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Mit dem Schiff ins Land der Vorväter

Deutlich vor der Staatsgründung Israels wird eine deutsch-jüdische Auswanderfamilie sesshaft. Durch die Alija entgeht sie der nationalsozialistischen Verfolgung.
Mittlerweile kommen Einwanderer nur noch selten mit dem Schiff nach Israel

Alija, so heißt im Hebräischen „Hinaufgehen“. Anfänglich bedeutete es ein Hinaufgehen nach Jerusalem, um dort die jüdischen Feste zu feiern. Heute ist damit die Rückkehr der Juden aus der Diaspora ins Land Israel gemeint, die bis Mitte des 20. Jahrhunderts meist auf Land- und Wasserwegen erfolgte.

In diesen Tagen feiert der Staat Israel mit einer Multikultigesellschaft aus über 150 Ländern seinen 73. Jahrestag seit der Neugründung durch das UNO-Mandat vom November 1947. Alija wird von staatlicher Seite unterstützt durch die Jewish Agency For Israel, JAfI, die für Prüfung der Dokumente, Organisation und Vorbereitungsprogramme zuständig ist. Seit dem Fall des „Eisernen Vorhangs“ engagieren sich auch nicht-jüdische Gruppen für die Rückwanderer, auf Hebräisch „Olim“. Die Zeit der Überfahrten aus der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten per Schiff ging 2004 zu Ende. Olim kommen heute mit Flugzeugen aus aller Welt.

Ein Oberhausener träumt von Israel

Durch die Geschichte hindurch hat das jüdische Volk Vertreibung und Zerstreuung erlebt. In den Herzen der Juden blieben jedoch Hoffnung und Sehnsucht wach, eines Tages in das Land der Vorväter zurückzukehren und es wieder aufzubauen.

Diese Sehnsucht bewegte nach dem Ersten Weltkrieg auch Walter Bein aus Oberhausen. Im Jahr 1924 verließ er als 20-Jähriger die Stadt, wo er Kindheit und Schulzeit verbracht hatte, und emigrierte nach Palästina, damals noch britisches Mandatsgebiet. 1934 folgten ihm sein Vater Robert Bein, ein Kaufmann, die Mutter sowie sein Bruder. Es wurde eine Alija ins Land der Vorväter.

Sohn Uri erzählt

Wie ging es mit Familie Bein in Israel weiter? Dazu äußert sich gegenüber Israelnetz Uri Atzmon, der Sohn von Walter Bein. Nach 1948 hatte die Familie Bein den hebräischen Namen Atzmon angenommen.

„Vater und Großvater haben wenig über Deutschland und die Alija erzählt. Wir waren ja noch Kinder. Mein Vater Walter gehörte zu einer jüdischen Jugendorganisation: ‚Blau-Weiß‘. Er war als 20-Jähriger nach Palästina eingereist. 1925 wurde er von ‚Blau-Weiß‘ nochmals für ein halbes Jahr nach Deutschland geschickt, um Jugendgruppen für die Alija zusammenzustellen. Viele kamen rechtzeitig nach Palästina; andere wurden in der Zeit des Nationalsozialismus ermordet. Die jungen Einwanderer wollten das Land aufbauen und die alten Städte neu mit Leben füllen. Mit ihnen auf dem Rückweg, traf mein Vater auf dem Schiff Lydia Okunsky, meine Mutter, gebürtig aus Posen, heute Polen. Sie reisten zusammen ein, wurden ein Paar und heirateten.

