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Juden, Israelis und Deutschland

Das Jubiläumsjahr 2021 widmet sich der Ersterwähnung jüdischen Lebens in Deutschland vor 1.700 Jahren. Nach Jahrhunderten voller Antijudaismus und Antisemitismus erlebt es vor allem seit der deutschen Wiedervereinigung einen Aufschwung. Was oft vergessen wird: Auch israelisches Leben in Deutschland blüht.
2021 blicken das Judentum und Deutschland auf 1.700 gemeinsame Jahre zurück

Seit 1.700 Jahren leben nachweislich Juden auf dem Gebiet des heutigen Deutschlands. Das Datum bezieht sich auf eine Verfügung des römischen Kaisers Konstantin des Großen vom 11. Dezember 321. In dem Schriftstück werden Juden erwähnt, die in Köln, beziehungsweise in Colonia Claudia Ara Agrippinensium, wie die Rheinstadt damals hieß, sesshaft waren. Der Erlass ist damit der früheste schriftliche Beweis für die Existenz jüdischen Lebens nördlich der Alpen. Das Original existiert nicht mehr, doch die älteste Überlieferung des kaiserlichen Erlasses befindet sich als gekürzte Abschrift aus dem 6. Jahrhundert in der spätantiken Rechtssammlung „Codex Theodosianus“. Die Handschrift wird in der Vatikanischen Bibliothek aufbewahrt. Ab September 2021 soll anlässlich des Jubiläums das Kunstmuseum des Erzbistums Köln Kolumba sie ausstellen.

Der Inhalt der kaiserlichen Verfügung scheint allerdings im Lichte des historischen Kontextes weniger glanzvoll, erklärt der Historiker Hartmut Leppin von der Goethe-Universität in Frankfurt am Main in einem Beitrag für die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ (FAZ). Zum einen sei das Schriftstück kein Beweis einer Kontinuität jüdischen Lebens auf deutschem Boden. Eine solche sei sogar „zweifelhaft“. Denn zwischen der Ersterwähnung und den Blütejahren der jüdischen Gemeinde im Mittelalter lagen Jahrhunderte der historischen Verwerfungen. Im Erlass gestattete Konstantin den Ratsherren in Köln, Juden in ihre Reihen aufzunehmen. In der Spätantike waren Stadträte für wichtige öffentliche Aufgaben, wie das Eintreiben von Steuern, verantwortlich. Blieben die Einnahmen hinter den Erwartungen zurück, mussten sie die Differenz aus eigener Tasche zahlen. Zudem waren christliche Kleriker von einer solchen Ratsmitgliedschaft zunächst befreit. Die Erwähnung von Juden bedeutet also in erster Linie einen finanziellen Mehrwert für die Herrschenden.

Aus Leppins Sicht war das Jahr 321 daher „kein gutes Jahr“ für die Juden in Köln. Ein Blick in die deutsche Geschichte zeigt, dass sich auch in den anschließenden Jahrhunderten Licht und Schatten abwechselten. Dabei überwiegen die dunklen Jahre deutlich – mit Pestpogromen, Verfolgung und dem Vernichtungswahn im Nationalsozialismus als traurigem Tiefpunkt.

Dankbarkeit und Sorge aus Israel

Als sich Israels Staatspräsident beim feierlichen Auftakt des Festjahres im Februar in einer Videobotschaft an die geladenen Gäste wandte, sprach er eben diese dunkle Vergangenheit an. Reuven Rivlin fand dabei auch mahnende Worte in Richtung des immer noch anhalten-den und wieder erstarkten Antisemitismus in Deutschland. Dieser trete in bekannten und neuen Formen auf, warnte der 81-Jährige. „Wir“ müssten auf der Straße und im Internet eine Null-Toleranz gegen Antisemitismus zeigen, sagte Rivlin und erwähnte zeitgleich lobend das Engagement der Bundesregierung gegen Judenhass. Passend dazu forderte Anfang März der Antisemitismusbeauftragte des Bundes, Felix Klein, dass sein Amt künftig an das Bundeskanzleramt angeschlossen werden müsse, um eine „besondere Autorität“ zu bekommen.

