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Von humanisierten Terroristen und einer roten Kuh

Auf der 68. Berlinale sorgt ein britischer Film über die Entebbe-Entführung von israelischen Geiseln für Aufregung, weil ihn die deutschen Terroristen mehr interessieren als die Opfer. Andere Filme entführen die Zuschauer nach Ostjerusalem und zur palästinensischen Polizeiausbildung.
Die freundlich zweifelnden Terroristen von nebenan: Daniel Brühl und Rosamunde Pike („7 Tage in Entebbe“)

Auf den 68. Filmfestspielen von Berlin haben Filme, die sich thematisch mit Israel auseinandersetzen, eine überraschend starke Präsenz gehabt. Als groß geplanter Blockbuster mit internationalen Stars wie Daniel Brühl („Inglourious Basterds“, „Goodbye Lenin“) und Rosamunde Pike („James Bond: Stirb an einem anderen Tag“) schlägt der Thriller „7 Tage in Entebbe“ die größten Wellen. Aber auch der israelische Debütfilm „Para aduma“ (Rote Kuh) über einen ultra-orthodoxen Vater, der mit seiner pubertierenden Tochter in Ostjerusalem lebt, sorgt für Aufsehen.

Eine echte Entdeckung ist der über sechs Jahre lang gedrehte Dokumentarfilm „What Walaa Wants“ (Was Walaa will), der eine junge Palästinenserin dabei begleitet, wie sie sich in die Männerbastion der Polizei der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) kämpft.

„Wir wollen Bomben in das Bewusstsein der Gesellschaft schmeißen“, sagt der Deutsche Wilfried Böse (Daniel Brühl) von der Terrorgruppe „Revolutionäre Zellen“ (RZ) im Film „7 Tage in Entebbe“. Der Terrorist von der Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP) fragt darauf: „Aber hast du auch schon mal eine Bombe in eine Menschenmenge geschmissen?“ Der Palästinenser spielt darauf an, dass die Terrorgruppe handeln müsse, wenn die israelische Regierung nicht ihre Forderungen zur Geiselfreilassung befolgt. Böse ist sich zu diesem Zeitpunkt in der neuen Filmversion gar nicht mehr so sicher, ob Bombenschmeißen der richtige Lösungsansatz ist.

Am 27. Juni 1976 kidnappen vier Terroristen, darunter die beiden deutschen RZ-Terroristen Wilfried Böse und Brigitte Kuhlmann (Rosamunde Pike), eine Air-France-Maschine auf dem Weg von Tel Aviv nach Paris. Der ugandische Diktator Idi Amin (Nonso Anozie) gibt ihnen auf dem Flughafen in Entebbe einen Unterschlupf. In den Fokus der Berichterstattung rückt die Tatsache, dass die Terroristen jüdische von nicht-jüdischen Passagieren separieren. Sie wollen palästinensische Terroristen aus israelischen Gefängnissen freipressen. Israel startet eine groß angelegte Rettungsaktion der festgehaltenen Touristen in Entebbe. Ein britisches Filmteam hat darüber mit „7 Tage in Entebbe“ einen neuen Spielfilm gemacht, dessen thematische Schwerpunkte problematisch sind.

Opfer erhalten kaum ein Gesicht

Die Flugzeugentführung war ein Wendepunkt in der Wahrnehmung von palästinensischen Terroraktionen in den 1970er-Jahren gegen Israelis. Vor allem die bewusste Trennung der jüdischen und nicht-jüdischen Geiseln in der Transithalle von Entebbe, die an Separierungsmaßnahmen im Holocaust erinnerte, sorgte danach für ein Umdenken in der internationalen Perspektive.

Schon ein Jahr nach Entebbe entstanden drei Spielfilme über die Befreiungsaktion. Am berühmtesten ist wohl die israelische Verfilmung „Operation Thunderbolt“ mit Klaus Kinski in der Wilfried-Böse-Rolle. Das Herzstück des Films von 1977 ist die schmerzvolle Aufteilung der Geiseln, die eine quälend lange Sequenz einnimmt. Das britische Team des neuen Films setzt andere Akzente: Die Geiseln der Air-France-Maschine werden fast gar nicht charakterisiert. Die Opfer und ihr Leid erhalten kaum ein Gesicht. Dagegen räumt das Werk größere Teile der Handlung der Hintergrundgeschichte der beiden deutschen Terroristen ein.

