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Eine Palästinenserin berichtet: „Frauen sind weniger wert als Schafe“

Unter dem Pseudonym Souad hat eine palästinensische Autorin ein Buch geschrieben, in dem sie ihre schreckliche Kindheit in einem Dorf im Westjordanland schildert. Nachdem ihr Buch im vergangenen Frühjahr in Frankreich die Bestsellerlisten stürmte, erschien es vor einigen Wochen auch in Deutschland. Der Münchner Blanvalet Verlag publizierte die Biographie unter dem Titel „Bei lebendigem Leib“ (Foto). Über Ostern war Souad in Deutschland, um ihr Buch vorzustellen.

„Ich sehe meine Mutter vor mir. Ich höre die Schreie meiner Mutter und die von dem Baby, und dann nimmt meine Mutter das Schaffell und erstickt das Baby. Das Kind, das meine Mutter nach der Geburt erstickte, war ein Mädchen. Ich habe ihr ein erstes Mal dabei zugesehen, dann ein zweites Mal. Ich begann heimlich zu weinen, jedes Mal wenn mein Vater ein Schaf oder ein Huhn schlachtete, weil ich um mein Leben fürchtete.“

Heute ist Souad Mitte 40 und findet Kraft genug, über ihre schmerzvolle und angsterfüllte Kindheit zu schreiben. Sie schildert, was es heißt, als Mädchen in einer streng islamischen Gesellschaft aufzuwachsen. Sie schreibt unter einem Pseudonym, denn bis heute muss sie befürchten, dass ein damals ausgesprochenes Todesurteil heute noch an ihr vollstreckt wird.

Ihr Vergehen war es, sich als Siebzehnjährige auf eine Beziehung zu einem Nachbarjungen einzulassen. Sie wird schwanger, und vergeblich hofft sie darauf, von ihm einen Heiratsantrag zu bekommen. Wenn ein Mädchen im Dorf verdächtigt wird, nicht sittsam den Blick gesenkt zu haben, sich womöglich nicht demütig verhalten zu haben oder ein Stück Arm oder Bein entblößt zu haben, und sei es auch nur ein Gerücht, wird in der Familie Gericht über sie gesprochen. Die Männer des Hauses verhängen, je nach Grad der Ehrverletzung, eine Strafe, die von Prügel bis zum Ehrenmord reichen kann. Bei Souads Vergehen ist die Strafe eindeutig: Wenige Tage nach dem Urteil übergießt sie der eigene Schwager mit Benzin und zündet sie an.

Mit viel Glück überlebt Souad und kommt in ein Krankenhaus. Dort pflegt man sie jedoch nicht gesund, sondern wartet stattdessen auf ihren Tod. Denn da sie gesündigt hat, ist ihr Tod eine Frage der Ehre. Kein Arzt kümmert sich um sie, keine Krankenschwester versorgt ihre verbrannte Haut. Bis heute ist ihr Gesicht entstellt, so dass sie, auch aus Angst erkannt zu werden, eine Maske trägt.

Souad, die ihr Geburtsdatum nur ungefähr mit dem Jahr 1957 angeben kann, wuchs in einer Gesellschaft auf, in der Mädchen nichts wert sind. Mütter erwürgen gleich nach der Geburt ihre Töchter, weil sie „unnütz“ oder „lästig“ sind. Auch Ehefrauen leben nicht sicher, da auch sie nie sicher vor Ermordung sein können. Eine Frau, so lernt sie, ist weniger wert als ein Schaf, sie bringt kein Geld ein, und ihr einziger Zweck ist es, ungefähr mit 15 verheiratet zu werden. Die Aufgabe einer frommen muslimischen Frau ist es meistens, für die Familie zu kochen, zu waschen und die Feldarbeit zu machen. Anerkennung und Lohn erhalten die Mädchen für ihre Anstrengungen nicht, dafür aber eine Menge Prügel, sobald eine Kleinigkeit nicht nach dem Willen des gefürchteten Vaters geschieht. An einen Schulbesuch ist nicht zu denken. „Den möglichen Tod vor Augen zu haben, war für uns Alltag, tagein, tagaus. Ein Nichts konnte ihn verursachen, vollkommen überraschend, einfach, weil es der Vater so beschlossen hatte“, erinnert sich Souad.

In einer islamischen Gesellschaft wie der im heutigen Palästinensischen Autonomiegebiet sind praktisch alle Frauen Analphabetinnen. Die Welt ist dominiert von Männern, denen man zu dienen hat. Juden sind „Schweine, die man hassen muss“, und allgegenwärtig ist die Angst vor Misshandlungen und Tod. „Ich weiß nicht, ob ich ein menschliches Wesen bin, das denken und fühlen kann. Ich kenne nur die Angst und den Durst, das Leid und die Erniedrigung, wenn man wie ein Tier im Stall angebunden und so lange geschlagen wird, bis man seinen Rücken vor Schmerzen kaum noch spürt. Und die schreckliche Angst davor, erstickt, oder in einem Brunnen ertränkt zu werden“, schreibt sie.

Im Krankenhaus bekommt sie Hilfe von einer Mitarbeiterin der schweizerischen Organisation „Surgir“, die sich unter anderem der Opfer des „Ehrenmordes“ annimmt. Mit ihrer Hilfe kann sie in die Schweiz flüchten und von dort nach Frankreich, wo sie nach vielen Jahren bereit ist, ihre Geschichte zu diktieren. Die Geschichte einer Überlebenden, einer der wenigen Zeuginnen, denn die meisten betroffenen Frauen können nicht mehr reden.

Die Ehrenmorde sind in der Türkei, in Pakistan und den Palästinensischen Autonomiegebieten bis heute bittere Realität. Schlimmer, sie sind laut der Hilfsorganisation „Terre des Hommes“ in den letzten Jahren um 34 Prozent angestiegen. “Die Vereinten Nationen nehmen an, dass es pro Jahr über 6.000 Fälle von Ehrenmord gibt, zu dieser Zahl kommen aber noch all die Selbstmorde, Unfälle und so weiter, die nicht mitgerechnet sind“, sagt eine Mitarbeiterin der Organisation.

Es ist ein „Krieg gegen die Frauen“, wie die Buchrezensentin der Tageszeitung „Die Welt“ feststellt. Und er wird geführt „im Nahen Osten, bei einem Volk, das gerade von deutschen Linken als unterdrückte Brudernation verehrt wird“, fügt sie hinzu.

Souads Buch „Bei lebendigem Leib“ (Originaltitel: „Brulle vive“) wird nach seinem großen Erfolg in Frankreich mittlerweile in 16 Ländern verkauft. „Für dieses Buch habe ich meine Lebensgeschichte erzählt und dabei auch die verborgensten Erinnerungen aus meinem Gedächtnis zu Tage gefördert. Das war schwierig und schmerzhaft. Ich wünsche mir, dass dieses Buch um die Welt geht und irgendwann auch in meine Heimat, das Westjordanland, gelangt, wo es die Männer hoffentlich nicht gleich verbrennen.“

Heute lebt Souad mit ihrer eigenen Familie in der Schweiz. Zusammen mit einem um zwei Monate zu früh, aber gesund geborenen Baby.

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