Die Großmutter von Nirit Bagron ist noch von der römischen Brücke aus in den Jordan gesprungen. Das war nach ihrer Flucht aus Nazideutschland in den 30er Jahren nach Palästina und vor der Gründung des Staates Israel im Jahre 1948. Damals haben die Mitglieder des Grenzkibbuz „Gescher“, zu Deutsch „Brücke“, noch im Gebiet der alten osmanischen Karawanserei gewohnt, und bei Hochwasser hat der Wasserstand noch die Bogen der alten Brücken erreicht.
Die heute 38-jährige Nirit kann sich den nassen Spaß ihrer Großmutter nicht mehr erlauben. Zum einen liegt die alte Brücke direkt auf der Grenze zwischen Israel und Jordanien und es ist schon ein Wunder, dass dies die einzige Stelle im Grenzgebiet ist, an der Zivilisten ohne spezielle Genehmigung des Militärs bis unmittelbar zur Grenze vorstoßen dürfen. Aber dann war zu Großmutters Zeiten auch der Wasserstand des Jordan noch gute drei Meter höher.
Eines der hehren Ziele des Zionismus war es, die Wüste zum Blühen zu bringen. Deshalb hat schon Staatsgründer David Ben Gurion sein Heim in Sde Boker am Rande der Wüste Zin gebaut. Doch die Anstrengungen, die Natur zu überwinden, haben einen furchtbaren Preis, den die Verantwortlichen in der Politik des Staates Israel und seiner Nachbarländer Jahrzehnte lang sträflich vernachlässigt haben.
Der See Genezareth liegt kaum zehn Kilometer nördlich von Gescher, ist der größte Süßwassersee im Nahen Osten und deckt ein Drittel des israelischen Wasserbedarfs. Einst waren es 450 Millionen Kubikmeter Wasser, die sich aus dem „Kinneret“, wie der See im Hebräischen genannt wird, in Richtung Süden ergossen. Heute verlässt kein Tropfen Wasser mehr auf natürlichem Wege den See. Aller Wasserüberschuss des Kinneret wird über die Landeswasserleitung in die Küstenebene und von dort weiter bis in die Negevwüste gepumpt.
Wenige Hundert Meter südlich der beliebten Taufstelle Jardenit versperrt der unscheinbare Alumot-Damm den Wasserlauf. Der neugierige Betrachter kann, wie die alten Israeliten zu Zeiten Josuas, trockenen Fußes von einem Jordanufer zum anderen gelangen. Rechterhand liegt das hellblau klare, fischreiche Wasser, das den See Genezareth verlassen möchte. Links, unter Büschen und Bäumen im Halbdunkel verborgen, spucken zwei Rohre ungeklärte Salz- und Abwässer aus, mehr als 20 Millionen Kubikmeter im Jahr, und machen den viel besungenen Fluss zu einer stinkenden Kloake.
Dass auf Höhe des Kibbuz Gescher das Wasser wieder grün ist und wenigstens noch Katzenwelse darin leben können, liegt daran, dass südlich vom See Genezareth der Fluss Jarmuk aus dem jordanisch-syrischen Grenzgebiet in den Jordan mündet. Seit den 60er Jahren zweigt aber der König-Abdallah-Kanal schon 150 Millionen Kubikmeter Wasser pro Jahr nach Jordanien ab, und wenn in diesem Jahr der syrisch-jordanische „Einheitsdamm“ das Jarmuktal vollends abriegeln wird, werden auch die ursprünglich 400 Millionen Kubikmeter des Jarmuk effektiv für die Begrünung der Wüste genutzt werden. Dann wird nur noch Abwasser auf dem Weg zum Toten Meer in dem einst als „Eingang zum Paradies“ gepriesenen Tal versickern.
Die Folgen sind katastrophal, für das natürliche Gleichgewicht in der Region und auch für die Wirtschaft und Lebensqualität der Menschen, die im Bereich des Jordangrabens leben. Am deutlichsten sichtbar für jeden Israelreisenden ist, dass der Wasserspiegel des Toten Meeres um mehrere Meter pro Jahr sinkt. Als Folge davon hat Gideon Bromberg, Direktor des israelischen Büros der „Freunde der Erde im Nahen Osten“, allein auf der israelischen Seite des Toten Meeres mehr als Tausend „Sinklöcher“ gezählt.
