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„Das Leben in Berlin hat mich auf Israel vorbereitet”

Heute ist er bei der israelischen Armee als Sprecher für Krisenzeiten tätig. Nun ist der ehemalige Berliner Graffiti-Sprayer Arye Sharuz Shalicar zurück in Deutschland auf Vortragsreise – um seine Autobiografie und den Film über sein Leben vorzustellen.
Ist in diesen Tagen auf Vortragsreise in Deutschland: Arye Sharuz Shalicar

Israelnetz: Der Deutsch-Iraner, in der Migranten- und Hiphop-Szene in Berlin und in Gangs groß geworden, der es bis zum Militärsprecher in Israel geschafft hat. Wie verlief da der rote Faden – wenn es den gibt?

Arye Shalicar: Na ja, ich denke, es gibt allenfalls zwei Fäden, die da parallel zueinander laufen. Der eine rote Faden hat mit Identität und Heimat zu tun. Das kommt daher, dass ich in Berlin Wedding als einziger Jude nicht wirklich zu einer Gesellschaft dazu gehörte, wo sehr viele Muslime türkischer, libanesischer oder palästinensischer Herkunft lebten. Zu Deutschland habe ich als Ausländer nicht dazu gehört und bei Juden war ich auch nicht willkommen als Krimineller und Graffiti-Sprayer aus Wedding.

Deshalb machte ich mich auf die Suche nach meiner Identität. Diese führte mich – als Jude, der bespuckt wurde und Antisemitismus ausgesetzt war – nach Israel. Und da führte der Weg von der Jahrtausendwende bis 2009 bis zu meiner Funktion als Sprecher der israelischen Armee, um Israel zu repräsentieren. Zuvor habe ich auch drei Jahre bei der Jewish Agency gearbeitet. Zuletzt bin ich jetzt auch bei der Regierung tätig – und dies als jemand, der als kleiner Junge in Deutschland mit dem Judentum ziemlich wenig zu tun haben wollte. Ich habe mich dann aber mit dem Opfer, mit dem beschimpften und bespuckten Juden identifiziert und repräsentiere schließlich nun den jüdischen Staat, wo ich das Opfer verteidigen kann. Das ist der eine rote Faden …

Und der zweite rote Faden ist?

Schönschrift. Ich war kein guter Schüler, aber ich hatte zwei gute Noten: Für Sport und für Schönschrift. Es hat mir Spaß gemacht, mit dem Füller zu schreiben. Ein paar Jahre später hat mir das Graffiti-Sprühen Spaß gemacht und ich wurde Chef der berühmten Graffiti-Bande „Berlin Crime”. Das hat ja eigentlich auch mit Schreiben zu tun, was ich bis heute mache. Nun aber mit Kolumnen für Zeitungen wie „Die Welt”, die „Berliner Zeitung” oder die „Jüdische Allgemeine”. Und ich schreibe nun auch Bücher – als Autor wie auch als Co-Autor.

Aus dem scheinbar aussichtslosen Leben als Migrant in Berlin wurde also etwas. Dieses „Etwas Werden” scheint ja auch so etwas wie ein Lebensthema zu sein. Wie stark spielte da ein dauernder Erfolgsdruck eine Rolle im Leben?

Wenn ich zurückschaue, merke ich: In Deutschland habe ich um mein Leben gekämpft. Ich habe in meiner Jugend mit Graffiti, mit Kriminalität und mit Banden zu tun gehabt. Mein Abitur habe ich nur mit Ach und Krach geschafft. Ich habe meinen Dienst in der deutschen Bundeswehr absolviert. Und als ich in Berlin mit dem Studium begann, war der einzige Job, der mir angeboten wurde, die Arbeit in der Küche und an der Kasse bei Mc Donald’s. Das war mein Standard, mehr war mit mir nicht.

Und als ich dann im Alter von 23 Jahren nach Israel ausgewandert bin, musste ich Vieles nochmals von Null beginnen: Studium, die hebräische Sprache – zumindest fast von Anfang an -, Freundschaften, Armee nochmals in Israel und so weiter. Und ja, da herrschte ein großer Druck, dass man etwas aus sich macht. Ich bin ja spät ausgewandert und wollte nicht die Tür, die ich in Deutschland hinter mir zumachte, dann später wieder aufmachen müssen. Meine Eltern konnten mich finanziell nicht unterstützen, da wir nicht die Mittel dazu hatten.

Ich hatte als Neueinwanderer und Student in Israel neun Teilzeit-Jobs und wusste nicht, was aus mir wird. Ich habe durchgepowert und lernte so viele Leute kennen. Der eigentliche berufliche Durchbruch war dann aber erst 2009, als ich zurück zur Armee ging und als Sprecher im Rang eines Majors wieder aufgenommen wurde. Und dies war das Sprungbrett für meine aktuelle Tätigkeit bei der Regierung (Anm. d. Red.: Abteilungsleitung der internationalen Beziehungen mit Sitz im Büro des Premierministers in Jerusalem).

