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Eklat bei Podiumsdiskussion über Antisemitismus

Eigentlich sollten am Dienstagabend drei Führungspersonen von deutschen Medien über den Umgang mit Israelkritik und Antisemitismus diskutieren. Dazu eingeladen hatte die Jüdische Gemeinde Berlin, angeregt durch einen Kommentar in der "tageszeitung" (taz) über "Auschwitz als Religion". Doch dann weigerte sich taz-Chefredakteurin Ines Pohl, ohne den Beistand der Verfasserin Iris Hefets auf dem Podium zu sitzen - und die Debatte wurde nur noch von zwei Journalisten geführt.

Zur Vorgeschichte: Die „taz“ hatte den Kommentar der israelischen Autorin Anfang März unter dem Titel „Pilgerfahrt nach Auschwitz“ veröffentlicht. Hefets kritisierte unter anderem, dass der israelkritische Amerikaner Norman Finkelstein von Vortragsveranstaltungen in Deutschland ausgeladen worden sei. Dieser behauptet in seinem Buch „Die Holocaust-Industrie“, die Juden benutzten den Holocaust als Legitimierung für eine „verbrecherische Politik des Staates Israel“. Neun Tage nach der Publikation des Kommentars erschien in der „taz“ ein Beitrag des Historikers Alexander Hasgall, der Hefets‘ Thesen widerlegte.

Diese Meinungsäußerungen brachten die Jüdische Gemeinde dazu, Vertreter mehrerer führender Zeitungen zu einer Podiumsdiskussion in die Neue Synagoge in der Oranienburger Straße einzuladen: Pohl, den „Welt“-Herausgeber Thomas Schmid und den „Tagesspiegel“-Chefredakteur Stephan-Andreas Casdorff. Das genaue Thema lautete: „‚Pilgerfahrt nach Auschwitz‘ – Zum Umgang deutscher Medien mit Erinnerungskultur, Israelkritik und Antisemitismus“.

In ihrem Grußwort ging die Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde, Lala Süsskind, auf Hefets‘ Ausführungen ein und wies darauf hin, dass der Kommentar in der „rechten Szene“ auf Zustimmung gestoßen sei. Zudem seien die Thesen von einer „Auschwitz-Religion“ nicht neu. Auch in Bezug auf die Sprache in dem Artikel stellte sie die Frage: „Können Juden das erzählen, was anderen als Antisemitismus ausgelegt würde?“

Aktivisten fordern Forum für Hefets

Nach dieser Einleitung standen mehrere Zuschauer auf, stellten sich als Israelis vor und forderten, dass die geschmähte Kommentatorin sprechen dürfe. Sie hielten Zettel mit der teils hebräischen, teils deutschen Aufschrift: „Wir sind alle Iris Hefets“. Bereits vor dem Eingang zur Neuen Synagoge in der Oranienburger Straße hatten Aktivisten den Besuchern der Veranstaltung Blätter der „Jüdischen Stimme für gerechten Frieden in Nahost“ in die Hand gedrückt. In dem Text wurde der Jüdischen Gemeinde vorgeworfen, Hefets kein Forum für eine Stellungnahme zu gewähren. Zu dem Verein gehört auch die Verfasserin des Kommentars.

Die Aktion der Israelis hob den Geräuschpegel im Saal deutlich, viele Zuschauer brüllten durcheinander. Nach Angaben des Veranstalters waren etwa 300 Menschen der Einladung zu der Podiumsdiskussion gefolgt. Mehrere Störer wurden vom Sicherheitspersonal nach draußen geleitet. Ines Pohl trat ans Mikrophon und schloss sich der Forderung an, dass Hefets neben ihr auf dem Podium Platz nehmen dürfe. Denn nicht nur der Artikel, auch die Autorin selbst sei mit Süsskinds Einführungsvortrag zum Gegenstand vehementer Anschuldigungen geworden. Nun müsse derselben doch die Möglichkeit gegeben werden, sich zu äußern. Das sei eine Frage der Demokratie.

