Ein jüdisches Lehrgespräch mit Jesus im Tempel

Der Israelsonntag erinnert Christen an ihre jüdischen Wurzeln. Ein Lehrgespräch zwischen Jesus und einem Schriftgelehrten verdeutlicht diesen Aspekt. Ein Impuls
Von Elisabeth Hausen

Ein Schriftgelehrter fragt Jesus, der im Tempel lehrt, nach dem höchsten Gebot. Dieser gibt keine völlig neue, „christliche“ Antwort – sondern er zitiert aus der damals vorhandenen Bibel, die Christen als „Altes Testament“ kennen.

Die Begebenheit schildert das Markusevangelium in Kapitel 12,28–34:

Und es trat zu ihm einer der Schriftgelehrten, der ihnen zugehört hatte, wie sie miteinander stritten. Als er sah, dass er ihnen gut geantwortet hatte, fragte er ihn: Welches ist das höchste Gebot von allen? Jesus antwortete: Das höchste Gebot ist das: „Höre, Israel, der Herr, unser Gott, ist der Herr allein, und du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von ganzem Gemüt und mit all deiner Kraft.“ Das andre ist dies: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“ Es ist kein anderes Gebot größer als diese. Und der Schriftgelehrte sprach zu ihm: Ja, Meister, du hast recht geredet! Er ist einer, und ist kein anderer außer ihm; und ihn lieben von ganzem Herzen, von ganzem Gemüt und mit aller Kraft, und seinen Nächsten lieben wie sich selbst, das ist mehr als alle Brandopfer und Schlachtopfer. Da Jesus sah, dass er verständig antwortete, sprach er zu ihm: Du bist nicht fern vom Reich Gottes. Und niemand wagte mehr, ihn zu fragen. (Luther 2017)

Die Passage schlägt die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) für den sogenannten „Israelsonntag“ vor. Er ist am 10. Sonntag nach dem Dreifaltigkeitsfest (Trinitatis) und fällt in diesem Jahr auf den 24. August.

Bei Markus gehen der Begegnung mit dem Schriftgelehrten mehrere Streitgespräche voraus. Pharisäer und auch Sadduzäer versuchen, Jesus mit Fangfragen in eine Falle zu locken. Er bringt sie mit schlagfertigen und tiefgründigen Antworten zum Schweigen.

Doch dann kommt ein Schriftgelehrter, der eine ehrliche Frage stellt – und damit ein jüdisches Lehrgespräch beginnt. Jesus antwortet mit zwei Versen aus der Tora: 5. Mose 6,4.5 und 3. Mose 19,18. Das Neue ist, dass er sie in einen Zusammenhang stellt.

Antwort von Liebe und Wertschätzung geprägt

Der Gesprächspartner reagiert auf Augenhöhe. In seiner Antwort klingt ein Bibelvers an, den Jesus im Matthäusevangelium gleich zweimal zitiert: „Ich habe Lust an der Liebe und nicht am Opfer, an der Erkenntnis Gottes und nicht am Brandopfer“ (Hosea 6,6). Jesus bringt ihn bei einem Mahl mit Zöllnern (9,13) an und auch beim Ährenraufen am Sabbat (12,7). Beides wurde von Vertretern der jüdischen Geistlichkeit kritisiert.

Die Antwort des Schriftgelehrten ist geprägt von Liebe zu Gott und den Menschen – und von Wertschätzung für Jesus. Dieser bescheinigt ihm, verständig zu sein. Die Aussage „Du bist nicht fern vom Reich Gottes“ will sagen: „Du hast verstanden, worum es mir bei meiner Verkündigung geht.“

Was aus dem Schriftgelehrten geworden ist, erfahren wir nicht. Die Reaktion der übrigen Zuhörer indes ist überliefert: „Niemand wagte mehr, ihn zu fragen.“ Sowohl die Schlagfertigkeit bei Fangfragen als auch die von jüdischer Gelehrsamkeit zeugende Antwort auf die ehrliche Frage des Schriftgelehrten zeigen den Umstehenden: Jesus ist imstande, auf Augenhöhe auf solche Anfragen zu reagieren und sie notfalls zu parieren. Dabei praktiziert er selbst die von ihm als höchstes Gebot ausgemachte Liebe.

