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Rezension: Israel will keinen Sympathiewettbewerb gewinnen, sondern überleben

Es gibt Bücher, bei deren Titel man aufpassen sollte, wenn man sie in der U-Bahn liest. Doch „Israel ist an allem schuld“ der beiden Journalisten Esther Schapira und Georg M. Hafner ist trotz des provokanten Titels ein so wichtiges Buch, dass es jede Werbung vertragen kann – auch in der U-Bahn.
In ihrem Buch versuchen die Journalisten Esther Schapira und Georg M. Hafner, den Unterschied zwischen Israelkritik und antisemitischer Israelkritik aufzuzeigen.

Ein bisschen übel kann einem schon werden bei der Lektüre des Buches „Israel ist an allem schuld“. Die Autoren legen den Unterschied zwischen legitimer und antisemitischer Israel-Kritik frei. Dabei lernt der Leser vor allem viel darüber, wie es ist, als Jude in Deutschland zu leben. Und dass Antisemitismus keine Keule ist, mit der man jede Meinung erschlagen kann, die einem nicht passt, sondern ein fast alltägliches Phänomen, ein Aufflackern von Gedankengut in den Köpfen vieler Deutscher, die sich dessen oft nicht einmal bewusst sind.
Antisemitismus ist längst nicht mehr für glatzköpfige Neonazis reserviert. Er tritt stattdessen immer wieder auf, im Alltag, am Kinderspielplatz, in der Diskussion über Israel. Die Journalistin und Filmemacherin Esther Schapira und der Fernsehjournalist Georg M. Hafner haben Fälle zusammengetragen, in denen ein Hass auf Juden zutage tritt, wo ihn vielleicht niemand erwartet hätte. Es kommen die üblichen Verdächtigen vor: Jürgen Todenhöfer, Konstantin Wecker, Günter Grass, Martin Walser, Jakob Augstein („Walser, Grass und Augstein haben den Antisemitismus salonfähig gemacht“). Aber auch viele andere Personen der deutschen Öffentlichkeit, die zuvor nie als Israel-Kenner aufgetreten sind, wissen auf einmal, dass es besser wäre, wenn Israel sich nicht gegen den palästinensischen Terror wehren, sondern sich der Waffengewalt des Feindes schlicht und einfach ergeben würde. Ob Nina Hagen oder Norbert Blüm, beim „Gazakrieg“ unterschrieben viele bekannte Deutsche eine Petition, die vor allem aussagte, dass die meisten Deutschen einfach besser wissen, wie Israel mit Terror umgehen sollte.
Im Vorwort beschreibt Schapira, was wohl jeder Israel-Freund von Gesprächen kennt: „Wenn es um Israel geht, ist der Spaß schnell vorbei.“ Es gibt eben kein normales Verhältnis zwischen Israel und Deutschland. „Die Solidarität mit Israel ist in Deutschland Staatsräson, doch bei kaum einem anderen Thema ist die Kluft zwischen offizieller Politik und Volksmeinung größer.“ Und der alltägliche Antisemitismus nimmt zu. Was schon fast zum Alltag für Juden in Deutschland gehört, aber genau betrachtet eine Katastrophe ist: Dass es im Deutschland 70 Jahre nach dem Nazi-Regime gefährlich ist, offen eine Halskette mit einem Davidstern zu tragen. Überrascht es da, dass ein Judenstaat, der den Davidstern auf der Flagge trägt, zunehmend hasserfüllt behandelt wird?

Der große 3D-Test

Wenn Israel bombardiert wird, wird das in Deutschland als unschön angesehen. Aber wenn Israel dem ein Ende setzen will und gegen Schmuggeltunnel, Raketen und Selbstmordattentäter vorgeht, jault die deutsche Öffentlichkeit auf. Demonstrationen, auf denen Hassparolen wie „Kindermörder Israel“ skandiert und auf denen israelische Fahnen verbrannt werden, sind normal geworden und werden von der Polizei geduldet. Verdächtig ist diese „Israel-Kritik“, weil sie mit zweierlei Maß misst, erklärt Hafner. „Gleichgültig, wie sich die Palästinenser verhalten, die Sympathieschlacht gewinnen sie immer. Ob Hinrichtungen auf Verdacht, Schwulenverfolgung, Ehrenmorde, ob Korruption oder eben die mörderische Praxis menschlicher Schutzschilde, was auch immer die Palästinenser tun: Israel ist an allem schuld.“ Wenn Israelis bei Selbstmordattentaten sterben, „ist dies der Beweis für die verzweifelte Situation der Palästinenser, die sich nicht mehr zu helfen wissen. Wenn Israel die lebenden Bomben mit gezielten Tötungen ausschaltet, handelt es sich um Mord. […] Kurz gesagt, seit seiner Staatsgründung lebt der Judenstaat mit der Erfahrung, dass es am Ende immer heißt: Israel ist an allem schuld.“
Wie hält man also legitime Israel-Kritik und Antisemitismus auseinander? Die beiden Autoren empfehlen den „3D-Test“. Er stellt die drei Fragen: Wird Israel dämonisiert? Wird Israels Politik oder Existenz delegitimiert? Misst man bei Israel mit doppelten Maßstäben?
Nackte Zahlen und Fakten können helfen. Wird etwa der Vorwurf, Israel sei ein „Kindermörder“, aufgestellt, müsse man sich fragen, warum eigentlich die Tausenden Kinder, die regelmäßig von islamistischen Clans vergewaltigt und umgebracht werden, nicht zu Demonstrationen auf deutschen Straßen führen. Man muss nicht einmal den 14-jährigen, leicht geistig behinderten Jungen Hassam Abo bemühen, dem Palästinenser einen Sprengstoffgürtel umlegten und ihn zu einem israelischen Checkpoint schickten. Warum schreien die Menschen nicht „Kindermörder Hamas“, oder „Kindermörder Boko Haram“, oder „Kindermörder Nordkorea“?, wundern sich Schapira und Hafner.
Wer – wie der Bischof von Eichstätt, Gregor Maria Hanke – die Situation der Palästinenser in Ramallah mit der Situation der Juden im Warschauer Getto vergleicht, muss sich die Fragen gefallen lassen: „Planen die Israelis die Vernichtung des palästinensischen Volkes? Werden die Palästinenser systematisch ermordet? Ist Ramallah ein Getto, in dem die Menschen eingepfercht sind, ausgehungert, wahllos erschossen werden und auf den Abtransport in die Vernichtungslager warten?“ Aber es ist erschreckend: Laut einer Umfrage denkt jeder vierte Deutsche so wie Hanke. Und ganze 40 Prozent stimmen der Aussage zu, dass Israel einen „Vernichtungskrieg“ gegen die Palästinenser führt.

