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„Götzendienst“ am „Lag Ba‘Omer“

Wer ist Messias? Und wer nur Rabbi? Bei einer Prozession zum jüdischen Fest „Lag Ba‘Omer“ gehören religiöse Streitgespräche zum guten Ton. Eine Begegnung in Jerusalem.
Mit Trommel und Transparent: Die Prozession zum Fest "Lag Ba'Omer" bahnt sich ihren Weg.

„Das ist Götzendienst! Wie kann man nur aus einem Rabbi den Messias machen?! Götzendienst!!! Das widerspricht der Halacha (dem jüdischen Gesetz)!“ Der bärtige Bettler hat seinen Sitzplatz an der Kreuzung der Straßen Ben Jehuda und King George im Zentrum von Jerusalem und ist nicht zu überhören. Er schreit an gegen den Lärm der Pauken und Trommeln, die etwa zwei Dutzend orthodoxe Kinder betätigen.
Die Krachmacher sind Teil einer Prozession aus Anlass des jüdischen Festes „Lag Ba‘Omer“. Andere Kinder tragen Transparente und große gelbe Fahnen, auf denen eine Krone und der Schriftzug „Maschiach“ – Messias – zu sehen ist. Ein paar dunkel angezogene Männer laden über Lautsprecher zu einer Massenveranstaltung auf den Berg Meron ein, wo sich Hunderttausende zu Ehren von Rabbi Schimon Bar Jochai versammeln. Die Ansprache ist undeutlich, von ohrenbetäubendem Trommeln begleitet, so dass nur einzelne Wortfetzen durchdringen.

Ein Bild von einem Rabbi

Höre ich recht? „Rabbi Schimon Bar Jochai ist hier“? – Am Ende der Prozession läuft ein nettes Mädchen mit. Ich bitte sie um Erlaubnis, ihr Schild lesen zu dürfen: „Es lebe unser Herr, unser Lehrer, unser Rabbi von nun an bis in die Ewigkeit.“ Darüber ist das Bild eines osteuropäischen Rabbiners. Das kann auf keinen Fall Rabbi Schimon Bar Jochai sein, der im zweiten Jahrhundert unserer Zeitrechnung gelebt hat.
Deshalb frage ich das Mädchen: „Wer ist das auf Deinem Bild?“ – „Das ist DER Rabbi!“, kommt als Antwort. „Welcher denn?“, frage ich verunsichert, denn aus den Mikrophonen höre ich immer wieder den Namen „Bar Jochai“, gleichzeitig aber auch die Worte: „Es lebe unser Herr, unser Lehrer, unser Rabbi von nun an bis in die Ewigkeit!“ – „Der Lubawitscher Rebbe“, antwortet sie mir ganz freundlich und etwas schüchtern. „Aha“, bin ich schon fast erleichtert, weil die Chabad-Bewegung ihrem alten Rabbiner treu geblieben ist und nicht etwa aus dem „Meron“-Rabbi einen neuen „Messias“ gemacht hat.

Gespräch im Trommelwirbel

„Die armen Kinder!“, regt sich der Bettler auf: „Es tut mir weh im Herzen, wie die zum Götzendienst missbraucht werden!“ Noch bevor ich ihn auf den Messias ansprechen kann, gesellt sich eine orthodoxe Frau mit einer Sammeltüte zu mir, die mich in freundlicher Unterhaltung mit der Schildträgerin beobachtet hat. Sie bittet um eine Spende für krebskranke Kinder und zeigt sich sehr zufrieden, weil ich ihre Bitte nicht zurückweisen kann.
Endlich kann ich meine Frage nach dem Messias des Bettlers loswerden. „Maschiach ist der König David! Nicht irgendein Rabbi“, erhitzt er sich wieder neu. Um ihn herum steht ganz selbstverständlich eine Gruppe von Menschen. Immerhin sitzt er direkt neben der Fußgängerampel. Manche schalten sich in das lautstarke Gespräch mit ein. Schließlich muss man die Trommler überschreien.

Passanten mischen mit

Eine Frau, die offensichtlich zu den Lubawitschern gehört und für Wallfahrt zum Meron, zum Grab von Rabbi Schimon Bar Jochai, wirbt, wehrt sich: „Weißt du, was Götzendienst ist?! Dass du den ganzen Tag hier sitzt und säkulare Frauen, die ihre Körper enthüllen, anschaust!“ Mehrfach wiederholt sie ihre Beschuldigung. Aber der Bettler ignoriert sie einfach. Er möchte seine eigene Meinung über den Maschiach unterstreichen und ruft: „Ich bin ein Sfaradi, ein Marokkaner, und so wurde ich gelehrt. Selbst der verehrte Rabbi Ovadja Josef hätte zu so etwas nie zugestimmt!“
Vielleicht hat er irgendwie gespürt, dass ich Christin bin. Jedenfalls fügt er noch laut hinzu: „Nicht der Ben David, der Sohn Davids, sondern der König David ist der Maschiach! Der Lubawitscher und auch ‚Jeschu‘ (wie orthodoxe Juden Jesus von Nazareth abfällig nennen; Anm. d. Red.) sollen zur Hölle fahren!“ – „Der Lubawitscher war ein Jude!“, wirft ein anderer Passant ein. „Wie kannst du so sprechen?! Nur weil sie aus ihm einen Götzen gemacht haben?! Sag es ihnen – aber rede so nicht über einen anderen Juden!“

Offen für den Messias

Langsam bewegt sich die Prozession auf der Fußgängerzone fort. Der marokkanische Bettler beruhigt sich, fängt an mit seiner Sammeldose zu kleppern. Dazu ruft er: „Schekel, Schekel, Schekel …“ Den Meron-Pilgern wird beim Besuch des Grabes von Rabbi Schimon Bar Jochai Heil, Gesundheit, Kinder, aber auch Verdienst und wirtschaftlicher Erfolg versprochen. Eigentlich könnte ihm das auch nicht schaden.
Langsam ziehen die Transparente mit ihrer Botschaft weiter: „Der Messias ist schon gekommen! Es bleibt nur noch, ihn zu empfangen!“, „Die Zeit der Erlösung ist da!“, „Gib dem Messias deine Hand – lege an jedem Ort Gebetsriemen an!“ oder auch: „Eine koschere Mesusa – öffne die Tür für den Messias!“ Kurz darauf steige ich in die Straßenbahn ein, die wenig später an der Haltestelle „Schimon HaZadik“ hält: „Der gerechte Schimon?!“ – Wer war das eigentlich?

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