Das britische Drehbuch basiert auf den Recherchen des Historikers Saul David, der darüber das Buch „Operation Thunderbolt: Flight 139 and the Raid on Entebbe Airport“ geschrieben hat. In „7 Tage in Entebbe“ sieht der Zuschauer, wie die deutschen Terroristen Böse und Kuhlmann im Jemen an der Waffe ausgebildet werden, wie sie in ihrer Wohnung Pläne für die Befreiung von Mitgliedern der Terrorgruppe Rote Arme Fraktion (RAF) schmieden.

Humanisierung der Terroristen

Der Film humanisiert dabei die Terroristen, sucht ihre Perspektive auf das historische Ereignis. Böse macht über den Funk des entführten Flugzeugs einen Scherz, um die Geiseln aufzulockern. Kuhlmann hat offenbar eine schwerwiegendere Erkrankung, weil sie ständig blaue Pillen schlucken muss. Es geht dem Film darum, die Motivationen und Hintergründe der Terroristen breit zu beschreiben, um auch ihre Zweifel während des Terrorakts zu schildern.

Die Frage muss aber erlaubt sein: Warum wird einer neuen Generation von Kinozuschauern die Flugzeugentführung nach Entebbe mit solch einem Fokus erzählt? Die israelischen Opfer werden dabei nämlich marginalisiert. Wenn man nicht aufpasst, verpasst man die Trennung von jüdischen und nicht-jüdischen Geiseln gleich ganz. Die Macher des Films interessieren sich auch mehr dafür, wie der Zweikampf zwischen dem damaligen israelischen Premierminister Jitzhak Rabin und Verteidigungsminister Schimon Peres bei der Planung der Befreiungsaktion abgelaufen ist.

Positiv anzurechnen ist dem brasilianischen Regisseur José Padilha, am Anfang und am Ende des Films den traditionellen israelischen Song „Echad Mi Yodea“ in den Film einzubauen. Die weltberühmte Tanzgruppe Batsheva führt dazu einen spektakulären Tanz auf Stühlen in orthodoxer Kleidung auf, bei dem die Tänzer umfallen, als seien sie von Kugeln getroffen worden. Die Musik und den Tanz kombiniert Padilha im großen Finale der Geiselbefreiung, wenn die israelischen Spezialkräfte den Flughafen von Entebbe stürmen. Leider ist der Film dazwischen eher ärgerlich.

Die rote Kuh in Ostjerusalem

Ein anderer auf der Berlinale gezeigter Film ist das israelische Debüt „Para aduma“ (Rote Kuh) von Tsivia Barkai Yacov. Die 17-jährige Benny (Avigayil Koevary) lebt mit ihrem strenggläubigen Vater Yehoshua (Gal Toren) im Stadtteil Silwan in Ostjerusalem. Er wünscht sich den Wiederaufbau des jüdischen Tempels an der Stelle des Felsendoms. Für die illegale Siedlung Amona im Westjordanland verteilt er Flugblätter auf der Straße. Wie es im Talmud steht, hat er für die Tieropferung eine Kuh mit rotem Fell gekauft, um das Erscheinen des Messias zu beschleunigen. Seine Tochter hat die Aufgabe, die Kuh zu pflegen. Benny entdeckt aber gerade die Pubertät.

Mit viel Liebe zum Detail wird das Alltagsleben der Familie in der orthodoxen Gemeinde gezeigt, die in einer überwiegend arabisch geprägten Nachbarschaft lebt. Yehoshua hat an der Stelle, wo früher die Tempelpriester gewohnt haben sollen, eine historische Einrichtung aufgebaut und lehrt die Gemeindemitglieder. Seine Tochter Benny verliebt sich derweil Hals über Kopf in Freundin Yael (Moran Rosenblatt). Das führt zu einem großen Vater-Tochter-Konflikt, weil Homosexualität im ultra-orthodoxen Judentum als Sünde angesehen wird. Zumal Yael direkt für Bennys Vater arbeitet und auch in einer seiner Wohnungen untergekommen ist.