Doch neben den „Tragödien der Vergangenheit“ und dem aktuellen Antisemitismus habe das aschkenasische Judentum im deutschsprachigen Raum auch seine Blüte erlebt, sagte Rivlin. Im Gedenken an die Vergangenheit sei es wichtig, „unser gemeinsames Erbe, den Beitrag der deutschen Juden zur deutschen Gesellschaft und die tiefe Freundschaft zwischen Deutschland und dem israelischen Staat“ zu betonen. Das israelische Staatsoberhaupt zeigte sich erfreut, dass jüdisches Leben in Deutschland in den vergangenen Jahrzehnten eine Wiederbelebung erfahre.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier trug bei dem Festakt eine Kippa Foto: Melanie Grande
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier trug bei dem Festakt eine Kippa

Ein Blick auf die Zahlen bestätigt diese Aussage. Inzwischen zählt die jüdische Gemeinde in Deutschland mehr als 200.000 Menschen. Vor allem nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion 1991 stieg die Zahl der Juden rasant an. Der Grund lag in der Migration aus dem heutigen Russland. Vor der Wende zählte die Bundesrepublik nur 30.000 Juden, die in Gemeinden organisiert waren. In der DDR gab es schätzungsweise 400 Juden in fünf Gemeinden.

Doch in den 1990er Jahren zogen nicht nur Juden aus Osteuropa nach Deutschland. Vermehrt zog es auch Israelis ins wiedervereinte Deutschland. Eine Entwicklung, die bis heute anhält. Genaue Zahlen liegen dem Statistischen Bundesamt erst seit 1967 vor. Damals lebten 7.382 israelische Staatsbürger in der Bundesrepublik. Bis zum Stichtag 31.12.2019 wuchs die Zahl stetig auf 14.310 Israelis.

Die Gründe für ein Leben in Deutschland sind vielfältig. Der Arbeitsmarkt bietet mehr Chancen, die Lebenshaltungskosten sind niedriger und gerade Berlin gilt als weltoffene Stadt. Daher ist es wenig überraschend, dass die Hauptstadt die größte Anziehungskraft für junge Israelis hat. Im Jahr 2020 lebten 5.045 israelische Staatsbürger in Berlin. Laut dem Statistischen Bundesamt waren 3.300 von ihnen 40 Jahre oder jünger.

Antisemitismus bleibt Thema

Obwohl Berlin bei jungen Israelis außergewöhnlich beliebt ist, bleibt die Zahl der antisemitischen Vorfälle in der Hauptstadt und im gesamten Bundesgebiet hoch. Die Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus registrierte im ersten Halbjahr des vergangenen Jahres allein in Berlin 410 judenfeindliche Übergriffe.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier warnte bei der Auftaktveranstaltung zum Jubiläumsjahr, dass jüdisches Leben in Deutschland „immer noch bedroht, ja sogar wieder stärker bedroht ist in einer Zeit, in der Antisemitismus sich viel offener zeigt, in der ein von Hass getriebener Attentäter eine vollbesetzte Synagoge angreift, und das am höchsten jüdischen Feiertag“. Damit bezog er sich auf den versuchten Anschlag auf die Synagoge in Halle/Saale am Großen Versöhnungstag Jom Kippur im Oktober 2019. Dass das Judentum in Deutschland wieder blühe, sei denen zu verdanken, die in das Land zurückgekehrt sind, das sie zu vernichten versucht hatte. Neben den Zuwanderern aus den Staaten des ehemaligen Ostblocks nannte Steinmeier junge Israelis. Das sei ein „unermessliches Glück für unser Land“.

Für das Jubiläumsjahr sind bundesweit tausende Veranstaltungen geplant. An dem Programm beteiligen sich Synagogengemeinden, Kultureinrichtungen und Schulen. Bund, Länder und Kommunen fördern das Jubiläumsjahr mit 25 Millionen Euro.

Von: Martin Schlorke

Diesen Artikel finden Sie auch in der neuen Ausgabe 2/2021 des Israelnetz Magazins, die am 21. April erscheint. Sie können die Zeitschrift kostenlos und unverbindlich bestellen unter der Telefonnummer 06441/5 66 77 00, via E-Mail an info@israelnetz.com oder online. Gerne können Sie auch mehrere Exemplare zum Weitergeben oder Auslegen anfordern.

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