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Gendern in der Knesset

Mit den ersten Zeilen der Bibel ist die hebräische Sprache geschlechtsspezifisch geprägt. Das moderne Hebräisch hat dies übernommen. Doch seit einigen Jahren wird in manchen Kreisen die Forderung laut, genderneutral zu sprechen und zu schreiben. Das Phänomen ist nicht neu, nun ist es auch in der Knesset angekommen.
Der Knessetausschuss zur Förderung von Frauen und Gleichstellung der Geschlechter begrüßt seine Gäste ab sofort nicht mehr im generischen Maskulinum

JERUSALEM (inn) – Die hebräische Grammatik kennt ein Maskulinum und ein Femininum. Ein Neutrum kennt sie nicht, dafür aber einen Dual, eine Zweizahl. Personen- oder Berufsbezeichnungen, die Männer wie Frauen gleichermaßen bezeichnen, werden im generischen Maskulinum genannt. Semitische Sprachen sind viel stärker geschlechtsspezifisch geprägt als etwa das Deutsche. So ist es für Nicht-Muttersprachler anfangs schwer, neben Substantiven auch Verben geschlechtsspezifisch zu konjugieren und gar Pronomen wie „du“ und „Sie“ beziehungsweise „dein und Ihr“ an das Geschlecht anzupassen. Dieses Element ist sowohl dem Bibelhebräisch als auch dem Neuhebräisch gemein.

Im Sommer 2019 sorgte die Grafikdesignerin Michal Schumer in Israel für Schlagzeilen, als sie ein neues Alphabet für die hebräische Sprache vorstellte: „Als Grundlage für ein Hebräisch, das ein Multi-Gender-Hebräisch ermöglicht, habe ich das hebräische Alphabet genommen. Doch um eine nicht geschlechtsspezifische Sprache zu ermöglichen, habe ich zusätzliche Buchstaben erfunden.“ Die Facebookseite „Multi-Gender-Hebräisch“ haben etwa 8.000 Mitglieder abonniert. In ihrer Beschreibung heißt es: „Das Multi-Geschlechter-Hebräisch ist eine neue Reihe von hebräischen Buchstaben, die das Lesen und Schreiben einer Sprache erleichtern, die mehrere Geschlechter umfasst.“ Es mache „Frauen in der hebräischen Sprache präsent und bildet einen sprachlichen Raum für nicht-binäre Identitäten“.

Auf ihrer Homepage alefalefalef hat Schumer Vorlagen ihrer „neuen Sprache“ zur Verfügung gestellt, von denen sie hofft, dass Organisationen und Orte des öffentlichen Lebens diese übernehmen. Dadurch soll sich das Bewusstsein in der Öffentlichkeit schärfen „für eine Sprache, die nicht nur Männern vorbehalten ist“.

Knessetausschuss übernimmt Alphabet

Neuerdings sind ihre Schöpfungen nicht nur in einzelnen Stadtverwaltungen, Firmen oder Schulen zu sehen, sondern auch in der Knesset. In einem Raum des Ausschusses zur Förderung von Frauen und Gleichstellung der Geschlechter sind dort die beiden Wörter „Herzlich willkommen“ an der Wand geschrieben. Auf Hebräisch heißt das „b’ruchim haba’im“, „gesegnet seien die Kommenden“. Die Endung „im“ in beiden Worten ist die maskuline Form und ist hier als generisches Maskulinum zu verstehen. Wären ausschließlich Frauen zu begrüßen, würde das die feminine Form „ot“ anzeigen, sodass es heißen müsste „b’ruchot haba’ot“. Schumer hat den vorletzten Buchstaben, das Jot, mit einem Strich nach unten verlängert – sodass sich zusätzlich ein o lesen lässt – und das „m“ so umgestaltet, dass es sich mit ein bisschen Gewöhnung als „t“ lesen lässt.

Der Abgeordnete Oded Forer, der seit Juni 2020 Vorsitzender des Frauen-Förderungs-Ausschusses ist, wirbt für ein neues Verständnis von Sprache: Auf seinem Facebookprofil schrieb er zu Beginn der Woche einen Beitrag unter der Überschrift „Sprache formt die Wirklichkeit“: „Wir nutzen den Tag der Hebräischen Sprache im Ausschuss zur Förderung von Frauen und der Gleichstellung der Geschlechter. Die Verwendung der Sprache ist eines der Werkzeuge zur Selbstdefinition eines jeden Mitglieds (weibliche Form). Die Gleichheit zwischen den Geschlechtern muss auf eine Art beginnen, mit der wir uns ausdrücken. Die Multi-Gender-Schreibweise ist ein weiterer Weg, um eine Veränderung zu bewirken, die Frauen einen Platz im öffentlichen Leben gibt. Besonders in dieser Zeit hat die Sprache eine große Bedeutung in der Gesellschaft.“

Er schließt seinen Post mit den Worten: „Sprache bringt eine Agenda voran.“ Diese Agenda bringt Schumer auf ihrer Internetseite treffend auf den Punkt: „Alle Männer und Frauen sind gleich. Wer wagt es, für mich zu entscheiden, wer ich bin.“

Viele reagieren mit Unverständnis

Anlass für das Anbringen des neuen Schriftzuges war der 5. Januar beziehungweise viel mehr der 21. Tag des jüdischen Monats Tevet: Dies ist der Tag der Hebräischen Sprache. Dieser wird in Israel am Geburtstag von Elieser Ben-Jehuda begangenen. Er hatte Ende des 19. Jahrhunderts die hebräische Sprache wiederbelebt. Forer und Schumer freuen sich: „Wir wollen Frauen auch in der Sprache sichtbar machen. Und auch denen, die sich weder als Mann noch als Frau verstehen, eine Möglichkeit geben, sich auszudrücken.“

Viele Israelis sind entsetzt über diesen anderen Zugang, auch, weil er das Selbstverständnis der biblischen Sprache infrage stellt. Manche sehen damit sogar einen Angriff auf das Judentum selbst. Was Ben-Jehuda zum „Multi-Gender-Hebräisch“ gesagt hätte, kann letztlich nur vermutet werden.

Von: mh

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