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Afrikanisches Leben in Tel Aviv

Die Gegend um den Busbahnhof im Süden von Tel Aviv hat schon bessere Zeiten erlebt. Sie sieht heruntergekommen und ärmlich aus. Seit Jahrzehnten siedeln sich in dem Stadtviertel Gastarbeiter an. Doch seit 2006 hat sich die Situation dort drastisch verschlechtert. Die Gegend ist zu einer Anlaufstelle für Flüchtlinge aus Afrika geworden. Die Anwohner fühlen sich nicht mehr sicher.
Kommen meist über Ägypten: Afrikanische Flüchtlinge in Tel Aviv

Jahr für Jahr kamen Tausende von Flüchtlingen – vor allem aus dem Sudan, aus Eritrea, Nigeria und der Elfenbeinküste – über den Sinai in den jüdischen Staat. Bis vor Kurzem waren Israel und Ägypten nur durch einen lockeren Grenzzaun getrennt. Die Afrikaner flohen aus Angst vor Bürgerkriegen oder Diktatoren aus ihren Heimatländern. Ungefähr 60.000 illegale Einwanderer leben derzeit in Israel. Andere Quellen sprechen gar von über 100.000. Neben der Mittelmeermetropole Tel Aviv, leben auch viele der Einwanderer in Jerusalem, Arad am Toten Meer und in Eilat.
Durch die große Anzahl hat sich die Gegend um den Busbahnhof zu einem wahren „Klein-Afrika“ entwickelt. Zur Freude mancher, zum Ärger anderer. Es herrscht reges Leben, Straßenhändler bieten ihre Waren feil, und an manchen Ecken spielen Künstler Musik aus ihrer Heimat.
Aber es gibt auch viel Armut. Viele Männer warten seit den frühen Morgenstunden auf Arbeit. Manche Frauen arbeiten als Prostituierte auf dem Straßenstrich. Andere sitzen oder liegen lustlos am Straßenrand oder auf der Wiese im benachbarten Levinsky-Park. Fast keiner besitzt ein gültiges Arbeitsvisum und die meisten müssen sich mit Billigjobs durchschlagen. Einige der Flüchtlinge arbeiten illegal in Hotels oder Restaurants.

Gefährliche Flucht

Die meisten kamen in den jüdischen Staat über Ägypten. Das israelische Nachbarland nimmt zwar seit vielen Jahren afrikanische Asylbewerber auf, doch müssen diese sich dort mit Rassismus und staatlicher Verfolgung auseinandersetzen. Angesichts der schweren Lebensbedingungen sahen sich viele gezwungen, nach Israel zu fliehen. Doch diese Flucht ist sehr gefährlich. Zwischen 2008 und 2009 wurden etwa 30 Flüchtlinge beim Versuch, über die ägyptisch-israelische Grenze zu gelangen, von ägyptischen Grenzsoldaten getötet. Zahlreiche Afrikaner wurden von Beduinen für viel Geld über die Grenze geschmuggelt. Oft wurden sie von ihnen Wochen und Monate lang gefangen gehalten, nicht selten auch geschlagen, gefoltert und vergewaltigt. Die Menschenschmuggler betreiben außerdem einen landesweit operierenden Organschmuggelring, für den die Schwarzafrikaner leichte Beute sind.
Ende Februar 2011 wurde eine Befragung von fast 300 afrikanischen Asylanten veröffentlicht. Mehr als die Hälfte der Teilnehmer berichtete von schlimmster Folter wie tagelangem Fesseln, Verbrennungen oder sexuellem Missbrauch.
Aus Angst vor einem Massenexodus aus Afrika begann Israel 2010 mit dem Bau eines massiven Grenzwalls zu Ägypten, der 2013 fertiggestellt wurde. Außerdem errichtete Israel ein Flüchtlingslager in der Negev-Wüste. Doch trotz all dieser Gegenmaßnahmen und Risiken wächst die Zahl der Netzwerke, um die afrikanischen Asylbewerber nach Israel zu schmuggeln.

Schwieriger Alltag

Angekommen im heiligen Land müssen sich die Afrikaner mit der schwierigen Realität des Alltags auseinandersetzen. Denn Israel hat keine klare Politik bezüglich der Asylbewerber, und auch keine für diese zuständige Behörde. Der Staat ermöglicht keine „Feststellung der Flüchtlingseigenschaft“ (Refugee Status Determination), die im Internationalen Recht verankert ist.
Daher sind Status und Zukunft der Flüchtlinge noch immer nicht geklärt. Tausende von ihnen sitzen in Gefängnissen, ohne zu wissen, wann sie freigelassen werden. Andere leben ohne offiziellen Status in Israel, sie haben deshalb keine Arbeitserlaubnis, keinen Zugang zu medizinischen und sozialen Diensten sowie Prozesskostenhilfe, oder Unterbringungsmöglichkeiten.
Es ist offensichtlich, dass die israelische Regierung eigene Interessen mit den afrikanischen Flüchtlingen verfolgt. Während die Behörden auf der einen Seite vorübergehenden Schutz, Unterstützung und Arbeitserlaubnisse für die Asylbewerber fordern, werden andererseits Tausende inhaftiert und einige sogar zwangsweise nach Ägypten und in andere afrikanische Staaten abgeschoben. Das Fehlen einer klaren Asylpolitik stammt zu einem großen Teil aus Mangel an Führung und internem Streit zwischen den Ministerien.