Diskussion mit Schriftgelehrten schon als Kind

Sein souveräner Umgang mit theologischen Fragen kommt bereits in der Kindheitsgeschichte vor: Mit zwölf Jahren bleibt Jesus nach dem Pessach-Fest im Tempel und diskutiert mit den Schriftgelehrten. Seine Eltern suchen ihn verzweifelt. In Lukas 2,46­–47 heißt es: „Und es begab sich nach drei Tagen, da fanden sie ihn im Tempel sitzen, mitten unter den Lehrern, wie er ihnen zuhörte und sie fragte. Und alle, die ihm zuhörten, verwunderten sich über seinen Verstand und seine Antworten.“

Jesus stand damals vor der religiösen Mündigkeit. Mit 13 Jahren ist ein jüdischer Junge Bar Mizva, „Sohn des Gebotes“, und damit selbst für seinen Umgang mit den göttlichen Geboten verantwortlich. Bei Mädchen beginnt die Religionsmündigkeit bereits im Alter von zwölf Jahren.

Schon bevor er im Bereich der Glaubensausübung erwachsen wurde, zeichnete sich also ab, was während seines öffentlichen Wirkens deutlich zutage trat: Jesus war bewandert in den biblischen Schriften und anderen jüdischen Traditionen. Er konnte sich mit Schriftgelehrten messen, passende Fragen stellen und intelligente Antworten geben.  

Israels Erwählung bleibt

Der Israelsonntag liegt zeitlich in der Nähe des 9. Tages des jüdischen Monats Av, des Trauertages Tischa BeAv. Dieser erinnert an die Zerstörung der beiden Jerusalemer Tempel. Er fiel in diesem Jahr auf den 1. August.

Der Sonntag hieß ursprünglich Jerusalemsonntag und betonte eine christliche Freude über die Zerstörung der Tempel, die eine Ersatztheologie stützen sollte – die Vorstellung, dass die Christenheit Israel als Volk Gottes abgelöst habe. Spätestens seit 1978 soll er hingegen als Israelsonntag die bleibende Erwählung des Volkes Israel deutlich machen. Diese hängt nicht davon ab, ob Könige in biblischer Zeit oder israelische Regierungen heutzutage nach Gottes Willen handeln. Er hat sich für Israel entschieden, und dabei bleibt es.

Der vorgeschlagene Predigttext zeigt, wie sehr der Jude Jesus in den jüdischen Schriften und Traditionen zu Hause war. Wir Christen neigen dazu, dies zu vergessen und auch das Alte Testament auf unsere persönlichen Situationen zu beziehen. Dabei kamen die Heidenchristen erst später zur jüdisch geprägten Gemeinde hinzu. Paulus betont in Römer 11,18: „Nicht du trägst die Wurzel, sondern die Wurzel trägt dich.“ Das gilt es für die Kirche zu beherzigen – nicht nur am Israelsonntag.

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13 Antworten

  1. ISRAEL wird immer das auserwählte Volk Gottes bleiben, da wird es nie einen Ersatz geben. Vergessen dürfen wir jedoch auch nicht, dass der Jude Jesus, der Sohn Gottes ist, der für die Sünden aller Menschen (Juden und Heiden), sein Leben gelassen hat, damit alle gerettet werden, die das Liebesangebot Gottes ( Jes.1,18) annehmen. Wie dürfen das Kreuz nicht verleugnen.
    Lieber Gruß Martin

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  2. Dieser DIalog mit dem Größten Gebot ist für mich eine sehr wichtige Bibelstelle.
    Hier offenbart Jesus die JÜDISCHE LEHRE und das Wichtigste davon. Das Größte Gebot von Mose und Jesus ist der Einklang von Mose und Jesus und der Gegensatz zu der Hass-erfüllten Welt.
    Wir müssen in Liebe für Israel u. Jesus kämpfen.

