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Eine historische Korrektur: Syrien anerkennt Libanon

Am Mittwochabend hat Syriens Präsident Baschar al-Assad per Dekret die hochoffizielle Korrektur einer historischen Absurdität verkündet: Damaskus werde in Beirut eine Botschaft einrichten. Der Libanon wurde bisher von den Syrern nicht als selbständiges Land anerkannt. Damaskus betrachtete das Nachbarland als Teil der syrischen Nation. Die offizielle diplomatische Anerkennung des Libanon muss als ein tiefgreifender Wandel des syrischen Selbstverständnisses gesehen und entsprechend gewertet werden.

Bekanntlich sind alle Staatsgrenzen zwischen Marokko und Irak künstliche Konstrukte der französischen und britischen Kolonialmächte aus den 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts. Am „grünen Tisch“ in Kairo malte der britische Kolonel Winston Churchill mit einem Lineal gerade Linien auf die Landkarten der arabischen Welt. Ohne Rücksicht auf Flüsse, Berge oder gar Völker und Städte wurde da die Welt gemäß den Interessen der damaligen Großmächte aufgeteilt. So ist es kein Zufall, dass die ölreichen kurdischen Provinzen dem britisch beherrschten Irak zugeschlagen wurden, während das zu Frankreich gehörige Syrien leer ausging. So wurden im Irak drei Volksgruppen in ein Staatsgebilde gezwängt, deren gegenseitige Feindseligkeit seit Auflösung der Diktatur unter Saddam Hussein zu einem blutigen Bürgerkrieg geführt hat – mit fast täglichen Selbstmordattentaten: Kurden, Sunniten und Schiiten.

Doch die Interessen der Kolonialmächte von damals, auf den Landkarten verewigt, entsprechen weder den historischen Entwicklungen noch dem Selbstverständnis der in dieser Region lebenden Völker. Dennoch würde niemand wagen, diese Linealgrenzen in Frage zu stellen. Denn wenn auch nur an einer Stelle dieses künstliche Prinzip durchbrochen würde, gäbe es kein Halten mehr – man müsste die Territorien von Saudi-Arabien, dem einst vereinten Maghreb (Marokko, Algerien und Libyen), die Existenz Jordaniens oder den Grenzverlauf etwa zwischen Sudan und Ägypten neu definieren.

Auch osmanische Aufteilung war willkürlich

Wenn die Syrer bisher den Libanon diplomatisch nicht anerkannten, so beriefen sie sich auf die fast ebenso willkürliche Aufteilung der Welt durch die Großmacht Türkei. Das osmanische Reich herrschte in den Zeiten seiner größten Ausdehnung von Budapest im Norden, Algier im Westen, Jemen im Süden und Bagdad im Osten. Mittendrin existierte das Vilayet (Großprovinz) Syrien. Diese Provinz umfasste den Libanon, Palästina und das heutige Jordanien, das 1923 als Schenkung der Briten an den damals aus Mekka vertriebenen Emir Abdullah Ibn Husain geschaffen wurde.

Den Syrern schwebt bis heute eine Wiederbelebung dieser osmanischen Provinz in der Form eines „Groß-Syrien“ vor. Deshalb konnten oder wollten sie den Libanon diplomatisch nicht anerkennen, deshalb stand das syrische Militär 1970 bereit, Jordanien zu erobern, und deshalb gab es seit jeher gespannte Beziehungen zur palästinensischen PLO, deren einstiger Vorsitzender, Jasser Arafat, in Syrien sogar in Abwesenheit zum Tode verurteilt worden war. Syrien tut sich mit dem Staat Israel nicht nur wegen politischer Differenzen schwer, sondern auch, weil das Heilige Land einst von Damaskus aus verwaltet wurde.

Ansprüche nicht akzeptiert

Syrien unter Assad passt sich offenbar den heutigen Machtverhältnissen an. Die Ansprüche Syriens auf den Libanon werden von niemandem mehr akzeptiert. Mit dem Mord an Libanons ehemaligem Ministerpräsidenten Rafik al-Hariri im Februar 2005 geriet Damaskus unter erheblichen internationalen Druck, zumal der Verdacht besteht, dass die Fäden zu jenem Attentat in Damaskus zusammenlaufen. In der Folge wurde Syrien gezwungen, seine Truppen aus dem Libanon abzuziehen. Diese wurden von der Regierung niemals als „Besatzungstruppen“ betrachtet, sondern als Mittel, den längst abgezogenen israelischen Besatzern Stirn zu bieten. Weil Syrien sich in den Zeiten des Kalten Krieges ganz auf die Seite der Sowjetunion gestellt hatte, geriet es militärisch wie wirtschaftlich ins Abseits, als in Moskau das alte Regime stürzte und in der Welt nur noch die Amerikaner das Sagen hatten.

Um sich aus dieser Isolation zu befreien, nahm Syrien unter türkischer Vermittlung mit Israel indirekte Friedensverhandlungen auf. Ob Syrien wirklich Frieden mit Israel wünscht, mag bezweifelt werden. In jedem Fall erntet der im eigenen Land umstrittene Präsident Assad, vor einigen Monaten mit 97,29 Prozent wiedergewählt, die ersten Früchte seiner Politik der Öffnung: Der französische Präsident Nicolas Sarkozy hofiert ihn, und selbst die Amerikaner schicken Beamte zu Gesprächen mit dem Mitglied der „Achse des Bösen“. Die Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit dem Libanon zählte zu den wichtigsten Forderungen nicht nur der Franzosen, um Syrien die Chance zu bieten, wieder international „salonfähig“ zu werden.

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