Hilfe und Widerstand

Was die sudanesischen Flüchtlinge betrifft, so hat die Tatsache, dass Israel und der Sudan keine diplomatischen Beziehungen unterhalten und sich als Feinde betrachten, ihren Status als Asylsuchende kompliziert. Trotzdem haben israelische Behörden zusammen mit dem „Hochkommissar der Vereinten Nationen für Flüchtlinge“ (UNHCR) Versuche unternommen, um irgendeine Form von vorübergehendem Schutz für Tausende der Flüchtlinge zu gewährleisten und sogar – bis zu einem gewissen Grad – auf soziale Dienste zugreifen zu dürfen, sowie auch Arbeit zu suchen.
Zwar ist es israelischen Arbeitgebern laut Gesetz untersagt, Asylanten einzustellen, doch seit einer Entscheidung des Obersten Gerichtshofes im Januar 2011 können sie nicht mehr dafür bestraft werden, wenn sie diese doch beschäftigen. Das bedeutet de facto, dass sie legal im jüdischen Staat arbeiten dürfen.
Aber die Schwarzafrikaner stehen nicht alleine da. Verschiedene humanitäre Gruppen aus Israel, wie etwa die Organisation in der Nähe des Busbahnhofes in Tel Aviv, das „African Refugee Development Center“ (ARDC), bieten Hilfe an. Den Flüchtlingen soll trotz der schwierigen Umstände ein menschenwürdiges Leben ermöglicht werden.
Doch einige rechte Parteien schlagen bereits Alarm, um den jüdischen Charakter des Staates nicht zu gefährden. Ihr Motto lautet: „Wenn wir heute nicht die 60.000 Flüchtlinge stoppen, werden sie in einigen Jahren schon über 600.000 sein. Und das bei einer Bevölkerung von 8 Millionen.“ Vor allem die arme Bevölkerung im Süden von Tel Aviv ärgert sich über die liberale Haltung des eher wohlhabenden Nordens, weil diese Israelis „die Afrikaner nicht bei sich im Hof haben“.
Schon mehrmals haben sie gegen die „Afrikanisierung“ ihres Viertels um den Busbahnhof herum demonstriert. Mit Parolen wie „Tel Aviv ist nicht Afrika“ und „Verlasst Israel jetzt!“ waren viele von ihnen lautstark aufgetreten. Die angebliche Vergewaltigung einer israelischen Frau durch einen Afrikaner Anfang Juli 2013 brachte das Fass zum Überlaufen. Leider wurden dabei viele gegenüber den Asylsuchenden auch handgreiflich und randalierten in mehreren afrikanischen Läden. Es flogen sogar Brandbomben in einen Flüchtlingskindergarten und in einige Wohnungen. Die Polizei musste eingreifen und nahm mehrere Demonstranten fest. Mehrere Umfragen zeigen, dass 52 Prozent der Israelis die Schwarzafrikaner als „Krebsgeschwür“ bezeichnen. Viele einheimische Bewohner haben nun Angst, abends ihr Haus zu verlassen.

Suche nach Lösungen

In der israelischen Regierung wird schon seit Längerem ein Plan ausgearbeitet, um die rund 60.000 Flüchtlinge langfristig wieder in ihre Heimatländer zurückzuführen. Der jüdische Charakter des Staates sei in Gefahr, ist bei einigen Ministern zu hören – auch von Vertretern der sephardisch-orthodoxen Schass-Partei, die derzeit in der Opposition sitzt. Diese Politiker befürchten, die illegale Migration und das Einstellen von „billigen Arbeitskräften“ könnte der Volkswirtschaft schaden. Doch das internationale Recht untersagt es Israel, Flüchtlinge in Länder abzuschieben, in denen ihr Leben gefährdet ist. Deshalb suchen die Politiker nach Drittländern in Afrika, in die eine Abschiebung möglich ist.
Premierminister Benjamin Netanjahu fordert Zurückhaltung und keine Massenhysterie: „Wir sind ein moralisches Volk und werden auch dementsprechend handeln. Wir verurteilen jegliche Gewalt und Beschimpfungen von Menschen. Egal woher sie kommen, welche Hautfarbe, oder Religion sie haben.“ Trotzdem fügt er auch hinzu: „Israel kann nicht die illegalen Eindringlinge aus einem ganzen Kontinent akzeptieren. Das geht nicht. Auch für unser kleines Land gibt es Grenzen.“
Von Seiten des ARDC und anderer israelischer Hilfsorganisationen gab es in letzter Zeit aber auch Gegendemonstrationen. Wie der vier Tage andauernde Streik Anfang Januar und die Massendemonstrationen Tausender Afrikaner in Tel Aviv und Jerusalem gegen die israelische Asylpolitik.
Trotz der schwierigen Verhältnisse gibt es auch viel Dankbarkeit unter den Flüchtlingen gegenüber dem jüdischen Staat: Da ist zum Beispiel Moses. Er ist 43 Jahre alt und stammt aus der Elfenbeinküste. Bereits seit drei Jahren lebt er mit seiner Familie in der Nähe des Busbahnhofes und betreibt ein kleines Restaurant mit afrikanischen Spezialitäten. Er wurde schon des Öfteren auf der Straße beschimpft und einmal wurden sogar Fenster in seinem Laden durch Steinwürfe beschädigt. Seine Frau Judy ist 40 Jahre alt und floh ebenfalls aus der Elfenbeinküste. Die zwei Christen lernten sich im Süden von Tel Aviv kennen und lieben. Ihre beiden Kinder kamen in Israel auf die Welt und heißen Jael und Aviv. Aus Dankbarkeit gegenüber dem jüdischen Staat. Judy hat nur Positives über Israel zu berichten: „Ich persönlich hatte hier noch keine negativen Anfeindungen. Die Menschen hier waren meistens sehr nett zu mir und auch sehr hilfsbereit.“

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