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„Außenpolitischen Einfluss der Bundesrepublik nicht überschätzen“

In Frankfurt haben Referenten einer Fachtagung über den Beitrag Deutschlands zur Lösung des Nahost-Konflikts diskutiert. Auch die Rolle der deutschen Kirchen in Israel war Thema. In diesem Zusammenhang erzählte DIG-Vizepräsidentin Korenke, warum sie vor den Kirchtagen Angst hat.
Diskussion auf der Fachtagung „Israelbilder“: Johannes Becke, Claudia Korenke, Gabriele Zander und Moderatorin Maria Coors (v.l.n.r.)

FRANKFURT/MAIN (inn) – „Deutschland muss klarer Position beziehen, an erster Stelle gegenüber Terror – denn Terror ist das Element, das im Nahen Osten den Konflikt trägt.“ Diese Ansicht hat die Vorsitzende der Deutsch-Israelischen Gesellschaft Frankfurt, Claudia Korenke, am Donnerstag bei einer Podiumsdiskussion in Frankfurt am Main geäußert. Zur Debatte in der Bildungsstätte Anne Frank stand die Frage: „Welchen Beitrag kann Deutschland zur Konfliktlösung im Nahen Osten leisten?“ Mitdiskutanten waren Johannes Becke von der Hochschule für Jüdische Studien in Heidelberg sowie die in Ostjerusalem lebende Pfarrerin Gabriele Zander. Moderiert wurde das Gespräch von Maria Coors vom Deutschen Koordinierungsrat der Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit.

Korenke betonte: „Deutschland sollte sich einmischen. Wir sollten uns überall dort auf der Welt einmischen, wo Unrecht geschieht, und zwar im Rahmen dessen, was uns möglich ist.“ Die Vizepräsidentin der Bundes-DIG forderte zudem, Deutschland müsse aufhören, Geschäfte mit dem Iran zu machen, da dieser die Vernichtung Israels zum Ziel habe. „Wir stehlen uns hier politisch zu sehr aus der Verantwortung.“

Becke warnte unterdessen davor, den außenpolitischen Einfluss der Bundesrepublik zu überschätzen. Er habe nicht den Eindruck, dass Deutschland eine eigene Nahostpolitik verfolge. Diese sei vielmehr eng abgestimmt mit der Politik der europäischen Mächte. Für Deutschland sei die Region in erster Linie ein Absatzmarkt für den Waffenhandel. Er sehe die Bundesrepublik nicht in der Position, den Nahost-Konflikt zu lösen.

Bildungsprogramm zum Thema Israel und Nahost

Allerdings könne seiner Ansicht nach die deutsche Zivilgesellschaft etwas bewegen. Es sei jedoch nicht immer hilfreich, wenn Deutsche meinten, sie müssten zu Detailfragen der israelisch-palästinensischen Grenzziehung eine Meinung haben. Oft werde vergessen, dass die israelische und die palästinensische Zivilgesellschaft sehr viel vielfältiger sei, als das manche deutsche Diskurse glauben ließen.

Becke betonte zudem die Notwendigkeit eines deutschen Bildungsprogramms für Multiplikatoren zum Thema Israel und Nahost. An deutschen Schulen trauten sich Lehrer häufig nicht, über Israel und Palästina zu sprechen. Becke wies darauf hin, dass es in Israel eine reichhaltige Bildungslandschaft für deutsche Sprache und Literatur gebe. In der deutschen Wissenschaftslandschaft sei die Beschäftigung mit dem Staat Israel hingegen nur eine kleine verkümmerte Nische. Für Judaisten sei das Thema zu modern, für Islamwissenschaftler zu jüdisch.

Angerissen wurde auch die Rolle deutscher Kirchen und Religionsgemeinschaften in Israel. Zander wies in diesem Zusammenhang darauf hin, dass in den Büroräumen der Jerusalemer Erlöserkirche auch der Bischof der palästinensischen Christen sitze. Mit dieser palästinensischen Gemeinde gebe es einen Partnerschaftsvertrag. Sie fühle sich Israel und den Palästinensern verbunden. Es sei auch die Position der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), beide Seiten im Blick zu haben und für eine Zwei-Staaten-Lösung einzutreten.