Vorschläge, Hefets im Rahmen der Zuschauerfragen Zeit einzuräumen, drangen nicht durch. „Wenn der Wunsch, eine kritische Autorin zu Wort kommen zu lassen, so massiv angegriffen wird, muss ich leider gehen“, sagte die Chefredakteurin. Nach Angaben der „taz“ wurde Pohl im Rahmen der tumultartigen Debatte, die vor allem zwischen Podium und den ersten Reihen tobte, bespuckt und als Nazi beschimpft. Dies hat jedoch keiner der Vertreter der Jüdischen Gemeinde, die sich in der Nähe aufhielten, gehört. Sie verließ den Saal, und Moderator Thierry Chervel musste sein Konzept ändern.

Weitere Störung durch Zwischenrufe

Die erhoffte hitzige Debatte blieb nun – zumindest auf dem Podium – aus. Die sachlichen Ausführungen der verbliebenen Disputanten wurden allerdings immer wieder durch Zwischenrufe unterbrochen, in denen oft Unterstützung für Hefets oder Protest gegen sie zum Ausdruck kam.

Moderator Chervel äußerte zum Auftakt die Ansicht, dass die Kommentatorin keinen Anspruch darauf habe, auf der Bühne zu sprechen. Denn durch ihren Artikel habe sie sich bereits geäußert und zudem ihre Meinung an ein nicht-jüdisches Publikum weitergegeben. Also sei es nicht unfair, dass ihr kein Platz auf dem Podium eingeräumt werde, sagte der Chefredakteur des Online-Magazins „Perlentaucher“. Er habe Pohl fragen wollen, warum die „taz“ nicht selbst redaktionell Position bezogen, sondern einen Gastbeitrag veröffentlicht habe. Da sich die Zeitung bedauerlicherweise der Diskussion entzogen habe, könne er seine Fragen jetzt nur noch den beiden Kollegen stellen. Auch sie äußerten Bedauern darüber, dass ihre Diskussionspartnerin das Podium verlassen hatte.

Casdorff: „Kritik an Israel geschieht“

„Tagesspiegel“-Chefredakteur Casdorff sagte, kein Mensch habe ein Monopol auf die Wahrheit. Er verwies auf Wolfgang Benz, nach dem gemäßigte Kritik an Israel von Antisemitismus zu unterscheiden sei. Die These, wegen der „Auschwitz-Aura“ sei keine Kritik an Israel möglich, bewertete er als falsch – denn es gebe kritische Berichte beispielsweise über den Gaza-Krieg oder die Siedlungen. Allerdings dürften Kritiker bestimmte Grenzen nicht überschreiten.

Casdorff verwies darauf, dass Israel die einzige Demokratie in der Region sei. „Es ist einer von zwei Staaten, die vom Untergang bedroht sind.“ Der andere, Tuvalu, befinde sich aufgrund des Klimawandels in Gefahr. Diese Tatsache müsse jeder anerkennen. Manche Ausdrücke, wie „Sonderbehandlung“ oder „Ghetto“, hätten in einem Bericht über Israel nichts zu suchen. „Da muss man als Presse aufpassen.“

Schmid: „Fadenscheinige Inszenierung“

Der Herausgeber der „Welt“, Schmid, betonte, dass der Veranstalter ein Recht habe, die Diskussionsteilnehmer zu bestimmen. Wer sich beteiligen wolle, könne dies vom Publikum aus tun. Er habe das Gefühl, Pohls Abgang sei in fadenscheiniger Weise „inszeniert “ worden. Ihn hätte interessiert, warum die „taz“-Chefredakteurin den Artikel veröffentlicht hat.

Nach eigener Aussage beobachtet Schmid neue Formen des Antisemitismus. Wenn es in seiner Zeitung um Israels Existenzrecht gehe, sei die Tonlage in den Kommentaren der Leser schnell „im Keller“. Umfragen zeigten viel Verständnis für Antisemitismus. In der Geschichte der BRD habe es lange gedauert, bis die Mehrheit verstand: „Die Schoah war ein großes Verbrechen.“ Auch jetzt gebe es die Tendenz einer Forderung, dass irgendwann Schluss sein müsse. Der Zeitpunkt dafür sei schlecht, weil die Zeitzeugen sterben. Nicht in Deutschland, aber in Ländern wie Frankreich oder Großbritannien, sei ein starker, islamisch geprägter Antisemitismus zu beobachten, fügte Schmid hinzu. Doch viele Vertreter der europäischen Politik befürchteten, sich mit einem Teil der Muslime in Europa anzulegen, wenn sie sich klar äußerten.

