Professor Dr. Robert S. Wistrich von der Hebräischen Universität in Jerusalem wies in seinem Vortrag „Der alte und neue Antisemitismus“ auf Stereotypen hin, die sich bis heute in judenfeindlichen Vorstellungen fänden. So hätten Muslime die Vorstellung einer jüdischen Weltverschwörung aus den „Protokollen der Weisen von Zion“ mit entsprechenden Aussagen aus dem Koran vermischt. In der arabischen Welt sähen Millionen Menschen die Juden als permanente Gefahr für die Muslime und die ganze Welt. Auch sei nach dem Zweiten Weltkrieg in der Sowjetunion eine staatlich organisierte anti-israelische Dämonologie verbreitet worden, die jetzt ihren Niederschlag im linken Antisemitismus finde. Eine „einseitige und verleumderische Berichterstattung“ über Israel nähre den Judenhass.
Über Wandel und Kontinuität beim Antisemitismus von Rechts informierte Anetta Kahane von der Amadeu Antonio Stiftung. Diese hat das Ziel, „eine demokratische Zivilgesellschaft zu stärken, die sich konsequent gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus wendet“. Nach Kahanes Beobachtung ist der Judenhass ein „eingebauter Mechanismus im Rechtsextremismus“. Deshalb werde er nicht immer betont, und Rechtsextreme gäben ihn offen zu. Mutmaßliche Antisemiten anderer politischer Richtungen hingegen leugneten entsprechende Vorwürfe. Rechter Antiimperialismus sei – wie der linke – immer mehr antisemitisch aufgeladen. Durch die Annäherung komme es zu Allianzen wie beim jüngsten iranischen „Al-Quds-Tag“, der auch in Berlin begangen wurde: Dabei hatten Iraner mit Chomeini-Plakaten, Rechtsextreme, linke Antiimperialisten und Angehörige der jüdischen antizionistischen „Neturei Karta“ gemeinsam gegen Israel demonstriert.
„Islam hat Wahnbild von der jüdischen Macht übernommen“
Staatssekretär a. D. Klaus Faber aus Potsdam bot einen Überblick über die Geschichte der islamisch motivierten Judenfeindschaft. Darin habe im 19. Jahrhundert die Vorstellung von einer großen, geheimnisvollen jüdischen Macht gefehlt, die für Negatives in der Gesellschaftsordnung sowie in der Staatenwelt stehe. Diese Rolle habe vielmehr der „ungläubige“ Westen eingenommen. Doch seit den 1920er Jahren gebe es „in muslimischen Ländern und Gesellschaften Antisemitismuskonzeptionen, die sich in zunehmendem Umfang und Tempo an die europäischen Vorstellungen, auch mit Blick auf das Wahnbild von der großen jüdischen Macht, angeglichen haben“.
Auch Faber kritisierte die Berichterstattung über den Nahen Osten in deutschen Medien. Nach der im November 2008 vom Bundestag angenommenen Antisemitismus-Definition sei ein Indiz die Verwendung ungleicher Maßstäbe, die nur auf Israel und sonst auf keinen anderen Staat angewandt würden. „Dass der einzige jüdische Staat so viele Untaten begeht, wie ihm das ein beträchtlicher Medienteil immer wieder vorhält, hat offenbar doch große entlastende Wirkungen, viel größere jedenfalls als entsprechende Negativzuschreibungen in Richtung China, Russland oder Sudan, die deshalb auch auf ein weitaus geringeres Medieninteresse stoßen.“
Der Historiker Yoav Sapir stellte als Ergänzung eine Fallstudie für die Friedrich-Ebert-Stiftung über die Webseite muslim-markt.de vor, die sich selbst als „das Internetportal von deutschsprachigen Muslimen für gottesehrfürchtige Leser“ präsentiert. In der Rubrik „Palästina-Spezial“ sei er auf „Antisemitismus ohne Juden“ gestoßen. Judenfeindliche Aussagen seien ausschließlich gegen Israelis gerichtet, die beispielsweise mit Nazis verglichen würden. Auch heiße es, sie hätten „seit über 50 Jahren ein ganzes Volk eingesperrt“ – also bereits vor dem Sechstagekrieg. In derselben Rubrik, und nur dort, distanziere sich die Webseite in einem „Aufruf gegen Antisemitismus“ von einem Hass gegen Juden, welche die „Massaker des Zionismus“ ablehnten.
