JERUSALEM (inn) – Eine vermisste frühere Militäranwältin, ein durchgesickertes Video aus einer Haftanstalt, Streit um Befugnisse: Israel hat in den vergangenen Tagen erneut Aufruhr erlebt. Staatspräsident Jizchak Herzog sah sich am Sonntag dazu veranlasst, die Gemüter zu beruhigen: „Worte, die außer Kontrolle geraten, entzünden ein gefährliches Feuer und gefährden Leben“, schrieb er auf der Plattform X.
Grund für die Erregung: Die frühere Leiterin der Militäranwaltschaft, Jifat Tomer-Jeruschalmi, hat am Freitag zugegeben, im vergangenen Jahr das Durchsickern eines Videos aus dem Gefängnis Sde Teiman genehmigt zu haben. Das Video soll belegen, dass Soldaten einen palästinensische Sicherheitsgefangenen misshandelt haben. Tomer-Jeruschalmi erklärte zugleich ihren Rücktritt.
Wegen ihres Verhaltens zog die 51-Jährige Kritik und Empörung auf sich: Sie galt vielen als Landesverräterin, die Soldaten und Israel in Verruf bringe. Am Sonntagabend hatten Reservisten einen Protest vor ihrem Haus geplant.
Suche und Verhaftung
Doch im Verlauf des Sonntags wurde Tomer-Jeruschalmi von ihrer Familie als vermisst gemeldet. Angesichts der Umstände war Schlimmes zu befürchten. Die Polizei und die Armee starteten eine große Suchaktion zu Wasser und zu Land unter Einsatz von Helikoptern.
Zwischenzeitlich entdeckten die Einsatzkräfte das Auto von Tomer-Jeruschalmi, und Medien berichteten von einem Suizid und einem Abschiedsbrief. Am späten Sonntagabend dann aber die gute Nachricht: Tomer-Jeruschalmi wurde wohlauf an einem Strand bei Herzlia gefunden.
Die Polizei nahm sie nach einer ärztlichen Untersuchung allerdings fest – sie soll wegen der Videoaffäre verhört werden. Der Vorwurf lautet auf Behinderung der Justiz und nachträgliche Verschleierung. Zu den Verdächtigen gehört auch der Militärermittler Matan Solomosch, der ebenfalls am Sonntag gefangengenommen wurde.
Vergleich zu Rabin gezogen
Oppositionspolitiker verurteilten indes die verbalen Angriffe auf Tomer-Jeruschalmi als Hetze. Der Chef der linksgerichteten Partei Die Demokraten, Jair Golan, zog einen Vergleich zur Ermordung des Premierministers Jizchak Rabin vor genau 30 Jahren. „Dieselben Methoden, jemanden einen Verräter zu nennen und zu politischer Gewalt zu ermutigen, gehen weiter.“
Staatspräsident Herzog schlug mit seiner Mahnung in dieselbe Kerbe. Er forderte weiter, dass die israelische Gesellschaft aus den Geschehnissen am Sonntag ihre Lehren ziehen müsse. In dieser „erschütternden“ Affäre gelte es indes noch viel zu untersuchen und zu erfahren, „mit allen Folgen, die sich daraus ergeben“.
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Tatsächlich ist noch viel aufzuklären. Die Polizei äußerte am Montag den Verdacht, dass Tomer-Jeruschalmi das am Sonntag entstandene Chaos bewusst herbeigeführt habe. Sie habe währenddessen ein Handy, das belastende Informationen enthalten soll, ins Meer geworfen.
Der israelische Regierungschef Benjamin Netanjahu (Likud) nannte die Videoaffäre in der Kabinettsitzung am Sonntagmorgen „den vielleicht schwerwiegendsten Angriff auf die Öffentlichkeitsarbeit seit der Staatsgründung Israels“. Er forderte eine unabhängige und unvoreingenommene Untersuchung.
Empörung wegen Ermittlungen
Das Video von dem Vorfall stammt von einer Überwachungskamera in Sde Teiman. Es kam Anfang August 2024 an die Öffentlichkeit. Zu diesem Zeitpunkt liefen bereits Ermittlungen gegen verdächtige Soldaten. Anfang dieses Jahres erhoben die Strafverfolger des Militärs Anklage gegen fünf Reservisten.
