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Die Nummer

Sie ist das A und O im öffentlichen Leben, ohne sie geht fast nichts in Israel: die Personalausweisnummer. Nichtstaatsbürger kann sie zur Verzweiflung bringen. Und reißt man einen Israli mit dem Ruf „Te‘udat Sehut“ aus dem Schlaf, so wird er ohne zu zögern mit dieser Nummer antworten. Mit Geburt oder Einwanderung erhält jeder Israeli eine solche Personalausweisnummer – und die bleibt ihm ein Leben lang erhalten. Der aus Deutschland stammende und in Israel lebende Judaist Rainer Barzen hat seine ganz eigenen Erfahrungen mit der Nummer gemacht.
Ihre Personalausweisnummer können die meisten Israelis auswendig.

„Bitte nennen Sie Ihre Personalausweisnummer.“ Der Wachmann am Haupttor des Campus der Hebräischen Universität wendet sich nicht unfreundlich, aber bestimmt an meinen Taxifahrer, der mich aus der Innenstadt von Jerusalem zu meinem neuen Wirkungsort auf dem Scopusberg bringt. „765230489“ erwidert dieser wiederum dem Wachmann. Offensichtlich ist es ein routinierter Vorgang, aber ich bin beeindruckt. Hätte ich doch meine deutsche Personalausweisnummer niemandem nennen können. Auch hat bisher keiner nach ihr gefragt. „Früher war die Nummer auf den Arm tätowiert. Jetzt kennen sie sie auswendig“, so mein erster Gedanke. Ich bin selber ein wenig erschrocken über meinen schrägen, sarkastischen Einfall. Diesen Gedanken meinem jüdischen Taxifahrer mitzuteilen, unterlasse ich. Die Fahrt ist ohnehin gleich zu Ende.
Nur die Frage nach der Personalausweisnummer in Israel lässt mich nicht mehr los: Will ich in einer Bank eine Wartenummer am Automaten ziehen, mit der man mich am Schalter aufrufen wird, fragt der Automat nach meiner israelischen Personalausweisnummer. Will ich Heizöl für den Winter mit meiner israelischen Kreditkarte bezahlen, verlangt die Sekretärin für das interne Sicherheitssystem meine israelische Personalausweisnummer. Ohne Personalausweisnummer wird der Heizölkauf zum Problem. „Warum haben Sie keine Personalausweisnummer?“ Ja, warum habe ich keine Personalausweisnummer…? Jetzt kommt der Moment, in dem ich mich erklären muss. „Ich bin kein Israeli …“. Dass ich das Gespräch in der Landessprache führe, trägt zu zusätzlicher Verwirrung bei. Außerdem ist es meinem Gegenüber auch völlig gleichgültig, dass ich aus Deutschland komme. Ich halte den Betrieb auf. Das macht mich zum Problem.
Seitdem ich für dieses Thema sensibilisiert bin, werde ich oft nach meiner israelischen Peronalausweisnummer gefragt, bei Besek zum Beispiel, der nationalen Telefongesellschaft, wenn ich die Störungsstelle anrufe, oder auf dem Internetportal meiner israelischen Bank. Es ist die Banalität des Selbstverständlichen, die ich immer noch nicht bereit bin, als normal hinzunehmen.
Ich beschließe darum, einen Feldversuch zu wagen. Bei der nächsten Familienfeier alter Freunde von mir frage ich in die Runde: „Wisst ihr auch alle eure Personalausweisnummern auswendig?“ — „Du etwa nicht?“ „Und nicht nur die“, bekomme ich zur Antwort, „selbstverständlich auch die Wehrpassnummer und die Nummer der nationalen Krankenversicherung.“ „Was ist deine Wehrpassnummer, Reuven?“, rufe ich quer durchs Zimmer, „5422100“, „und deine Krankenversicherungsnummer, Anat?“, „67992654“. Ich starte noch einige Versuche, immer mit dem gleichen Ergebnis. Jeder der Anwesenden hätte auch im Schlaf die Nummern nennen können, die für seine Existenz als Bürger dieses Landes so entscheidend, so selbstverständlich sind. Und die meisten wundern sich, dass es anderswo anders sein könnte.
Am Ende habe ich trotz fehlender israelischer Personalausweisnummer mein Heizöl bekommen. In der Bank hat mir eine Mitarbeiterin einen Trick gezeigt, der den Automaten gnädig stimmt und mir eine Nummer in der Schlange gewährt. Denn die Personalausweisnummer interessiert niemanden. Der reibungslose Ablauf ist wichtig. Noch wichtiger ist die Lösung eines Problems. Und die wird in Israel immer gefunden, auch jenseits gesetzter Regeln, manchmal sogar ohne Personalausweisnummer.

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