Professor Dr. Gerhard Baader vom Arbeitskreis jüdischer Sozialdemokraten ergänzte die Diskussion um Informationen über linksextremistische Judenfeindschaft. Eine neoliberale sozioökonomische Kritik an der Internationalisierung zeige, dass alte Ängste hervorgerufen würden. Die SED habe Kapitalismus mit dem Weltjudentum und dem Zionismus in Verbindung gesetzt. Das Instrumentarium alter antisemitischer Stereotypen werde wieder bemüht.
„Antisemitische Inhalte können problemlos verbreitet werden“
Zur Politisierung des Islam äußerte sich der Journalist Ahmet Senyurt – er hatte kurz nach der israelischen Razzia auf dem Schiff „Mavi Marmara“ einen Beitrag über die türkische IHH für den „Report Mainz“ (ARD) erstellt. Darin dokumentierte er islamistische Tendenzen der Organisatoren und stellte die Absichten der mitgereisten Abgeordneten der Linkspartei in Frage (Israelnetz berichtete). Er sei nach der Erstürmung der Hilfsflotte mit neun Toten überrascht gewesen über die „automatischen antisemitischen Ressentiments in den Medien“, sagte der Muslim mit türkischen Wurzeln. Bei den Protestkundgebungen in aller Welt seien alte Bilder aus den Schubladen gezogen worden, obwohl nicht alle Demonstranten Antisemiten waren.
Senyurt wies darauf hin, dass die „Mavi Marmara“ nicht in der Türkei angemeldet sei, sondern im afrikanischen Westbenin. Deshalb habe Premier Recep Tayyip Erdogan mehrere Abgeordnete seiner AKP zurückgerufen, die sich der Fahrt in den Gazastreifen anschließen wollten. Der Referent wies auch darauf hin, dass Necmettin Erbakan von der Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs seit Jahren als bekennender Antisemit in der Öffentlichkeit auftrete, ohne dass dies Konsequenzen habe. Des Weiteren seien Videos mit judenfeindlichen Inhalten beispielsweise auf Jugendkonferenzen der Organisation ohne Probleme zu bekommen. Er wandte sich allerdings gegen ein Verbot von Milli Görüs in Deutschland, um diese nicht in eine Opferrolle zu drängen.
Der SPD-Bundestagsabgeordnete Sönke Rix stellte sich zum Abschluss der Konferenz den kritischen Fragen der Teilnehmer. Er forderte mehr Aufklärung, nicht nur im Zusammenhang mit den Politikern auf der „Mavi Marmara“, die sich nach eigener Aussage nicht über den Hintergrund der Organisatoren informiert hatten. Auch Politiker, die eine Moschee besuchten, müssten sich vorher über die dort verbreiteten Lehrmeinungen kundig machen. Er räumte ein, dass der Bundestag bei der einstimmigen Verabschiedung einer einseitig israelkritischen Resolution kurz nach der Razzia auf der „Mavi Marmara“ voreilig entschieden und sich nicht ausreichend mit den Hintergründen befasst habe. Die Zuhörer rief er auf, bei Missständen nicht immer auf das Handeln der politischen Organe zu warten, sondern auch selbst aktiv zu werden.
Veranstalter der Konferenz waren die Friedrich-Ebert-Stiftung, die Jüdische Gemeinde zu Berlin sowie das Jüdische Forum für Demokratie und gegen Antisemitismus.