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    1. @Martin Sechting
      Das haben Sie sehr schön geschrieben!👍
      Vielen Dank. Und auch vielen Dank an @Frau Hausen. Es ist immer schön,noch etwas zu lernen und nicht zu vergessen,was als Christen unsere „Wurzel“ ist.
      Liebe Grüße Manu 🇮🇱🙏🙋🏻‍♀️

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    2. Lieber Martin Sechting, das allerwichtigste – wir dürfen das Kreuz Jesu predigen, was für ein Geschenk des allmächtigen Gottes an alle Menschen.
      Lieber Gruß zu Ihnen, Martin

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  3. Das so genannte „Alte Testament“ beinhaltet die Verheißungen Gottes ❤️ an die Menschen ❤️‍🩹.
    Das so genannte „Neue Testament“ ist die Erfüllung dieser Verheißungen an die Menschen ❤️‍🩹 … ❤️!

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  4. Der Ewige hat sein Volk einmal erwählt, und damit basta. ER hängt sein Fähnchen nicht nach dem Wind denn ER ist das Fähnchen und der Wind und ER vergibt seine Sympathien nicht nach Gutdünken.
    Und mittlerweile muten die Versuche von Christen und Moslems, dem Judentum die Sympathien des Ewigen abzusprechen und auf ihre jeweilige Glaubensrichtung zu übertragen, geradezu verzweifelt an. (Siehe Jesuskind in Palikrippe, indigene Palästinenser, Diebstahl jüdischer Identität, Geschichte und Kultur, Negierung uralter jüdischer Siedlungsräume bis hin zur Aneignung des Ursprunges als Basisreligion, man gibt vor auf islamistischer Seite, Avraham(Ibrahim) sei der erste Moslem gewesen). Man behauptet beiderseits des Judentums, der Ewige sei auf der Seite der eigenen Gläubigen und ER habe sich vom Volk Israels im Zorn abgewandt und entfremdet
    Die Tatsache, daß Zion siegreich ist, zeugt von des Ewigen Beistand zu seinem Volk, gegen jeden Widerstand und gegen jeden Feind trotz aller Verluste und schrecklicher Verfolgung.
    Andere Völker sind und wären unter solchen Umständen schon lange zugrunde gegangen, und sogar die Diaspora war ein Mittel des Ewigen, sein Volk zu erhalten, und das Land,welches die Juden zurück gewonnen haben gegen jede Wahrscheinlichkeit, trägt
    SEINEN Namen und zeugt von SEINER Macht, die ER nur zu einem winzig kleinem Bruchteil zeigt……………………SHALOM

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    1. @KLaus, mit dieser Aussage haben Sie sehr recht! „Der Ewige hat sein Volk einmal erwählt, und damit basta.“ – sein Wort bleibt aber gerade auch deshalb insbesondere für Israel, der absolute Maßstab. Seine Worte (Jahwe) nicht zu beachten – ist sehr töricht. So gelten die Worte die Gutes verheißen, ebenso wie die Worte die Züchtigung ankündigen. Das Geheimnis Gott und Jesus sind das Wort Gottes – ohne „Wenn und Aber“.
      Lieber Gruß zu Ihnen Martin

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  5. Jesus Christus, was für eine Persönlichkeit: Wahrer Mensch und wahrer Gott. Jesus Christus, Heiland und Erlöser.
    Im Alten Testament prophezeit, im Neuen Testament bezeugt.
    Er wird wiederkommen, den Hass besiegen, das Böse vernichten, Israel befreien und sein Reich bauen. Wer ihn kennt, ihn ernst nimmt, seinen Lebensweg mit ihm geht ist dabei: Was für eine Zukunft!
    Deshalb: Die längste Zeit haben wir alle noch vor uns – bist Du dabei?

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    1. Lieber Anton Hatt, ja – Sie stellen die wichtigste Frage – bist Du dabei? Danke wunderbarer Jesus, dass du dein Leben für die Sünden aller Menschen (Juden und Heiden), und auch mich gegeben hast, und Dein Vater dich vom Tod ins Leben geholt hat – ja du bist Auferstanden von den Toten – was für ein Wunder, gegen alle menschliche Weisheit.

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