Woher kam der Drive und die Energie, um von Berlin bis Jerusalem dann diese Karriere zu machen?

Es war eine ungeplante Entwicklung. Ich wollte als Jude in Freiheit leben und habe das auch in Frankreich und in den USA versucht. Ich habe mich dann aber schließlich für ein Leben in Israel entschieden. Das war 2001, also vor genau 20 Jahren, wo ich nicht voraussehen konnte, dass ich es bis zum Armeesprecher und als Abteilungsleiter in die Regierung schaffe. Es war ein langer Weg. Aber ich war fleißig und ich hatte einen enormen Drive, dass ich es schaffe in Israel, insbesondere wegen meiner problematischen Vergangenheit. Die Türen in Berlin standen zwar immer noch offen, aber ich wollte nicht in mein altes Ghetto zurück, wo meine Eltern dann noch lange weiterlebten.

Was bedeutete mehr Adrenalin: Das Banden-Leben in Berlin oder der Einsatz bei der israelischen Armee?

In der Gang-Szene waren Schlägereien und Messerstechereien an der Tagesordnung, und da war es für mich als 16-jähriger Junge lebensbedrohlich. Als Sprayer mussten wir vor der Polizei flüchten. Damit musste ich zurechtkommen und das hat mir sicher auch geholfen, um spätere Armeeeinsätze in Gefahrenzonen mental zu überstehen. Oder auch den Höhepunkt der „zweiten Intifada“, wo Busse und Cafés in die Luft gesprengt wurden. Ich hatte keine Sorge um mein Leben respektive konnte damit leben. Ich hatte wohl genug Übung und habe in meiner Jugend in Berlin schon gelernt, mit lebensbedrohlichen Situationen klar zu kommen. Das hat mich vermutlich vorbereitet für das spätere Leben im Nahen Osten.

Wo ist zu Hause? Nur noch in Israel?

Ich bin ja mittlerweile als deutsch-persisch-israelischer Schriftsteller und Publizist bekannt. Meine Eltern stammten aus dem Iran. Ich bin in Deutschland aufgewachsen und lebe jetzt in Israel. Alle drei Komponenten sind Teil meiner Identität. In allen drei Kulturen, Sprachen und deren Kulinarik auch, bin ich zu Hause. Im Elternhaus lag ein Perserteppich. Ich fühle mich eigentlich fast auf der ganzen Welt zu Hause und sehe mich als Kosmopolit. Wenn ich es aber auf eine einzige Heimat reduzieren müsste, dann würde die Wahl ohne Zweifel auf Israel fallen.

Und Deutschland ist „nur noch” Destination für Urlaub oder Vortragsreisen?

Nein, Deutschland ist um Einiges mehr als ein Urlaubsziel. Meine besten Freunde leben nach wie vor in Deutschland – teils auch Freunde von früher. Die Familie meiner Frau lebt noch in Deutschland. Ich rede mit meinen Kindern oft die deutsche Sprache und schreibe Deutsch auf all meinen Social Media-Kanälen oder in meinen Büchern und Kolumnen. Ich bemühe mich um internationale Beziehungen zwischen meiner alten und meiner neuen Heimat, mit allen möglichen Projekten. Deutschland ist ein großer Teil meines Lebens, aber nicht mehr der Ort, wo ich lebe.

Nach Deutschland führt nun auch eine aktuelle Vortragsreise. Wie sieht das Programm aus?

Vom 26. bis 30. Juli bin ich in drei Städten eingeladen – Laichingen, Stuttgart und München – zu Veranstaltungen mit Erwachsenen und mit Schulen. Darauf freue ich mich sehr. Solange es Corona zulässt, ist am 9. September dann auch noch der Kinostart in Deutschland – zum Film, welcher auf meiner Autobiografie basiert. Im Oktober kommt ein weiteres Buch heraus und dann bin ich hoffentlich wieder auf Lesereisen. Und das wär’s dann für dieses Jahr.

Die Fragen stellte Georg Hoffmann

Shalicars Buch „Ein nasser Hund ist besser als ein trockener Jude” wurde von Warner Brothers verfilmt. Der Titel basiert auf einem antisemitischen Sprichwort aus dem schiitischen Iran.

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Eine Antwort

  1. Sehr geehrter Herr Shalicar
    Meine Hochachtung fur die Interviews im deutschen Fernsehen. Ich kann jedes Ihrer Worte vollkommen unterschreiben und seien Sie versichertert, dass viele Menschen genauso denken und fühlen.
    Wir sind uneingeschränkt mit Israel …..machen Sie genauso weiter.
    Liebe Grüsse nach Israel

    1

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