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Die Hamas als Nachbar

Israelis müssen an der Grenze zum Gazastreifen ständig mit Raketenangriffen durch die Hamas rechnen. Besonders für Kinder ist das traumatisierend – ans Wegziehen denkt aber kaum einer.
In jeder Situation müssen die Menschen alarmbereit sein
Fünfzehn Sekunden. Fünfzehn Sekunden sind es, die den Bewohnern des israelischen Kibbutz Kfar Aza bei Bombenalarm bleiben, um einen Schutzbunker zu erreichen. Fünfzehn Sekunden, bis die Raketen der radikal-islamischen Hamas aus dem Gazastreifen in ihre Häuser, Gärten oder Spielplätze einschlagen. Hohe Zäune sichern das Gelände von Kfar Aza, wo knapp 800 Menschen leben. Blicken die Bewohner über den Stacheldraht, erkennen sie Gaza am Horizont, etwa 1,7 Kilometer entfernt. Die gut gesicherte Dorfgemeinschaft erinnert in ihrer Idylle an einen Ferienclub: Die Bungalows werden von duftenden Blumen und Büschen gesäumt, ein großes Schwimmbad mit Sonnensegel liegt unweit eines Kindergartens. „Das Leben hier ist zu 99 Prozent wie im Himmel“, erklärt Ofir Liebstein, der Sprecher des Kibbutz. „Aber zu einem Prozent ist es die Hölle, und diese Hölle kann jederzeit losbrechen.“ Die Hölle erlebten die Bewohner zuletzt im Sommer 2014, als die Hamas eine Großoffensive gegen Israel startete. Mehrfach am Tag schlugen Raketen in und um Kfar Aza ein, beschädigten Häuser und Autos. Im Nachbardorf wurde ein Vierjähriger bei einem Raketeneinschlag getötet. Entsprechend hoch sind die Sicherheitsmaßnahmen des Kibbutz: Die Bunker auf dem Gelände sind so zahlreich gestreut, dass jeder sie in fünfzehn Sekunden erreichen kann. „Wenn plötzlich die Sirene heult – welches seiner Kinder schnappt man sich zuerst?“, fragt Liebstein, der Vater von vier Söhnen ist. Für die Kinder sind die Angriffe besonders belastend: Viele entwickeln posttraumatische Stresssymptome, zucken beim Zuschlagen einer Tür zusammen oder werden als Jugendliche wieder zu Bettnässern. Sie gehören zu jenen Opfern des Nahost-Konflikts, von denen in deutschsprachigen Medien kaum zu lesen ist.

Nachts hören sie, wie die Hamas Tunnel gräbt

Zur Ruhe kommen viele Israelis nahe der Grenze zu Gaza noch nicht mal im Schlaf. In der Stille der Nacht hören sie ein leises Klopfen, Scharren oder Hämmern – tief unter der Erde. Sind es Palästinenser, die Tunnel Richtung Israel graben? Für den jüdischen Staat sind diese Tunnel – bis zu 40 Meter tief und teils groß genug für die Durchfahrt von Transportern – ein massives Sicherheitsproblem. Die Hamas nutzt sie, um Waffen und Terroristen nach Israel zu schmuggeln, viele Juden fürchten sich auch vor Entführungen. Nicht auszudenken, kämen eines Nachts Terroristen der Hamas in ein israelisches Dorf wie Kfar Aza. Arje Scharuz Schalicar, ein Sprecher der israelischen Armee, nimmt diese Sorgen ernst: „Manchmal entdecken wir nur grabende Tiere, wenn wir gerufen werden, aber immer wieder finden und zerstören wir Tunnel der Hamas“, erklärt er. Zuletzt war dies Anfang Mai der Fall. Absurd erscheint, woher die Hamas die Mittel zum Bau der Tunnel hat. Zum einen hat Israel sich selbst verpflichtet, Baumaterialien zum Aufbau zerstörter Häuser nach Gaza zu liefern. Diese werden von der Hamas jedoch oftmals für die Tunnel eingesetzt. Zum anderen ist die Hamas durch – ebenfalls zweckentfremdete – finanzielle Hilfen der Europäischen Union und der Vereinten Nationen in der Lage, technisch versierte Tunnel zu graben – zuweilen gar inklusive Aufenthaltsräumen und Duschen für die Hamas-Kämpfer.

Saisonarbeiter aus Thailand statt aus Gaza

Zehn Minuten von Kfar Aza entfernt leben die Pensionäre Gabriel und Sylvie Weil. Ihre gemütliche Wohnung ist voll von Bücherregalen: Beide haben in Be’er Scheva als Psychologen gearbeitet, Gabriel Weil erstellte 1995 das psychologische Gutachten für den Mörder des israelischen Premierministers Jitzhak Rabin. Vor 50 Jahren sind Weil und seine Frau aus Frankreich nach Israel ausgewandert, zehn Jahre danach haben sie sich im Dorf Moschaw Simrat niedergelassen. Damals, klagt Gabriel Weil, als der Gazastreifen noch nicht abgeriegelt war, sei vieles besser gewesen. Israelis konnten zum Einkaufen nach Gaza fahren, die Palästinenser kamen als Handwerker in die israelischen Ortschaften. Diese Zeiten seien vorbei: „In Gaza sind viele arbeitslos, während wir Saisonarbeiter aus Thailand auf die Felder schicken“, kritisiert er. Eine Lösung für die paradoxe Situation haben auch Weils, die sich politisch als linksliberal verorten, nicht. „Israel will Frieden aushandeln, hat dafür aber keinen Partner“, erklärt Gabriel Weil. „Wenn dein Verhandlungspartner dich vernichten will, ist er kein Partner.“ Und so hat auch Weils kleines Haus einen Schutzraum. Gabriel liest noch immer viel, Sylvie backt einen hervorragenden Schokoladenkuchen – bei Alarm wird dieser Alltag für mehrere Stunden unterbrochen. Wegziehen wollen die Weils nicht, und auch in Kfar Aza denkt keiner daran. Elf neue Häuser sind hier in Planung. An Israelis, die bewusst in der Dorfgemeinschaft leben möchten, mangelt es nicht. „Wenn wir wegziehen, dann sieht die Hamas: Je mehr Raketen wir abschießen, desto weniger Juden leben hier“, erklärt Liebstein. Dann hätte der Terror gewonnen. (mb)

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