BERLIN (inn) – Israels Premierminister Ariel Scharon war nach Meinung des ehemaligen Bundesaußenministers Joschka Fischer kein Mann des Friedens. Sein historisches Verdienst war es jedoch, Land ohne Gegenleistung an die Gegenseite abzugeben, so Fischer.
„An Ariel Scharons Person haben sich die Geister immer radikal geschieden“, schreibt Fischer in der neuen Ausgabe der Wochenzeitung „Die Zeit“. „Denn er war weder als Politiker noch gar als Militär ein Mann des Friedens.“ Er selbst habe sich in seiner 1989 erschienenen Autobiografie als „Warrior“ (Krieger) bezeichnet. „Und dennoch sind es heute vor allem das Friedenslager und die politischen Kräfte der Mäßigung und der Vernunft, die in Israel und in der ganzen Welt um seine Gesundheit, ja um sein Leben bangen.“
Scharon sei „unerschütterlich von der Notwendigkeit der militärischen Überlegenheit Israels überzeugt“ gewesen, weil er nur so das Überleben des Staates und der Nation gesichert sah, schreibt Fischer. Er sei „zuerst und vor allem immer Soldat gewesen, der durch die Kriege Israels um seine staatliche und nationale Existenz seit 1948 bis heute zutiefst geprägt wurde.“
Vom „Vater der Siedlungen“ zur „zentralen Figur nahöstlicher Politik“
„(Scharon) war der politische Ziehvater der territorialen Expansion und damit der israelischen Siedlungsbewegung.“ Doch habe er „niemals ernsthaft“ an die Möglichkeit eines Friedens mit den Palästinensern „und schon gar nicht mit Jassir Arafat“ geglaubt. Umso erstaunlicher erscheint es dem ehemaligen Minister, dass dieser „Krieger“ und „Vater der Siedlungen“ den Rückzug aus Gaza „gegen alle innenpolitischen Widerstände“ durchgesetzt hat.
Fischer war Scharon in seiner fünf Jahre währenden Amtszeit mehrere Male begegnet. „Operative Zusagen, die er mir gegenüber gemacht hatte, hat er immer eingehalten, wobei es alles andere als einfach war, eine Zusage von ihm zu erhalten“, so Fischer.
Die zentralen Prämissen für Scharons Politik seien anfangs gewesen: „Kein Zurück zu Oslo!“ und „Keine Verhandlungen unter Terror!“ Doch erkannte nach Fischers Meinung „der vernünftige Teil der israelischen Rechten, was die israelische Linke bereits seit längerem realisiert hatte: die Notwendigkeit eines unabhängigen, lebensfähigen palästinensischen Staates, um so der absehbaren Erosion der eigenen Mehrheit in Israel zu entgehen.“ Dies führte laut Fischer zu „Ariel Scharons Verwandlung von einem der umstrittensten Politiker seines Landes zu einem Staatsmann und zur zentralen Figur der nahöstlichen Politik“. Die „politische Rechte“ musste sich von den „Träumen von Großisrael“ verabschieden.
„Es war Ariel Scharon, es war eine Likud-Regierung, die zum ersten Mal nicht Land gegen Frieden tauschte, sondern einfach besetztes Gebiet ohne Gegenleistung der anderen Seite aufgab! Dies war ein unerhörter, ja fast revolutionär zu nennender Vorgang. Dies ist Ariel Scharons bleibendes Verdienst.“
Für die Zeit nach Scharon bleibt für Fischer die Frage: „Wie wird Israel reagieren, wenn Demografie, Chaos, Terror und Radikalisierung in den geräumten palästinensischen Gebieten und bis nach Israel hinein die Zukunft auf der palästinensischen Seite bestimmen werden?“ Eines scheine ihm jedoch gewiss: „Ariel Scharon hat mit dem Rückzug aus Gaza eine historische Wende angestoßen, vollenden müssen diesen Weg nun vermutlich andere.“