Mein Großvater Robert Bein gab erst unter der Naziherrschaft 1934 sein Geschäft in Oberhausen auf und kam mit der Großmutter zu uns nach Palästina. Wir wohnten als Familien nebeneinander im selben Ort. Leider erlebten die Großeltern die ersehnte Staatsgründung nicht mehr mit.“

Leben im Kibbutz

Nach 1948 kamen im Laufe der Jahrzehnte viele Freiwillige, auch aus Deutschland, in das junge Land, um in Kibbutzim bei der Landarbeit oder Ernte mitzuhelfen. Kibbutzim sind im ganzen Land Israel zu finden. Es waren ursprünglich landwirtschaftliche Siedlungen, in denen Menschen zusammenlebten und arbeiteten und einheitlichen Lohn erhielten. Obstbäume wurden angepflanzt, der Boden bewirtschaftet. Die Bewohner ernteten und verkauften Zitronen, Melonen, Zwiebeln, Datteln, Oliven, alle Arten Gemüse und, nicht zu vergessen, die köstlichen Weinsorten. Wie sagt man bei der Verkostung? „Le Chaim!“ Auf Deutsch: „Zum Leben!“ Für Volontäre bot die Mitarbeit gleichzeitig ein Kennenlernen von neuen Formen des Zusammenlebens in der jüdischen Kultur. Freundschaften wurden geschlossen, wovon einige bis heute bestehen.

Im Kibbutz wurden unter anderem Granatäpfel angebaut Foto: © G. Wedel
Im Kibbutz wurden unter anderem Granatäpfel angebaut

Auch Uris Vater Walter Bein lebte mit seiner Familie einige Zeit in einem Kibbutz auf dem Land der Jewish Agency, Giv‘at Brenner. Er wurde 1928 gegründet, am Aufbau wirkte er wie viele deutsche und russische Juden mit. Uris Bruder wurde dort geboren, insgesamt waren sie vier Geschwister.

Im Laufe der Zeit erweiterten viele Kibbutzim ihre Betriebe durch Industrialisierung und mit Tourismusangeboten als zusätzliche Einnahmequelle. Gästehäuser wurden gebaut, Übernachtungsmöglichkeiten geschaffen, Wellness- und Freizeitprogramme angeboten.

Israelnetz: Uri, wie ging es mit deiner Familie nach dem Leben im Kibbutz weiter?

Uri Atzmon: Zuerst zogen wir nach Tel Aviv. Nach einiger Zeit schlossen wir uns mit einer größeren Gruppe von deutschen und polnischen jungen Juden zusammen, weitere kamen hinzu, und gründeten bei Petach Tikva das Dorf Kfar Sirkin. Wir konnten ungenutzten Boden erwerben und begannen 1936, kleine Wohnhäuser zu bauen. Kuh- und Geflügelstall kamen dazu. Der Garten wurde angelegt und Zitrusbäume gepflanzt. Wir lebten nicht weit entfernt von der Stadt, nur etwa eine Stunde Fußweg. Damals gab es auch noch nicht viel Verkehr auf der Straße. Heute leben etwa 1.500 Einwohner in unserem Dorf.

Die geringe Fläche Boden unseres Dorfes gab nicht genug Ertrag. Das bedeutete, die Männer und Väter benötigten für den Lebensunterhalt eine zweite Einkommensquelle. Die Frauen und Kinder bauten weiter Gemüse an und versorgten Hühner- und Kuhstall. Wir Geschwister halfen mit, ich war damals der Jüngste. Wenn der Vater von seiner Tätigkeit nach Hause kam, packte auch er mit an.

1952 bestand die Möglichkeit, zusätzlichen Boden zu erwerben. Zu der Zeit war aber nur noch etwa ein Drittel des Dorfes in der Lage, die Bearbeitung zu übernehmen. Denn zu diesem Zeitpunkt hatten bereits die meisten Männer andere Arbeitsstellen gefunden.

Welche Tätigkeit hatte dein Vater außer in der Landwirtschaft?

Als er mit 20 Jahren nach Palästina einwanderte, waren die Landverhältnisse im damaligen Mandatsgebiet der Briten noch nicht geklärt. Er sprach Englisch und kam mit den Engländern gut zurecht. Er fand eine Anstellung im öffentlichen Sicherheitsbereich und war später verantwortlich für den Schutz unseres Dorfes vor Überfällen. Das Dorf sollte ihn bezahlen, hatte aber zu wenig Geld. Mein Vater ging von 1940 bis 1946 zum Britischen Militär. Er wurde in einer speziellen Einheit zur Bombenentschärfung am Suezkanal eingesetzt und als Offizier in Nordafrika.

