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Als Augustinus irrte …

Einflussreiche Denker wie Augustin haben die Kirche geprägt – im Guten wie im Schlechten. Zu den fragwürdigen Traditionen gehört die Ersatztheologie. Ein lesenswertes Buch geht diesem Phänomen auf den Grund. Eine Rezension von Egmond Prill
Augustinus, hier in einer Darstellung aus dem 15. Jahrhundert, prägte das kirchliche Denken – auch beim Thema Israel

Der Theologe Rolf Wiesenhütter befasst sich in seinem Buch „Als Augustinus irrte …“ mit dem Verhältnis zwischen der Kirche und Israel. Die Ausgangsfrage des Buches findet sich im vorletzten Kapitel: „Man fragt sich immer wieder erstaunt, warum die Christenheit nicht geschlossen auf der Seite Israels steht. Die Antwort lautet: die Alte Kirche hat durch die Kirchenväter die Ersatztheologie geschaffen. Die Ersatztheologie besagt, dass durch die Kreuzigung Jesu Israel seinen Status als auserwähltes Volk Gottes verloren habe und ein Volk wie jedes andere geworden sei. An die Stelle Israels sei jetzt die Kirche getreten, sie sei jetzt Gottes Volk“ (375).

Der Autor liefert ein Kompendium, eine thematische Bibliothek zum Themenkomplex Israel, die Kirche und die Substitutionstheorie – damit ist die Behauptung gemeint, die Christenheit habe Israel als Gottes auserwähltes Volk abgelöst. Auf den weit über 400 Seiten erhält der Leser gleich zwei Bücher. Neben der Entstehung und Fortentwicklung der Enterbungslehre durch die Kirchengeschichte, eben „Als Augustinus irrte…“, wird eine Geschichte Israels als Heilsgeschichte präsentiert. Nehmen wir den Buchtitel ernst, wird mit den letzten Kapiteln ein drittes Thema dargestellt: Der Antisemitismus von Augustinus bis heute. Sachkundig beschreibt Wiesenhütter die heilsgeschichtliche Ablehnung Israels im Katholizismus, im Protestantismus und den Freikirchen.

Philosophischer Übermut gegen biblische Demut

Ausführlich wird die Theologie der frühen Kirche seziert. Augustin entwickelte sein Kirchenverständnis unter den Einflüssen platonischer Schriften. Heidnische Philosophien bildeten den Wurzelgrund für jene dualistische Weltsicht mit den Gegensätzen von Licht und Finsternis, von Gut und Böse, von Heil und Unheil und schließlich Kirche und Israel. So sieht Augustin die Erlösungsfähigkeit als Alleinstellungsmerkmal der Kirche. Demnach kann allein die „Mutter Kirche“ das Heil verwalten. „Damit ist der Eckpfeiler gesetzt, der schließlich im Jahre 420n.Chr. zur Dogmatisierung der Substitution führt, die das Heil von den Juden hin zur katholischen Kirche manifestiert“ (39). In einem ersten Fazit beschreibt Wiesenhütter den Sündenfall der Kirche, da ihre frühen Lehrer durchaus in sich logische Philosophien über das Wort Gottes stellten, dem sie nicht in Demut, sondern eher in Übermut eine neue Deutung gaben. „Die Kirchenväter haben die innerjüdische Kritik, die sich schon bei den Propheten als Ermahnung und Ruf zu Gott findet, an sich gerissen und von außen gegen Israel gerichtet. Dies haben sie noch verdreht zu einem endgültigen Verworfensein Israels (welches sich nicht mit dem biblischen Zeugnis deckt). Sie haben Israel das Gericht gelassen und zu einem endgültigen pervertiert, die Verheißungen jedoch der Kirche einverleibt“ (60).

Göttlicher Heilsplan gegen menschlichen Irrweg

Im Gegensatz dazu formuliert Wiesenhütter biblische Heilsgeschichte, ausführliche Kapitel von der Schöpfungsordnung bis zum himmlischen Jerusalem inklusive einer Deutung biblischer Feste als „Die Heilsgeschichte in den sieben Festen des Messias“. Zusätzlich wird eine „Biblisch-heilsgeschichtliche Studie zum Tempel Gottes“ aufgeführt. Von der theologischen Deutung der Stiftshütte reicht die Linie über die Tempelbauten in Jerusalem bis zur Tempel-Vollendung im Leib Jesu und im „geistlichen Tempel der Gemeinde“. Das Tempel-Kapitel schließt mit Anmerkungen zur Tempel-Vision beim Propheten Hesekiel und dem Ausblick auf das himmlische Jerusalem als Tempel.

Das dringende Anliegen des Autors ist zu spüren, der Verwerfung Israels durch die irregeleitete Kirche die bleibende Berufung Israels zum Licht der Völker entgegenzusetzen. Freilich, es sind immer neue Schauplätze der Geschichte und der Theologie. Eben ein nahezu selbständiges Buch zum Thema Israel in der Heilsgeschichte im Gesamtwerk. Es verdeutlicht Israels bleibende Erwählung, die in ein weiteres Kapitel mündet: Die Heilsgeschichtliche Stellung Israels in der Endzeit. Israels Existenz in unserer Zeit wird als „das Endzeitzeichen Nr. 1“ beschrieben. Hintergrund ist die Endzeitrede Jesu mit dem Wort vom Feigenbaum, der zu der letzten Zeit grünen wird.

Damit gewinnt das Buch brennende Aktualität im Blick auf den Nahen Osten und in einigen Passagen regelrecht politische Brisanz. Die Gründung des Staates Israel 1948 sieht der Autor als heilsgeschichtliche Erfüllung biblischer Verheißungen. Und weiter: Im Klartext wird der Antisemitismus im Islam erwähnt, konkret in unseren Tagen hier in Europa. „Die großen und bekannten islamischen Organisationen sind antisemitisch, die Muslimbruderschaft ebenso wie Milli Görüs und ihre diversen europäischen Ableger“ (417). Antisemitische Hetzschriften gehörten zu den Bestsellern in der arabischen Welt. „Beteuerungen, das habe alles nichts mit dem Islam zu tun, helfen niemandem, schon gar nicht den betroffenen Juden“ (ebd.).

Das Buch ist eine verständliche Abhandlung für eine breite Leserschaft, die zugleich wissenschaftlichen Ansprüchen genügt, nicht zuletzt durch die in reichlich vorhandenen Fußnoten niedergelegten Quellen und Querverweise. Eine lesenswerte Fundgrube für alle am Thema Interessierten. In den ausführlichen Kapiteln über Israels Erwählung ist das Mühen des Autors mit Händen zu greifen: Enterbungslehre ist nicht nur eine Sackgasse, sondern geradezu Sünde gegen Gottes Heilsplan.

Zu überlegen ist darüber hinaus, ob Autor und Verlag jenen Teil des Kompendiums als separate Schrift publizieren, der die Entstehung und Wirkungsgeschichte der Ersatztheologie beschreibt, um es jedem Nachfolger Jesu in die Hand zu geben.

Rolf Wiesenhütter: „Als Augustinus irrte … Entstehung der Substitutionstheorie, die Heilsgeschichte Israels und der Antisemitismus“, Tredition, 440 Seiten, 22 Euro, ISBN 978-3-7345-7539-6

Egmond Prill

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