „Man kann Netanjahu in vielem unterstützten, aber mir ist noch niemand begegnet, der Netanjahu vertrauen würde.“ Wie auch immer Netanjahu zu bewerten ist – was die Regierungsgeschäfte angeht, scheinen die Israelis ihm zu vertrauen. Am 22. November 2016 übertrumpfte er Ben-Gurion in Hinblick auf die längste zusammenhängende Amtszeit, und im Juli 2019 wird Netanjahu insgesamt länger regiert haben als Ben-Gurion. Aber das sind freilich Zukunftstöne und für die Konferenztage nachrangig – zuallererst geht es hier um das Verständnis darüber, „wie alles begann“.

Von: Daniel Frick

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