Vater und Tochter haben ein Problem („Para aduma“) Foto: © Laila Films/Boaz Yehonatan Yacov
Vater und Tochter haben ein Problem („Para aduma“)

Regisseurin Yacov hat bei der Schauspielführung, dem Erzählrhythmus und dem Gespür für Atmosphären eine sichere Hand wie ein alter Hase. „Para aduma“ ist fokussiert auf die Liebe: So wie Yehoshua seinen Gott anbetet, besingt und ihm zu Ehren in geheiligtem Wasser badet, so beten sich bei Yacov auf ihre Weise die Freundinnen an. Die Regisseurin setzt diese beiden Arten der Liebe bewusst zueinander ins Verhältnis. Für das jüngere Publikum in der Generation-Sektion, die für Nachwuchszuschauer gedacht ist, war die Körperlichkeit der geschilderten Beziehung zeitweise zu viel. Kontroverse, die Gesellschaft herausfordernde Themen sind aber auch eine Spezialität der Berlinale.

Sehenswerter Dokumentarfilm „Was Walaa will“

„Nur Gewalt in den Medien“, sagt Mutter Latifa im Dokumentarfilm „What Walaa Wants“ (Was Walaa will), als sie über ihre Nachrichten bei Facebook scrollt. „Die hübschen Märtyrer sterben leider immer – nur die hässlichen überleben“, scherzt ihre Tochter Walaa. Die Familie lebt im palästinensischen Flüchtlingscamp Balata im Westjordanland. Walaas Mutter ist gerade aus dem israelischen Gefängnis freigekommen. Acht Jahre saß sie hinter Gittern, weil sie die Fahrerin eines vereitelten Terroranschlags war. Die 15-jährige Teenagerin will nicht in die Fußstapfen ihrer Mutter treten. Sie träumt davon, zur Polizei der Palästinensischen Autonomiebehörde zu gehen. Ein dänisch-kanadisches Kamerateam hat sie dabei über sechs Jahre begleitet. Herausgekommen ist ein sehenswerter Dokumentarfilm.

Ein geregeltes Einkommen zu haben, ist Walaas Hauptmotivation, PA-Polizistin zu werden. Außerdem will sie nicht hinter dem Herd landen und einem Mann die Sachen nachräumen müssen. Sie ist ein selbstbewusstes Energiebündel – vielleicht ein wenig vorlaut. Aber wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hat, zieht sie es durch.

Im Jahr 2012 beginnt das Filmteam, sie auf ihrem Weg zu begleiten. Zu diesem Zeitpunkt kam ihre Mutter aus dem Gefängnis frei, weil es einen Gefangenenaustausch gegeben hatte: Über 1.000 inhaftierte Palästinenser gegen das Leben eines gefangenen israelischen Soldaten. Latifa war eine der Freigetauschten. Die PA macht Probleme bei ihrer Rente, die jedem wegen Terror inhaftierten Palästinenser zusteht. Latifa ist sich aber sicher, dass sie ihr Recht zugesprochen bekommt. Schließlich sei ihre Heimat, das Flüchtlingscamp Balata, eine der größten Märtyrer-Hochburgen. Das Camp ist eine kleine Stadt mit über 20.000 Einwohnern. Die Kamera begleitet Walaa durch die engen Gassen und die baufälligen Straßen, in die Schischa-Bar oder auf den Rücken eines Pferdes.

Exklusive Drehgenehmigung für Filmteam

Es ist das erste internationale Filmteam, das mit Aufnahmen die PA-Polizeiausbildung begleiten darf. In diesem Januar hat Regisseurin Christy Garland, die über die Jahre immer wieder in das Westjordanland reiste, noch letzte Szenen gedreht. Nachdem Walaa in die sechsmonatige Ausbildung aufgenommen wurde, entpuppt sich der Traum schnell als schweißtreibender Spießrutenlauf. Erstaunlich, in welchen schwierigen Momenten der Demütigung und des Scheiterns die inzwischen junge Erwachsene dem Filmteam gestattet, dabei zu sein.

