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Feindbilder besiegen

Ahmad Mansur, 37, ist Araber, in Israel aufgewachsen, hat in Tel Aviv studiert und lebt heute in Berlin. Was er über muslimischen Antisemitismus in Deutschland und die Nahost-Gespräche denkt, erklärte er Dana Nowak.
Ahmad Mansur setzt sich in Projekten gegen Antisemitismus und „Unterdrückung im Namen der Ehre“ ein. Er ist Mitglied der Deutschen Islamkonferenz und Berater bei der „European Foundation for Democracy“.

Herr Mansur, Sie werden als „palästinensischer Israeli“ bezeichnet. Wie darf ich Sie unseren Lesern vorstellen – als Palästinenser oder als Israeli?

Das ist die Eine-Million-Euro-Frage, weil ich mich eigentlich nicht einordnen will. Ich bin beides. Ich bin geprägt von der israelischen Mentalität. Ich bin dankbar, dass ich die Möglichkeit hatte, in Tel Aviv zu studieren, in dieser Kultur aufzuwachsen. Aber ich habe auch eine palästinensische Seite in mir, die durch meine Großeltern, meine Eltern, durch die Sprache, durch die Geschichte geprägt ist. Deshalb finde ich, dass wir die Identität als mehrdimensional sehen können. Ich muss mich nicht für eine entscheiden.

Im Alter von 13 Jahren wurden Sie vom Imam Ihres Dorfes in den Koranunterricht eingeladen. Rückblickend haben Sie gesagt, Sie wurden dort zu einem Islamisten erzogen. Wie ist das passiert?

Ich wurde von einer Autoritätsperson angesprochen, von meinem Lehrer. Deshalb nahm ich die Einladung an. Ich entdeckte eine neue Welt, war auf einmal etwas wert, fand Orientierung und Halt. Dann war ich im Namen dieser islamistischen Gruppierung unterwegs in ganz Israel und hatte das Gefühl, dass ich missionieren kann, dass ich die Menschen von ihrem elenden Leben retten kann. Diese Aspekte waren sehr attraktiv für einen jungen Mann, der vorher einen Horizont von vielleicht zehn Kilometern hatte und nichts anderes kennenlernen durfte.

Was für ein Bild von Israel wurde Ihnen im Koranunterricht vermittelt?

Israel ist nicht nur als Land zu sehen, sondern als ein großer Feind. Das sind Leute, die für unser Elend verantwortlich sind, Leute, die uns besiegt haben. Deshalb müssen wir siegen und irgendwann unseren Staat als islamischen – nicht nur palästinensischen! – gründen. Israel als Feindbild spielt in der Rhetorik der Islamisten eine große Rolle. Das sieht man bis heute in großen Konflikten in der arabischen und islamischen Welt. Dort werden Israel und die Juden ausgenutzt, um bestimmte Feindbilder zu vermitteln. In Syrien etwa meint Baschar al-Assad, die Rebellen dienen Israel. Die Rebellen meinen, Baschar al-Assad bleibt an der Macht, weil Israel das will.

Was hat Sie dazu bewogen, auszusteigen?

Das war kein Ausstieg an einem Tag, sondern ein innerlicher Prozess, der jahrelang gedauert hat. Es fing damit an, dass ich meine Kleinstadt verlassen durfte, weil ich die Zulassung an der Uni Tel Aviv bekommen habe. Weil ich in Tel Aviv Leute kennengelernt habe, die nicht in dieses von Vorurteilen beladene Bild von Juden und Israelis gepasst haben. Ich habe Freunde gefunden. Vor allem habe ich durch das Psychologiestudium gelernt, kritisch zu denken. Und natürlich habe ich auch die Doppelmoral bei dem Imam und bei den Funktionären der Muslimbrüder in meiner Kleinstadt bemerkt. Sie haben gepredigt, was sie selbst nicht hielten.

Ihr Leben nahm dann eine ganz andere Richtung: Mit Anfang 20 haben Sie sich als Leiter des Jugendzentrums in Tira für ein friedliches Zusammenleben zwischen Arabern und Juden in Israel eingesetzt. Wie kamen Sie auf diese Idee?

Das waren die hoffnungsvollen Jahre vor der zweiten Intifada: Als Ehud Barak wieder zum Premierminister gewählt wurde, wo man wieder den Weg von Jitzhak Rabin gehen wollte. Da habe ich auch in meiner Stadt bemerkt, dass die Jugendlichen Frieden wollen. Sie haben bewusst Barak gewählt, um diesem hoffnungsvollen Prozess nachzugehen. Außer der Hamas waren eigentlich alle sehr begeistert.

Was hat Sie dazu bewogen, 2004 nach Berlin zu gehen?

Das waren die Jahre nach der zweiten Intifada. Ich habe in Tira gewohnt, in Kfar Saba und Tel Aviv gearbeitet. Einerseits war ich der Araber, der Palästinenser, musste durch Checkpoints zur Arbeit kommen. In Tel Aviv war ich dann Teil der israelischen Gesellschaft. Ich konnte genauso von einem Anschlag getroffen werden. Dieses Hin und Her war nicht gesund. Ich hatte das Gefühl, das Leben hat mehr zu bieten, als in ständiger Angst zu leben, als jedes Mal, wenn ich Eis essen gehen möchte, Angst haben zu müssen, dass ich in einem Konflikt sterbe, mit dem ich eigentlich nichts zu tun haben will. Da habe ich beschlossen, die große Welt zu entdecken.

Sie arbeiten in Deutschland in Projekten mit muslimischen Jugendlichen zusammen. Unter anderem setzen Sie sich gegen Antisemitismus ein. Wie äußert sich Antisemitismus bei diesen Jugendlichen? Spielt der Nahostkonflikt dabei eine Rolle?