Der „Welt“-Herausgeber sagte, Israel habe Anlass, sich als Staat zu sehen, der von einem großen Teil der Nationen angefeindet sei. Dies habe sich beispielsweise in der „Durban“-Konferenz zum Rassismus gezeigt. Als einziger Staat der Region, in dem eine Regierung demokratisch gewählt werde, sei Israel wie ein Fremdköper. Wenn Finkelstein die israelische Armee mit der Gestapo gleichsetze, sei das Motiv unklar. Eine seriöse Diskussion sei auf diese Weise jedoch nicht möglich. Infolge des Holocaust sei der Staat den Israelis ungeheuer kostbar und etwas, das verteidigt werden müsse. Denn sie wollten nicht mehr Opfer sein.

Sachliche Beiträge aus dem Publikum

Nach den Tumulten waren die Diskussionsbeiträge aus dem Publikum erstaunlich sachlich und wurden ruhig vorgetragen. So meldete sich eine Journalistin zu Wort, die zwei Jahre als Korrespondentin in Israel tätig war. Sie habe aber auch schon auf dem Balkan oder in anderen Krisengebieten gearbeitet. Über den Verlauf des Abends sei sie erschüttert, habe sie doch Vergleichbares nie im Zusammenhang mit den anderen Ländern ihrer Tätigkeit erlebt. Sie sprach sich für eine „entideologisierte Diskussion“ auf beiden Seiten aus.

Eine freie Autorin gab zu bedenken, dass man über einen veröffentlichten Text in der Öffentlichkeit reden dürfe. Für die Forderung, die Autorin einzuladen, bestehe kein Anlass. Auch habe niemand gefordert, dass der Kommentar eingestampft wird. Die Stimmung in der Anfangsphase der Veranstaltung habe sie an den „Linksfaschismus der 70er Jahre“ erinnert, die Deeskalation sei ein Zeichen für einen „real existierenden Fortschritt“.

„Iran droht Israel“

Zum Abschluss warnte „Tagesspiegel“-Chefredakteur Casdorff davor, Fakten zur Meinung zu machen. Der iranische Präsident Mahmud Ahmadinedschad drohe Israel seit vier Jahren, hinzu kämen Hamas und Hisbollah. Das Ergebnis sei die Wahl Benjamin Netanjahus zum israelischen Regierungschef. Den Goldstone-Bericht über die Offensive „Gegossenes Blei“ solle man ernst nehmen. Zum Thema Antisemitismus warb Casdorff für eine Definition, die an die Zuschauer verteilt worden war. Sie findet sich im Internet. Sein Fazit zu der Podiumsdiskussion: „Ich bin heute kein Stück weitergekommen.“

„Welt“-Herausgeber Schmid hielt fest, dass die Auseinandersetzung mit der Leserschaft über Israel oft unerfreulich sei. In vielen Beiträgen drehe sich das Verhältnis Aggressor-Angegriffener. Gegen die Behauptung, dass Israel der eigentliche Aggressor in der Region sei, müsse man etwas tun. Denn Israel sei „eingemauert in nicht-demokratische Staaten“. Der Iran habe eine aggressive Politik der Vernichtung Israels im Visier. Als bedrohter Staat habe es das Recht, die eigene Identität zu verteidigen. Die Hamas wolle Israel nicht anerkennen, sondern vernichten. Nach Schmids Empfinden „ist eine Diskussion nicht möglich, die auch nur annähernd mit der Wirklichkeit übereinstimmt“.

Moderator Chervel zog den Schluss, dass im Fall dieser „amputierten Debatte“ der Riss nicht zwischen „Opfern und Tätern“ verlaufen sei, sondern innerhalb. Das sehe er als ermutigendes Zeichen. Bleibt zu hoffen, dass in Zukunft niveauvolle und gelassene Diskussionsteilnehmer bei ähnlichen Themen die Oberhand behalten werden.

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