Ein Großteil der Anwärter sind männlich. Ein gutes Dutzend weiblicher Kadetten ist aber auch dabei. Schonung gibt es da nicht. Das erste, was Walaa und ihren Kameradinnen abgewöhnt wird, ist das Schminken. Es ist für sie eine einsame Zeit, die sie auch körperlich ständig an ihre Grenzen bringt. Immer wieder wird Walaa in das Büro des Vorgesetzten bestellt. Aber der gesamte Stress zahlt sich aus, wenn sie nach Monaten der Ausbildung wegen ihrer deutlich gesteigerten Leistungen eine Kompanie zum Appell antreten lassen darf.

Alles tanzt nach meiner Pfeife: Walaa bei der PA-Polizei („What Walaa Wants“) Foto: © Christy Garland
Alles tanzt nach meiner Pfeife: Walaa bei der PA-Polizei („What Walaa Wants“)

Die Doku „What Walaa Wants“ ist keine Aschenputtelgeschichte, wie sie Hollywood erzählen würde. Der Film zeigt, wie eine junge Frau, die aus schwierigen Verhältnissen kommt und eine höchst problematische Prägung durch ihre Mutter mitbekommen hat, eine Berufung findet. Aber dieser sichere Job, für den sie brennt, führt zu keiner einfacheren Zukunft: Als PA-Polizistin arbeitet Walaa gerade auch in den palästinensischen Flüchtlingscamps. Dann ist sie der Aggressor, der randalierende Palästinenser zur Ordnung rufen muss. Dann wird sie von jungen Palästinensern mit ihren Handys gefilmt werden, so wie sie es selbst als 15-Jährige gemacht hat. Die Videos werden als Beispiele von angeblicher Polizeiwillkür im Internet geteilt werden. Aber Walaa wird ihren Weg ohne Rücksicht auf Verluste weitergehen – weil sie weiß, dass es das richtige für sie ist.

Bei der Vorführung des Films in Berlin am Dienstag ist sie da und beantwortet selbstsicher auf Arabisch die vielen verschiedenen Fragen der Zuschauer. Filmstar zu sein, könnte sie sich bei größerer Bedenkzeit als weitere Berufung sicherlich auch vorstellen. Zumindest eine Doku-Heldin ist sie jetzt bereits.

Weitere israelische Präsenz

Die Leiterin des Jerusalemer Filmfestivals, Noa Regev, hatte während der Berlinale die Ehre, in der dreiköpfigen Jury des besten Erstlingsfilms zu sitzen. Die Israelin ist auch die Chefin der Cinematheque von Jerusalem und des israelischen Filmarchivs. Am Montagabend führte sie in den israelischen Schwarzweiß-Filmklassiker „Life According to Agfa – Nachtaufnahmen“ auf dem Festival ein. In dem Gesellschaftsportrait geht es um eine Bar in Tel Aviv, wo sich einsame Seelen treffen. Der Film von 1992 wurde digital restauriert und in dieser Form zum ersten Mal aufgeführt. Nur eine Handvoll internationaler Klassiker erhalten diese Programmierung in der Berlinale-Reihe Classics. Und auch die Serie „Sleeping Bears“ (Schlafende Bären) schaffte es unter die sieben exklusiv eingeladenen Serienpremieren des Festivals.

Die Geschichte um eine israelische Lehrerin, die ihre persönlichsten Geheimnisse in Form von Protokollen ihres Therapeuten anonym zugeschickt bekommt, kam im Delphi-Palast am Montagabend gut an. Die Showrunnerin Keren Margalit war mit allen ihren Hauptdarstellern zur Premiere nach Berlin gereist. Etwas schade war, dass es nur die ersten beiden Episoden zu sehen gab.

Von: Michael Müller

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