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Gedenken an Eichmann-Prozess

JERUSALEM (inn) - Das Jerusalemer Zentrum für Holocauststudien hat am Dienstagabend an den Prozess gegen Adolf Eichmann vor fast 50 Jahren erinnert. Der damalige Chefankläger Gabriel Bach erzählte von dem für ihn schwersten Augenblick während der Verhandlungen gegen den Organisator der europäischen Judenvernichtung.

„Eichmann wies die ersten Juden, die aus Ungarn kamen, an – Minuten, bevor er sie in die Gaskammern schickte -, ihren Verwandten und Freunden Postkarten in ihrer Handschrift zu schreiben“, berichtete Bach laut der Zeitung „Jediot Aharonot“. „Darauf sollten sie sagen, die Arbeit im Lager sei leicht, das Leben sei gut und es gebe viel Essen und Ausflüge, aber es gebe nicht viel Platz. Deshalb lohne es sich für sie, schnell zu kommen.“ Da sei ihm bewusst geworden, dass es einen Juden gab, der diese Postkarte bekommen und Auschwitz überlebt hatte. Er bat ihn, vor Gericht Zeugnis abzulegen.

„Dort, im Zeugenstand, erzählte er, wie er zur Selektion gekommen war“, erinnerte sich der Chefankläger. „Seine Frau und seine Kinder nach links – in die Gaskammern, und er – nach rechts. Er erzählte, dass seine zweieinhalbjährige Tochter eine rote Jacke trug und dass er sich an sie als roten Punkt erinnerte, der sich immer mehr entfernte, bis er von der Menge verschluckt wurde. ‚So‘, sagte er, ‚verschwand meine Familie aus meinem Leben.'“ Bach fügte hinzu: „Damals war meine eigene Tochter genau zweieinhalb Jahre alt, und ich hatte ihr gerade eine rote Jacke gekauft. Als er die Zeugenaussage beendete, gaben mir die Richter das Zeichen zum Weitermachen, aber ich konnte nicht sprechen. Das Fernsehen filmte mich, die ganze Welt wartete auf mich, aber meine Kehle ließ keine Worte zu.“

Bach hatte kurz vor der Begegnung mit Eichmann die Autobiographie von Rudolf Höß, dem Kommandanten des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau, gelesen: „Er schrieb, dass es viele Tage gab, an denen sie 1.000 Kinder ermordeten. Während er sie in die Gaskammern stieß, fielen einige von ihnen auf die Knie und flehten um ihr Leben. ‚Ich bekam weiche Knie‘, notierte er, ‚aber dann ging ich zu Eichmann, um gestärkt zu werden. Er erklärte mir, dass man die Kinder zuerst töten muss, denn wie kann man die Erwachsenen töten und die Generation der Zukunft am Leben lassen? Ich empfand Scham über die Schwäche, die ich gezeigt hatte, und kehrte mit Hingabe an meine Arbeit zurück.'“

Echte Reue konnte der Ankläger bei Eichmann nicht feststellen – auch wenn dieser beteuerte, das Verbrechen an den Juden sei das größte in der Menschheitsgeschichte: „Ein niederländischer Journalist interviewte ihn 1956 in seinem Versteck, fünf Jahre vor dem Prozess. Eichmann sagte ihm, dass er sich an die Züge erinnerte, die von Holland in die Vernichtungslager fuhren, als ob es gestern gewesen wäre – ‚und es war wunderbar‘. Der Journalist wollte herausfinden, ob er trotz allem irgendeine Reue empfand. Eichmann sagte ihm: ‚Ich bedauere eine Sache – dass ich nicht unnachgiebig genug war, und hier sehen Sie das Ergebnis – die Neuerrichtung des Staates Israel und dieser Rasse.'“

Auch der jüngste Zeuge, der beim Prozess ausgesagt hatte, Josef Kleinmann, nahm an der Gedenkveranstaltung teil. Der heute 80-Jährige zeigte seine Uniform aus dem Lager, aber auch ein Bild seiner großen Familie. Dieses gilt ihm als Beweis für seinen Sieg über die Nazis. Zwischen den Berichten der Augenzeugen wurden ihre Originalreden von den Gerichtsverhandlungen eingespielt.

Otto Adolf Eichmann war unter anderem SS-Obersturmbannführer im Reichssicherheitshauptamt. 1961 wurde er vom israelischen Geheimdienst Mossad in Argentinien aufgespürt, wo er untergetaucht war. Der Prozess gegen ihn in Jerusalem dauerte acht Monate. Er wurde wegen der Mitverantwortung für die Ermordung von Millionen europäischer Juden in der NS-Zeit zum Tode durch den Strang verurteilt und 1962 hingerichtet. Es ist das einzige Todesurteil, das bislang im modernen Staat Israel vollstreckt wurde. Der Eichmann-Prozess trug wesentlich dazu bei, dass sich in Israel das Bild vom Schoah-Überlebenden wandelte. Infolge der vielen Zeugenaussagen galt er nun nicht mehr vorrangig als Opfer, das „wie ein Schaf zur Schlachtbank gegangen“ sei, ohne sich zu wehren.

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