Mit dem Wasserspiegel des Toten Meeres sinkt das Grundwasser im Ufer. Hohlräume entstehen, die irgendwann einstürzen. Dadurch wurden bereits zwei Straßen zerstört. Der Kibbuz Ein Gedi musste einen Teil seiner Palmenplantagen wegen Sinklöchern aufgeben und der Strand von Ein Gedi musste geschlossen werden. Der Bau eines Hotels mit 5.000 Betten wurde nicht genehmigt, weil der Grund die notwendige Festigkeit missen lässt.
„Die Wirtschaft spricht dafür, mit der Natur ein Abkommen zu schließen“, erklärt Gideon Bromberg. Hauptproblem ist aus Sicht des studierten Juristen die israelische Landwirtschaft, die nur aufgrund immenser staatlicher Subventionen rentabel ist und dabei nur zwei Prozent des israelischen Bruttosozialprodukts liefert. In Israel verbraucht der Anbau von einem Kilogramm Bananen 400 Liter Wasser. Ähnliches gilt für Avocado, Mango oder Zitrusfrüchte.
Unsinnige staatliche Subventionen führen zu einem unverantwortlichen Raubbau der kostbaren Wasserressourcen. Ein Landwirt bezahlt in Israel umgerechnet 13 Eurocent pro Kubikmeter Wasser, ein Privatverbraucher ca. 80 Eurocent. Zum Vergleich: In Deutschland liegt der Preis für einen Kubikmeter Trinkwasser zwischen vier und fünf Euro. Nach Ansicht Brombergs muss Israel erkennen, dass es sich den Export von landwirtschaftlichen Produkten nicht leisten kann.
Weil der See Genezareth 200 Meter unter dem Meeresspiegel liegt, muss sein Wasser kostspielig in die Höhe gepumpt werden. Möglicherweise wäre die Entsalzung von Mittelmeerwasser langfristig gesehen sogar kostengünstiger als der Verbrauch des Kinneretwassers. Auch die Wiederaufbereitung von Abwasser ist eine Möglichkeit, die laut Bromberg bei weitem noch nicht ausreichend in der Region genutzt wird. So sei in den palästinensischen Autonomiegebieten bislang Al-Bireh die einzige Stadt mit einer Kläranlage und von den jüdischen Siedlungen in Judäa, Samaria und dem Gazastreifen besitzt seinen Angaben zufolge keine einzige eine Wasseraufbereitungsanlage.
Dass die Lösung dieser Probleme nicht in erster Linie im technischen oder finanziellen Bereich liegen, ist dem in Australien aufgewachsenen Israeli klar. Gideon Bromberg beschreibt regionale Kooperation als ein Muss. Deshalb gehören auch Jordanier und Palästinenser seiner Organisation der „Freunde der Erde im Nahen Osten“ an. Bei der Gründung 1994 gab es auch einen ägyptischen Zweig. Aber dessen Mitarbeiter wurden vom Geheimdienst ihres Landes so lange eingeschüchtert, bis sie 1998 die Kooperation mit dem verhassten Israel aufgaben.
Israelis und Araber bekämpfen sich seit Jahrzehnten erbittert und mit fast allen Mitteln. Das einzige unterzeichnete Abkommen, das im palästinensisch-israelischen Konflikt bislang von keiner Seite angetastet wurde, ist die Abmachung, die Wasserstrukturen des Gegners nicht anzutasten. „Im Bereich des Wasser klappt die Kooperation ausgezeichnet“, erklärt Bromberg, „allerdings hat dabei jeder nur im Blick, möglichst viel für sich selbst zu sichern. Die Natur hat das Nachsehen.“ Die allseits proklamierte Liebe zum Land führt so dazu, dass Todfeinde da am besten zusammenarbeiten, wo es darum geht, das blutig umkämpfte Land zu Grunde zu richten.
(Bild: Johannes Gerloff)