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Holocaust-Überlebende: „Traumatisierte brauchen Würde“

BERLIN (inn) – Seit 25 Jahren hilft die Organisation „Amcha“ in Deutschland Holocaustüberlebenden. Zum Jubiläum haben in Berlin Therapeuten und Politiker über die gesellschaftlichen und individuellen Wunden durch Krieg und Genozid diskutiert.
Bei der Podiumsdiskussion sprach unter anderen Grünen-Politiker Beck (2. v. r.)
Giselle Cycowicz hat den Holocaust überlebt. Sie kam 1927 im tschechoslowakischen Chust in den Karpaten zur Welt und wurde 1944 nach Auschwitz deportiert. Nach ihrer Befreiung wanderte sie 1948 in die USA aus und arbeitete nach dem Studium als Psychologin in New York. „Als ich begann, mich wissenschaftlich mit dem Thema auseinander zu setzen, verminderten sich meine eigenen traumatischen Erlebnisse“, sagt Cycowicz. Dieser Weg steht nicht allen Holocaustüberlebenden offen. Um den Überlebenden mit ihrem Trauma zu helfen, wurde 1987 die Hilfsorganisation „Amcha“ (dein Volk) von Überlebenden für Überlebende gegründet Diesen hebräischen Ausdruck nutzten Juden während der Nazizeit als Codewort. Das 25-jährige Jubliäum des Deutschland-Zweiges, der 1990 gegründet wurde, hat die Organisation am Donnerstagabend im Berliner Jüdischen Museum mit einer Podiumsdiskussion begangen. Neben Cycowicz diskutierten Traumaexperte Martin Auerbach (Jerusalem), der Psychologieprofessor David Becker (Berlin) sowie der Bundestagsabgeordnete der Grünen, Volker Beck, über die Probleme der Überlebenden sowie die Folgen von Genozid für die Gesellschaft.

Würde gegen Einsamkeit

„Die Einsamkeit ist das größte Problem der alten, traumatisierten Menschen,“ sagt Cycowicz, die nach ihrer Emigration nach Israel begann, für „Amcha“ zu arbeiten. Die 88-Jährige ist noch heute in Jerusalem in der Betreuung Schwertraumatisierter aktiv. „Viele Holocaustüberlebende werden krank vor Einsamkeit. Das kann bis zum Wunsch nach Selbstmord führen.“ Nach eigenen Angaben betreut „Amcha“ rund 17.000 Klienten in Israel, damit diese wieder Halt im Leben finden – und etwa die Einsamkeit überwinden. „Es ist nicht die rein physisches Präsenz eines Menschen, die gegen die Einsamkeit hilft. Entscheidend ist, dass Menschen der emotionalen Einsamkeit der Opfer begegnen“, erklärte Auerbach. Seit 2007 ist er klinischer Direktor von „Amcha“ in Israel. Der gebürtige Wiener, dessen Eltern den Holocaust überlebt haben, ist zudem Gründungsmitglied der „Israel Trauma Coalition“. Wichtig sei dabei, den Traumatisierten Würde entgegenzubringen, betont Auerbach weiter. Selbst im jungen Staat Israel habe man den Überlebenden des Holocaust anfangs wenig Würde entgegengebracht. Traumatabearbeitung sei ein Prozess, der ein Gegenüber benötige, der dem Überlebenden mit Würde begegne und dessen Leidensgeschichte glaube. Noch heute nehme man Kriegsopfern ihre Leidensgeschichten nicht ab.

Anhaltendes Trauma

Vor 70 Jahren befreiten die heranrückenden Verbände der Alliierten die Überlebenden der Scho‘ah aus den Konzentrations- und Vernichtungslagern der Nationalsozialisten. Für die traumatisierten Überlebenden war die Befreiung zwar die Rettung vor dem sicheren Tod, jedoch keine Erlösung für das Leben. „Erlittenes Leid stellt sich nicht einfach als psychische Krankheit dar“, sagt der Professor für Psychologie, David Becker. Auch die Annahme, dass „sobald man aus dem Konzentrationslager heraus ist, das Trauma vorbei ist“, sei falsch. Es gehe auch darum aufzuarbeiten, was heute passiere.

Engagement mit Erfahrung

Das ist auch ein Anliegen des Grünen-Politikers Beck, der sich seit Jahren für die Entschädigung Holocaustüberlebender einsetzt. „Mache stecken es einfach weg, andere benötigen Betreuung bei der Aufarbeitung und Bewältigung von Traumata“, sagt der Politiker, der sich im deutschen Bundestag auch für die Entschädigung von Zwangsarbeitern stark macht. In diesem Jahr erhält er den Leo-Baeck-Preis. „Mein Eindruck ist, wir fangen jedes Jahr wieder von vorne an“, äußerte er im Hinblick auf die zögerliche Bereitstellung öffentlicher Gelder für die Opfer des Holocaust und der Zwangsarbeiter. Gegenüber Israelnetz erklärte Beck, er begrüße es, wenn sich Kirchengemeinden oder Landeskirchen für Holocaust-Überlebende einsetzen. Sinnvoll sei hier allerdings eine Zusammenarbeit mit Organisationen wie „Amcha“. Eine Gemeinde könne diese Arbeit von sich aus meist nicht leisten, da die nötige Erfahrung im Umgang mit Überlebenden fehle. „So etwas lernt man nicht unmittelbar im Psychologiestudium“, sagte Beck. „Amcha“ zählt heute zu den bedeutendsten psychosozialen und psychotherapeutischen Hilfeeinrichtungen Holocaustüberlebender und ihrer Familien in Israel. Die Organisation entwickelt Methoden und Ansätze zur langfristigen Bearbeitung extremer Traumata, die Menschen infolge kollektiver Gewalt erlitten haben. (nob)

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