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„Mein ganzes Leben besteht aus Zeichen“

Als Abspaltung des schiitischen Islam gilt die Ahmadija-Gemeinschaft den meisten Muslimen als abtrünnig. Im Nahen Osten werden ihre Anhänger daher vielfach verfolgt. Eine kleine Gemeinschaft von ihnen lebt auch in Israel und versucht, sich in die Gesellschaft einzubringen.
Ajman arbeitet für den Fernsehsender der Ahmadija-Bewegung, die stark missionarisch geprägt ist

Kababir, so heißt der Ortsteil in den westlichen Hügeln des Karmel-Gebirges, im Süden der nordisraelischen Küstenmetropole Haifa. Von hier bietet sich dem Besucher ein malerischer Blick auf die Stadt und das Mittelmeer. Kababir ist nach einer großen Höhle benannt, deren Kalkstein zum Häuserbau verwendet wurde. Es ist der Wohnort einer kleinen Gemeinschaft, der Ahmadija. Weltweit hat diese schätzungsweise zehn Millionen Anhänger. Wie viele von ihnen in Israel leben, ist nicht genau bekannt. Die Zahlen schwanken zwischen 1.000 und 2.200 Mitgliedern.

Die Ahmadija-Bewegung ist eine islamische Gemeinschaft, die von Mirza Ghulam Ahmad in den 1880er Jahren in Indien gegründet wurde. „1901 ließen sich Mirza Ghulam Ahmads Anhänger offiziell als Ahmadi-Muslime in die Zensuslisten der britisch-­indischen Verwaltung eintragen“, erklärt Muhammad Odeh, Gemeindevorsteher der Ahmadis in Kababir. „Neben den islamischen Schriften Koran, Sunna und Hadith gelten für uns auch die Schriften von Mirza Ghulam Ahmad. Deshalb werden wir von vielen Muslimen nicht als solche angesehen.“

Aktive Missionsarbeit

„In den 1920er und 30er Jahren begann die Ahmadi-­Gemeinschaft als Abzweigung des schiitischen Islam in Indien, Missionare in die arabischen Länder des Nahen Ostens zu schicken“, erklärt Odeh. „Sie verkündeten den Muslimen den versprochenen Messias, den Mahdi. Der erste Missionar, Maulana Jalal-ud-Din Shams, wurde 1925 nach Syrien gesandt und zog zwei Jahre später nach Haifa, um dort die erste Ahmadija-Gemeinschaft zu gründen.“ Seitdem besteht die Gemeinschaft in Haifa.

„Nur ein Jahr später nahm Salih Abdul-Qadir Odeh die Lehre der Ahmadis an und viele Familienmitglieder folgten ihm darin. Später wurde Kababir das Zentrum der muslimischen Ahmadis im ganzen Nahen Osten.“ 1934 wurde die Mahmud-Moschee gegründet sowie ein Kultur- und Begegnungszentrum gebaut. In Kababir wohnen einzelne Juden, vorherrschend ist aber die Odeh-Familie. Dessen bekanntestes Mitglied ist der Knessetabgeordnete und Chef der arabischen Partei Hadasch, Ajman Odeh. „Tatsächlich wird unser Ort von wenigen Familien bewohnt.“ Lächelnd fügt Odeh hinzu: „Es sind aber nicht nur die Odehs, es gibt noch drei weitere Familien, die zur Ahmadija gehören.“

Die Mahmud-Moschee beherrscht mit ihren 34 Meter hohen Minaretten das Bild von Kababir Foto: Israelnetz/mh
Die Mahmud-Moschee beherrscht mit ihren 34 Meter hohen Minaretten das Bild von Kababir

Die Bewegung ist stark missionarisch geprägt. So betreibt sie einen Fernsehsender, gibt in einem eigenen Verlag Bücher heraus und produziert eine monatlich erscheinende Zeitschrift. In Kababir wohnt heute auch Ajman. Vor etwas mehr als zehn Jahren studierte er an der Nadschah-Universität in Nablus und wohnte mit zwei anderen Studenten in einer Wohnung. Vor Journalisten bezeugt er sein Bekehrungserlebnis: „Eines Nachts schaute ich Fernsehen und nickte ein. Als ich aufwachte, war ein anderes Fernsehprogramm angeschaltet. Meine Mitbewohner schliefen in ihren Zimmern, die Fernbedienung lag vor mir auf dem Tisch. Den Sender hatte ich vorher noch nie gesehen, es war der Ahmadi-Sender. In dem Moment als er aufwachte, sei das Gesicht des Sektengründers Mirza Ghulam Ahmad auf dem Bildschirm zu sehen gewesen. „Plötzlich wusste ich, dass er der Mahdi ist, der erwartete Messias.“