Die Verdächtigen haben den Häftling laut Anklageschrift bei dem Vorfall Anfang Juli 2024 misshandelt. Dieser erlitt schwere Verletzungen, darunter gebrochene Rippen und einen Riss im Enddarm. Der betroffene Palästinenser kam im Rahmen des Gazadeals im Tausch für Geiseln mit anderen Häftlingen am 13. Oktober frei.
Am Freitag erklärte Tomer-Jeruschalmi in ihrem Rücktrittsgesuch an Armeechef Ejal Samir, sie habe die Verbreitung des Videos von dem Vorfall persönlich genehmigt. Damit habe sie Vorwürfen entgegentreten wollen, ihre Behörde agiere grundlos gegen die Armee. „Die Israelischen Verteidigungsstreitkräfte sind eine moralische und gesetzestreue Armee“, betonte sie in ihrem Schreiben. „Daher ist es eine Pflicht, beim Verdacht gesetzeswidriger Taten zu ermitteln.“
Allein die Ermittlungen gegen die Soldaten hatten bei Politikern der Regierungsparteien und rechtsgerichteter Organisationen für Empörung gesorgt. Als die Militärpolizei Ende Juli Soldaten festnehmen wollte, kam es zu heftigen Protesten.
Die Haftanstalt am Militärstützpunkt Sde Teiman wurde zu Beginn des Gazakrieges für palästinensische Terroristen eingerichtet. Seither gab es eine Reihe von Vorwürfen der Misshandlung durch Soldaten. In einem Fall wurde ein Beschuldigter zu einer siebenmonatigen Haftstrafe verurteilt.
Streit um Zuständigkeiten
Zu all dem Aufruhr gesellt sich noch der Streit um Zuständigkeiten in den Ermittlungen. Justizminister Jariv Levin (Likud) erklärte der Generalstaatsanwältin Gali Baharav-Miara am Samstag, sie dürfe in der Videoaffäre nicht ermitteln. Levin warf ihr vor, beim Obersten Gerichtshof in diesem Fall nicht die Wahrheit gesagt zu haben. Damit deutete er an, sie habe von der Verbreitung des Videos gewusst.
Baharav-Miara widersprach dieser Darstellung. Sie erklärte, ihre Behörde werde in dem Fall weiter ermitteln.
Ähnlich wie Levin sieht es der Likud-Abgeordnete Avichai Buaron. Er reichte am Montag eine Petition gegen Baharav-Miara ein. Darin warf er ihr vor, sie habe mit den Strafverfolgern der Armee eng zusammengearbeitet und sei an der zwischenzeitlichen Entscheidung beteiligt gewesen, die Ermittlungen einzustellen.
Tomer-Jeruschalmi und Solomosch wurden am Montag der Richterin Scheli Kutin am Magistratsgericht von Tel Aviv vorgeführt. Kutin entschied, dass die beiden Verdächtigen in den kommenden Tagen in Untersuchungshaft bleiben. (df)
2 Antworten
Ein Gefängnis ist kein Zuckerschlecken. Die IDF steht da zwischen 2 Stühlen. Zum einen, die moralischste Armee der Welt zu sein, auf der anderen Seite einen Krieg gegen Terroristen und Bestien zu führen, die dem israelischen Volk weitaus mehr Gewalt angetan haben, als gebrochene Rippen. Misshandlungen müssten tabu sein. Aber ich habe auch für jeden Soldaten Verständnis, der die Gewalttaten des 7.10. irgendwie rächen wollte. Als Leiterin der Militäranwaltschaft, hätte Jifat Tomer-Jeruschalmi zur Aufklärung beitragen sollen, anstatt erst einen Stein ins Rollen zu bringen und sich dann aus der Affäre zu ziehen. Eine unangenehme Sache für Israel, aber hilft nichts, muss aufgeklärt werden.
Schwierige Sache, woanders heute gelesen, das Video sei gefälscht gewesen.
Das im gezielten Durcheinander entsorgte Handy könnte auch ohne zu wissen, was drauf war/ist allerdings Hinweise geben.
Ich bete, dass die Wahrheit ans Licht kommt und alle Täuschungen um diese Vorfälle auffliegen.