„Israel droht mit Selbstverteidigung“

Schapira und Hafner beleuchten den verdeckten Antisemitismus in der kulturellen Elite, in der Politik (hauptsächlich bei der Linken und in der SPD) und immer wieder: in der Evangelischen Kirche. Wenn es gegen den „Unterdrücker“ Israel geht, sind Kirchengruppen schnell dabei, zum Boykott israelischer Waren aufzurufen. Schapira und Hafner geben sich Mühe, darzustellen, dass diese Boykotts oft genau die falschen treffen, nämlich die palästinensischen Angestellten, die gerne bei erfolgreichen israelischen Firmen arbeiten. Der deutsch-israelische Journalist Eldad Beck stellt fest: „Bei orthodoxen Juden bekommen sie eine schwere Allergie, aber die Islamisten auf dem Tempelberg – wie wunderschön, was für eine Kultur!“ Eine der vielleicht perfidesten Formen des Antisemitismus brachte ein pensionierter Pastor fertig: Man müsse Israel vor sich selbst retten und es dadurch von seiner „mörderischen, schleichenden Apartheidspolitik reinigen“.
Der Rolle der Medien haben die Journalisten ein eigenes Kapitel gewidmet. Legendär ist die Überschrift des Magazins „Focus“ im Jahr 2006: „Israel droht mit Selbstverteidigung“, denn sie entlarvt das Dilemma, das ein Journalist hat, wenn er einerseits objektiv sein will, andererseits ihm aber dummerweise seine Ablehnung Israels in die Quere kommt. Nachdem zwei Palästinenser im November 2014 in einer Synagoge vier ins Gebet vertiefte Israelis mit Äxten und Messern niedermetzelten, fragte die Reporterin des „Heute Journals“ vor Ort: „Wer ist Täter, wer ist Opfer?“ So als gäbe es da eine klitzekleine Möglichkeit, dass die Juden selbst schuld an ihrer Ermordung waren. Denn schließlich waren sie ja Juden, die in Israel lebten.
Nach einem Schnelldurchgang durch die wichtigsten Stationen der Geschichte Israels wirken die Worte Schapiras und Hafners bitter: „Die Riege der deutschen Nahostexperten, die genau wissen, wie die Palästinenser ihren eigenen, natürlich demokratischen Staat erhalten, alle Menschen dort glücklich und zufrieden leben und damit nicht nur der Nahe Osten, sondern die ganze Welt befriedet werden kann, muss nicht befürchten, in Haftung genommen zu werden, wenn die politischen Wunschträume an der Realität scheitern sollten. Eines weiß Israel schon jetzt: Deutschland wird sich raushalten. Pazifistisch, kaltherzig und reinen Gewissens. Und wenn es Israel dieses Mal nicht mehr packen sollte, werden alle bei Klezmerklängen traurig sein. Das geschlagene Israel aber, der schwache Jude, wird an die Brust gedrückt und ins Herz geschlossen.“
Das Buch von Schapira und Hafner hilft einerseits, das Verhalten Israels besser zu verstehen, aber vor allem, dem Phänomen des deutschen Antisemitismus auf die Schliche zu kommen. Wirklich verstehen kann man ihn rational nur schwer. Die beste Antwort gibt vielleicht der Psychologe Louis Lewitan: Die Juden hatten in der meisten Zeit der europäischen Geschichte nie bestimmen dürfen, wo sie bleiben wollen und wie sie ihren eigenen Staat gestalten wollen. Dass sie sich nun selbstständig behaupten und sich auch noch gegen ihre Feinde mit Gewalt wehren, behagt den Deutschen gar nicht. Was viele Deutsche nicht verstehen: Israel geht es nicht darum, einen Sympathiewettbewerb zu gewinnen, sondern um das nackte Überleben. Das Buch „Israel ist an allem schuld“ trägt einen zynischen Titel, und es kann in der Tat zynisch machen. Aber zynisch ist ja nicht das Buch, zynisch sind nicht die Autoren, sondern zynisch ist die Realität. Denn: Israel ist an allem schuld. (js)
Esther Schapira, Georg M. Hafner: „Israel ist an allem schuld. Warum der Judenstaat so gehasst wird“, Eichborn, 317 Seiten, 19,99 Euro, ISBN: 978-3-8479-0589-9

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