Antisemitismus in der muslimischen Community teile ich in drei Formen ein. Die eine hat sehr viel mit dem Nahostkonflikt zu tun. Dabei geht es nicht um einen regionalen oder territorialen Konflikt zwischen zwei Ländern oder zwischen Palästinensern und Israelis, sondern da wird ein Bild vermittelt, das sehr schwarz-weiß ist. Die Palästinenser sind immer die Opfer, Israelis und Juden – meist wird nicht unterschieden – immer die Schuldigen.
Die zweite Form von Antisemitismus ist die Verschwörungstheorie, die bei der türkischen Community sehr verbreitet ist. Es gibt viele Serien, Karikaturen und Videos, die versuchen, zu beweisen, dass die Juden verantwortlich für den 11. September und die Finanzkrise waren.
Die dritte Form ist Antisemitismus, bei dem sehr religiös argumentiert wird. Ich nenne das den islamistischen Antisemitismus. Bestimmte Koran-Verse werden so interpretiert, dass sie für alle Zeiten gültig sind. Wenn etwa gesagt wird, die Juden hätten die Propheten umgebracht, würden den Islam bekämpfen oder seien mit Affen und Schweinen zu vergleichen. Das sind islamistische Inhalte, die im Koran vorhanden sind, aber im historischen Kontext gesehen werden müssen. Sie dürfen nicht verallgemeinert und auf alle Juden zu allen Zeiten angewendet werden.

Was kann in Deutschland gegen dieses Antisemitismus-Problem getan werden?

Erst einmal muss dieses Thema wahrgenommen werden. Wir sprechen seit Jahren über Antisemitismus in der muslimischen Gemeinschaft. Es gibt aber kaum Forschungen, die belegen, dass Antisemitismus in dieser Gemeinschaft ein Problem wäre. Das zeigt, dass diese Auseinandersetzung gar nicht vorhanden ist. Zweitens müssen wir verstehen, dass es kein palästinensisches oder türkisches Problem ist, sondern ein deutsches, das bei Jugendlichen vorkommt, die in Deutschland geboren wurden. Das sind deutsche Zustände, und sie sind inakzeptabel, genau so wie das Problem des Rechtsextremismus. Die Jugendlichen müssen das Gefühl haben, dass sie mit ihrem religiösen und kulturellen Hintergrund zu Deutschland gehören. Nur dann können wir als Pädagogen mit ihnen über Israel, den Nahostkonflikt oder Antisemitismus reden, was für sie Tabuthemen sind. Vieles in Deutschland funktioniert über Schuldgefühle. Aber das spricht diese Jugendlichen überhaupt nicht an. Bei ihnen hat Antisemitismus viel mit dem Nahostkonflikt zu tun, und die meisten Lehrer kennen sich mit dem Konflikt nicht aus. Der Holocaust, das Dritte Reich, der Zweite Weltkrieg sind wichtig. Wir müssen Konzepte schaffen, die alle Jugendlichen ansprechen, egal welcher Herkunft. Der Nahostkonflikt und Israel müssen ein Teil davon sein. Wenn ich die neuen Forschungen zum Thema Israelbild in Schulbüchern anschaue, dann sehe ich ein einseitiges Bild. Und die Lehrer sind damit total überfordert.

Israelis und Palästinenser haben Mitte August die Friedensverhandlungen wieder aufgenommen. Was muss Ihrer Meinung nach geschehen, damit es zu einem umfassenden Frieden kommt?

Ich bin in diesem Fall sehr skeptisch, weil ich schon mehrere Friedensprozesse mitgemacht habe. Auf palästinensischer Seite brauchen wir Kräfte, die bereit sind, ihre Gesellschaft zu verändern, die einen palästinensischen Staat wollen und Israel akzeptieren. Leute, die nicht im Hinterkopf den Gedanken behalten, irgendwann ganz Israel zu besiegen. Leute, die keine antisemitischen Bilder produzieren oder pflegen. Heute ist das leider noch nicht der Fall. Die meisten palästinensischen Führer sind nicht bereit, diesen Prozess zu gehen.

Auch Präsident Mahmud Abbas nicht?

Auch Mahmud Abbas nicht. Vielleicht wäre er persönlich bereit, Frieden zu machen. Aber ich glaube nicht, dass er die Macht und die Kraft und auch die Legitimation hat, das durchzusetzen. Wir brauchen demokratische Strukturen, Schulsysteme, Medien, Imame, Väter. Wir brauchen alle Akteure in der Gesellschaft, die bereit sind, Verantwortung zu übernehmen. Als Palästinenser wünsche ich mir Führungskräfte, die sagen: „Frieden ja, aber erst müssen wir uns mit uns auseinandersetzen“. Wir müssen auch schwere Entscheidungen treffen. Ich bin nicht bereit, Politik auf dem Rücken von Palästinensern auszutragen, die im Libanon, Jordanien oder Syrien seit vier Generationen ausgenutzt werden, nur um ein Bewusstsein als Palästinenser aufrecht zu erhalten. Dass sie dort nicht sesshaft werden dürfen, geht nicht! Wir brauchen Kompromisse! Auf der israelischen Seite – und da spreche ich als Israeli – wünsche ich mir Führungskräfte wie damals Rabin, wie Barak am Anfang, die um der Sicherheit Israels willen bereit sind, Kompromisse einzugehen. Es wird Israel oft vorgeworfen, dass es sehr rechts geworden ist. Ich habe Israel jeden Tag erlebt und ich glaube, wenn die Israelis diese Signale von der palästinensischen Seite wieder bekommen und sehen, dass es da Kräfte gibt, die ernsthaft Frieden wollen, dann wird sich alles ändern. Das ist aber leider noch nicht der Fall.

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