Vorbehalte gegen Israel auf dem Kirchentag

Korenke brachte an dieser Stelle eine persönliche Erfahrung mit Christen aus der Praxis ein. Die DIG sei in der Öffentlichkeit immer wieder auch mit Infoständen präsent, beispielsweise auf dem Kirchentag. Vor den Auftritten bei der kirchlichen Veranstaltung habe sie am meisten Angst. Die Gespräche dort mit Besuchern am Stand seien „fast immer aggressiv, fast immer anti-israelisch“. In den Diskussionen, die sie häufig auch mit Pfarrern führe, sei oft kein Durchkommen möglich. „Hier gibt es einen grundsätzlichen Vorbehalt gegenüber Israel.“

Becke stimmte der DIG-Vizepräsidentin zu. Man habe es hier mit einer bestimmten Generation zu tun, die langsam in Rente geht. In dieser Generation gebe es eine große Begeisterung für die Dritte-Welt-Bewegung und die Befreiungstheologie, „man verbeißt sich sehr schnell in Israel-Palästina-Fragen“. Aber es sei in der evangelischen Kirche auch ein massives Gegengewicht, ein engagiertes Milieu, vorhanden, das diese Problematik kenne. Dieses müsse mehr Unterstützung finden.

Ostjerusalem in Israel?

Zander wies darauf hin, dass die Debatten auf dem Kirchtag, die in das Palästina-Solidaritäts-Spektrum gehörten, nicht Teil der offiziellen Veranstaltung seien. „Das ist etwas, das sich aus Protest dagegen formiert hat, dass der Kirchentag zu wenig palästinensische Vertreterinnen und Vertreter einlädt“ – so habe sie das wahrgenommen.

Die Pfarrerin ist Leiterin des „Evangelischen Pilger- und Begegnungszentrums“ der Kaiserin Auguste Victoria-Stiftung auf dem Ölberg in Jerusalem. Sie hatte bereits vor der Podiumsdiskussion von ihrer Arbeit in Israel erzählt. Kurzfristig war sie für den erkrankten ehemaligen Leiter des ARD-„Hauptstadt“-Studios in Tel Aviv, Richard C. Schneider, eingesprungen. Der sollte zum Thema „Alltag im Ausnahmezustand. Mein Blick auf Israel“ einen Vortrag halten. Vorgestellt wurde Zander als Israelkennerin. Sie wies in ihrem Vortrag darauf hin, dass sie sich schwer damit tue, bei ihrer Adresse in Ostjerusalem als Land „Israel“ anzugeben, da der Status der Stadt nach internationalem Rechtsverständnis nicht geklärt sei.

Zander: Bundestagsbeschluss zu BDS schwer nachvollziehbar

Bei ihren Ausführungen äußerte sich Zander unter anderem kritisch zum Bundestagsbeschluss vom Mai, der die Israel-Boykott-Bewegung BDS als antisemitisch einstuft. Dieser sei für sie nicht ganz nachvollziehbar. Von palästinensischer Seite aus sei der Aufruf zum Boykott ein legitimes Mittel, auch wenn es BDS-Unterstützer mit antisemitischen Motiven geben sollte, sagte Zander. Sie erklärte weiter: „Vor Ort gibt es ja nicht viele Mittel, mit denen sich die Palästinenserinnen und Palästinenser gegen die Besatzung wehren können. Gewalt ist kein Mittel und rechtlich kommt man auch nicht weiter.“

Auch politisch hätten die Palästinenser keine gute Vertretung, was auch an der eigenen Regierung liegen mag. Deshalb riefen zivilgesellschaftliche Akteure zum Boykott auf. „Dass das dann hier als antisemitisch verurteilt wird, wird der Situation in Palästina sicher nicht gerecht.“

Die Pfarrerin äußerte zudem die Einschätzung: „In beiden Gesellschaften wird Kritik zunehmend weniger geduldet, in Palästina wie in Israel.“ Nach dem Vortrag wurden zahlreiche kritische Stimmen aus dem Publikum laut. Sie bemängelten, dass Zander schwierige Themen nur angerissen habe und einseitig Israel kritisiere. In diesem Zusammenhang räumte die Referentin ein, dass es Kritikern in „Palästina“ schlimmer ergehe und diese zum Teil im Gefängnis sitzen. Das sei in Israel nicht der Fall.

„Von Israel enttäuscht“

Die vom Publikum kritisierte recht einseitige Verurteilung Israels begründete Zander mit persönlicher Enttäuschung. Sie sei 1986 mit sehr viel Liebe für das Land nach Israel gegangen. Es schmerze sie, zu beobachten, was in Israel passiere, weil das Land eine Demokratie ist. Früher habe es eine größere Friedensbewegung im Land gegeben, auch sei Kritikern eher das Wort erteilt worden. Das sei heute nicht mehr so.

Die Tagung „Israelbilder, deutsche Perspektiven auf den Nahost-Konflikt“ begann bereits am Mittwochabend mit einer Diskussion über die Frage „Ist objektive Berichterstattung über den Nahost-Konflikt möglich?“.

Von: Dana Nowak

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