Nach dem Luxemburger Abkommen 1952 für die deutsch- israelische Wiedergutmachung war er vier Jahre als Vermittler in Köln tätig. Mein Vater ist 1984 in Ramat Gan verstorben. Mein Urgroßvater, der Vater meiner Oma, war im Ersten Weltkrieg Major im deutschen Militär.

Ist jemand aus deiner Familie im Holocaust umgekommen?

Nein, alle haben überlebt. Der ein Jahr ältere Bruder meines Vaters machte mit den Großeltern, Opa Robert Bein, 1934 Alija nach Palästina. Eine Schwester des Vaters, verheiratet mit einem russisch-jüdischen Professor, wanderte nach Amerika aus.

Welche Nachrichten gab es in Palästina über den Holocaust?

Bis 1940 wussten wir nicht viel. Wir lebten 15 Jahre ohne Elektrik und Radio, nur mit Petroleumlampen. Als wir nach und nach mehr erfuhren, wollten wir erst gar nicht glauben, dass so etwas wahr sein konnte.

Wir erhielten mehr Nachrichten durch Fallschirmspringer. 1942 und 1943 waren ausgebildete Elitespringer vom Britischen Militär in das Kriegsgeschehen nach Europa geschickt worden. Sie besorgten Informationen und halfen auch mit, Juden zu finden und herauszuschmuggeln. Sie stellten Kontakte her in Ländern wie Ungarn, Holland, Frankreich, Polen oder Deutschland. Einige von ihnen wurden leider entdeckt und umgebracht.

Eine Nation wird geboren

Am 14. Mai 1948 wurde mit Unterzeichnung der Unabhängigkeitserklärung der Staat Israel von David Ben-Gurion ausgerufen. Eine Vision nahm Gestalt an. Der Traum Theodor Herzls von einer jüdischen Heimstätte wurde wahr.

Der Staat Israel begeht seinen Unabhängigkeitstag allerdings nach dem jüdischen Kalender. In diesem Jahr fiel er auf den 15. April.

Neues Land – neue Namen

Wie kam es zu der Namensänderung von Bein in Atzmon?

Mit der Staatsgründung Israels 1948 sollten auf Veranlassung von David Ben-Gurion sämtliche Angestellten im Sicherheits- und Regierungsbereich einen hebräischen Namen tragen. Dieser Aufforderung kamen beinahe alle nach, auch mein Vater. Er änderte den Namen Bein in Atzmon, das kommt von „ezem“, was „Gebein“ oder „Knochen“ bedeutet. Von da an waren wir die Familie Atzmon.

Und welche Bedeutung hat dein Vorname?

Uri, das heißt: mein Licht. Ich bin während der Feiertage der Chanukkalichter, am 25. Dezember 1933, geboren.

Uri Azmon ist seit 1954 mit Sara Gottdiener, einer 1933 in Ungarn geborenen Jüdin, verheiratet. Sie haben sechs Kinder, 22 Enkel und viele Urenkel in Israel. Erst jetzt im Alter verarbeitet Sara durch Kunst und Vorträge ihre im Holocaust durchlebten Traumata. Uri begleitet sie dabei. Israels Gründungstag nach dem gregorianischen Kalender feiern sie in diesem Jahr vielleicht wieder als Großfamilie zusammen im Garten.

Für Uri und Sara Atzmon hat Israels Gründungstag eine besondere Bedeutung Foto: © G. Wedel
Für Uri und Sara Atzmon hat Israels Gründungstag eine besondere Bedeutung

Die Stadt Oberhausen lud bis Ende der 80er Jahre immer wieder ehemalige jüdische Mitbürger in die einstige Heimat ein. Dazu gehörte auch Familie Bein (Atzmon), nach Informationen vom Stadtarchiv Oberhausen.

Von: G. Wedel

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