Von der Familie verstoßen

Ajman nahm Kontakt zu dem Fernsehsender auf, und der Leiter im Westjordanland rief ihn zurück. „Das war 2008. Die Lehre überzeugte mich. Erst lebte ich als versteckter Ahmadi und als ich es öffentlich machte, hat meine Familie mich verstoßen. Mein Vater sagte damals: ‚Warum bist du nun ein Ahmadi? Besser wäre, du wärst Atheist geworden.‘ So sehr sind wir Ahmadis bei den Muslimen verhasst.“ Das ist auch der Grund, warum Ajman seinen Familiennamen nicht nennt: „Das ist besser, weil mein Vater ein einflussreicher Mann in einem Ort nahe Ramallah ist. Meine Konversion wirft ein schlechtes Licht auf meine Familie.“

Einige Jahre nach seiner Bekehrung zog Ajman nach Kababir und heiratete dort eine Ahmadi: „Meine Frau und Kinder sind Israelis. Ich brauche die Staatsbürgerschaft nicht, ich bin weiterhin Palästinenser und lebe als solcher in Haifa.“ Von seinem neuen Weg ist Ajman überzeugt: „Die Ahmadija schafft die Verbindung zwischen dem Menschen und Allah.“

Voller Überzeugung arbeitet Ajman heute selbst für den Fernsehsender. Und ist passioniert, wenn es darum geht, von seinen Glaubenserfahrungen zu berichten: „Später erlebte ich noch ein Wunder: Meine Frau und ich waren zwei Jahre verheiratet und hatten eine Tochter. Eines Tages sagte mir mein Doktor, ich könne keine weiteren Kinder bekommen. Doch in der Nacht nach dieser schrecklichen Nachricht hatte ich einen Traum. Darin wurde mir verheißen, dass ich drei Söhne bekommen würde: Muhammad, Ahmad und Abd ar-Rahman. Ich freute mich sehr, meine Frau war anfangs etwas skeptisch. Doch heute haben wir einen zweijährigen Muhammad und Ahmad ist wenige Monate alt.“

Ein Leben voller Zeichen

Ayman strahlt, wenn er davon berichtet. „Als Ahmadis sehen wir Zeichen. Mein ganzes Leben ist voll davon. Wir sollten wie Allahs Spiegelbild sein. Doch wie können wir dazu werden? Nur wenn wir Allah kennen. Alles ist doch im Koran festgeschrieben. Wie die meisten Muslime glaubte auch ich früher, dass Christen und Juden wie Schweine seien. Ja, das steht im Koran. Aber es ist metaphorisch zu verstehen. Es geht um die Moral. Wer eine schlechte Moral hat, ist ein Schwein. Und das kann sowohl ein Jude oder ein Christ sein als auch ein Muslim, der seine Religion nicht ernst nimmt.“

Die traditionelle Lehre im Islam kennt das Prinzip der Abrogation: Später offenbarte Verse der islamischen normativen Schriften ersetzen frühere. Im Fall, dass sich zwei Verse widersprechen, verliert der zuerst überlieferte Vers seine Gültigkeit. Doch von diesem Prinzip will Ajman nichts wissen. Und auch sein Glaubensbruder Muhammad Scharif pflichtet ihm bei: „Die Lehre der Abrogation ist die offene Tür für die Zerstörung der Religion.“ Weiter wollen sie sich zu diesem Thema nicht äußern.

Kritiker werfen der Bewegung vor, das islamische Prinzip der Taqija zu praktizieren, also die Möglichkeit, Ungläubige täuschen zu dürfen, wenn es der Durchsetzung eigener Interessen dient. Darauf angesprochen, macht Odeh eine wegwerfende Handbewegung und sagt überzeugt: „Wir Ahmadis wollen mit allen Menschen in Frieden leben.“

Der Koran auf Jiddisch

Ahmadis sprechen sich für die Trennung von Staat und Religion aus. Ein guter Ruf ist ihnen wichtig, und so betont Odeh, dass seine Moschee auch Christen und Juden offen steht. Stolz berichtet er von Besuchen jüdischer Rabbiner, des früheren Staatspräsidenten Schimon Peres und des ehemaligen Knessetabgeordneten Jehuda Glick: „Wenn wir einander kennenlernen wollen, müssen wir miteinander sprechen.“

Gäste bekommen Maqlube serviert, ein traditionelles Reisgericht mit Hühnchenfleisch. Dazu werden Salate gereicht. Wie in den meisten muslimischen Gesellschaften ist auch in der Ahmadi-Gemeinschaft die Gastfreundschaft ein hohes Gut. Die Ahmadis laden Muslime und Nichtmuslime freundlich ein, die Gemeinschaft besser kennenzulernen. In den 1980er Jahren übersetzte der damalige Leiter Mirza Tahir Ahmad sogar den Koran in die Jiddische Sprache.

Diesen Artikel finden Sie auch in der Ausgabe 4/2019 des Israelnetz Magazins. Sie können die Zeitschrift kostenlos und unverbindlich bestellen unter der Telefonnummer 06441/5 66 77 52, via E-Mail an info@israelnetz.com oder online. Gerne können Sie auch mehrere Exemplare zum Weitergeben oder Auslegen anfordern.

Von: mh

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