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„Sie sind mein Glück“ – Warum Israelis so viele Kinder bekommen

Israel hat die höchste Geburtenrate in der westlichen Welt. Warum bekommen in einem Land, in dem es regelmäßig Anschläge und Kriege gibt, selbst nicht-religiöse Frauen so viele Kinder?
Die Geburtenrate in Israel ist die höchste in der westlichen Welt

Amit sitzt auf dem Sofa und spielt auf dem Tablet-Computer, Juval schaukelt auf der Terrasse, Omer isst einen Birnenschnitz am Tisch und Schachar brüllt. „Willst du dich mit mir hinsetzen?“, fragt seine Mutter Rinat Ginovker. Der Zweijährige mit den blonden Locken reagiert nicht. Sie gibt ihm einen Schnuller. Der Junge beruhigt sich. Die Sonne geht unter über den Bergen nahe Jerusalem.
„Sie sind mein Glück“, sagt Ginovker – Brille, blonde Haare im Pferdeschwanz, T-Shirt, blaue Hose – über ihre vier Kinder im Alter von zwei bis neun Jahren. „Ich weiß, wir haben sehr schwere Tage. Aber ich kann mir mich nicht anders vorstellen.“ Sie lebt mit ihrem Mann Moti in Mewasseret Zion, einem Vorort von Jerusalem – und ist mit ihren vier Kindern keine Seltenheit in Israel.
Der jüdische Staat ist laut der Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) das Land mit der höchsten Geburtenrate in der westlichen Welt. Im vergangenen Jahr lag sie bei 3,1 Kindern pro Frau, wie das Zentrale Israelische Statistikbüro mitteilt. Zum Vergleich: In Deutschland waren es 1,5 Kinder.

Optimismus und Zufriedenheit

Für Rinat Ginovker war früh klar, dass sie wenigstens drei Kinder haben will. „Wir waren drei Schwestern in meiner Familie, und das sah für mich normal aus“, sagt sie. „Ich denke, dass Brüder und Schwestern die besten Freunde sind.“ Für den Demographen Sergio DellaPergola sind die Gründe für den Kinderreichtum im Land eindeutig: „Es gibt zwei Erklärungen für die hohe Geburtenrate in Israel: die eine ist Optimismus, die andere sind materielle Ressourcen.“
Die israelische Gesellschaft sei sehr optimistisch, die Menschen seien zufrieden – im Gegensatz etwa zu Deutschland. „Das ist außergewöhnlich, weil wir so viele Herausforderungen haben, Probleme im Land, international, Momente des Krieges, weit verbreitete Armut“, sagt der Professor von der Hebräischen Universität in Jerusalem.
Außerdem habe sich der Lebensstandard in Israel in den vergangenen Jahrzehnten stark entwickelt. „Israel war viel ärmer, immer sehr nett, aber jetzt ist es ein sehr wohlhabendes Land.“ 2015 habe sich die Hälfte der 8,5 Millionen Israelis einen Urlaub im Ausland leisten können. Die Arbeitslosenrate ist mit prognostizierten 5,4 Prozent in diesem Jahr sehr gering (Angaben des Auswärtigen Amtes).
Die Armut konzentriere sich auf die strengreligiösen jüdischen Familien, in denen oftmals der Vater nicht arbeiten gehe, um die Torah zu studieren – und auf die arabischen Familien, in denen die meisten Mütter nicht arbeiteten. Doch gerade die ultra-orthodoxen Juden seien wiederum die Optimistischsten aufgrund ihrer guten sozialen Netzwerke. Frauen aus dieser Gruppe bekommen im Schnitt sogar 5,3 Kinder.

Karriere trotz Kinder

Kinder gelten in Israel auch nicht als Karrierebremse. Trotz der vier Kinder arbeitet neben ihrem Mann Moti auch Rinat Ginovker fast Vollzeit. Die studierte Politikwissenschaftlerin organisiert in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem Führungen für Schulklassen – 37,5 Stunden die Woche. Ihr Mann ist in einem Unternehmen tätig, das Aquarien herstellt.
Frauen erhalten in Israel während des Mutterschutzes 14 Wochen lang ihr volles Gehalt weiter. Elterngeld gibt es nicht. Bei der Geburt der heute neunjährigen Juval hat Rinat Ginovker knapp fünf Monate pausiert. Danach kam das Mädchen tagsüber zur Pflegemutter. Heute helfen die Großeltern bei der Kinderbetreuung am Nachmittag. Ein, zwei Mal die Woche macht Rinat Ginovker früher Schluss.
Für die Soziologin Orna Donath hat die hohe Geburtenrate in Israel vor allem religiöse und politische Gründe. „Die Pflicht, Kinder zu bekommen, und Mutter zu sein, ist präsent in religiösen Geboten, wie ‚seid fruchtbar und mehret euch‘“, sagt die Autorin des Buches „Regretting Motherhood“ (Bedauern der Mutterschaft). Diesem Gebot fühlten sich auch säkulare Israelis verpflichtet.
Außerdem sei nach dem Holocaust sowie im Konflikt mit den Palästinensern die Fruchtbarkeit vieler Jüdinnen vom Staat Israel instrumentalisiert worden. „Deren Gebärmütter werden als ‚nationale Gebärmutter‘ wahrgenommen, die für das größere jüdische Wohl rekrutiert werden sollen“, behauptet Donath. Frauen sollten viele Kinder bekommen und damit die Nation stärken. So zahlt der Staat auch Frauen auf Wunsch so viele künstliche Befruchtungen, bis sie zwei Kinder haben.
Für Moti Ginovker ist Politik allerdings kein Thema in Bezug auf die Familienplanung. Kinder zu bekommen sei Teil der Gemeinschaft, in der sie lebten, sagt er. „Wenn alle um dich herum Kinder haben, denkst du: Vielleicht macht das Spaß.“ (dpa)Das Demographie-Phantom (inn)
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