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Die Anklage im Hariri-Mord

Mitglieder der schiitischen Hisbollah haben den Mordanschlag auf den libanesischen Premierminister Rafik Hariri geplant und durchgeführt. Davon geht eine Anklageschrift aus, die am 17. Januar 2011 dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag von einer internationalen Untersuchungskommission unterbreitet wurde. Der geistliche Führer des Iran, Ajatollah Ali Chamenei, soll den Befehl zur Ermordung des Politikers gegeben haben. Er wird deshalb ebenfalls vor dem Internationalen Gerichtshof angeklagt.

Am 14. Februar 2005 war Rafik Hariri einer mächtigen Straßenbombe in Beirut zum Opfer gefallen. Mit ihm starben 22 Menschen. Hariri war nicht nur Regierungschef seines Landes gewesen, sondern auch ein Geschäftsmann, der sich um den Wiederaufbau des Zedernstaates nach Jahrzehnten des Bürgerkriegs verdient gemacht hatte. Besondere Popularität genoss er sowohl unter seinen sunnitischen Glaubensgenossen als auch unter Christen, weil er sich darum bemüht hatte, den Einfluss des übermächtigen Nachbarlandes Syrien zurückzudrängen.

Tausende Libanesen gingen infolge des Hariri-Mordes auf die Straßen und erzwangen einen Abzug der syrischen Besatzungstruppen aus dem Land. Ein Verdacht, die Syrer hätten den Politiker und Geschäftsmann ermordet, erhärtete sich nicht. Einige Monate nach seinem Tod wurde der syrische Offizier Ghazi Kanaan, verantwortlich für die Geheimdiensttätigkeiten seines Landes im Libanon, tot aufgefunden. Die Hintergründe seines Todes bleiben bis heute ungeklärt.

Um den Mord an Rafik Hariri aufzuklären, wurde von den Vereinten Nationen ein „Sondertribunal für den Libanon“ eingesetzt. In den vergangenen Wochen und Monaten erhärteten sich die Verdachtsmomente von den Syrern weg zur Hisbollah. Unter der Hand wurden Hinweise gehandelt, der Hisbollah-Aktivist Mustafa Badr a-Din sei einer der Verantwortlichen. A-Din ist Schwiegersohn des ehemaligen Generalstabschefs der Hisbollah, Imad Mughnijeh. Mughnijeh war einer der weltweit meistgesuchten Terroristen und steht ebenfalls im Verdacht, am Hariri-Anschlag beteiligt gewesen zu sein. Er fand fast auf den Tag genau drei Jahre nach dem Anschlag auf Hariri in Damaskus den Tod, als die Kopflehne seines Autos explodierte.

In der zweiten Januarwoche 2011 traten 11 Minister des libanesischen Kabinetts zurück. Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah machte seine Drohung wahr und stürzte die Regierung, weil Premierminister Said Hariri, der Sohn von Rafik Hariri, sich geweigert hatte, die Unterstützung für das Sondertribunal einzustellen. Damit zerbrach eine instabile Koalition aus einem westlich orientierten Block unter der Führung des Hariri-Sohnes einerseits und der schiitischen Hisbollah andererseits. Die Zurückgetretenen gehörten entweder zur Hisbollah oder deren Verbündeten, die insgesamt 10 von 30 Ministern im libanesischen Kabinett stellen.

Das Bündnis der bitteren Rivalen, das insgesamt kaum 14 Monate bestanden hatte, war ein Versuch, das Land zu stabilisieren. Doch der Versuch einer Zusammenarbeit von so gegensätzlichen Partnern in Kombination mit den Untersuchungen des Hariri-Tribunals hatte letztendlich die Lähmung der Führung des Zedernstaates zur Folge.

Hisbollah beschuldigt Israel

Die Hisbollah weist jede Verantwortung für den Hariri-Mord zurück und erklärt die Untersuchungskommission zur amerikanisch-israelischen Verschwörung. Zudem beschuldigt die Hisbollah Israel des Mordes an Hariri. Die „Partei Allahs“ – was „Hisb-Allah“ übersetzt bedeutet – besitzt ein Rüstungsarsenal und eine gut ausgebildete Kampftruppe, die der regulären libanesischen Armee weit überlegen ist.

Der junge Regierungschef muss einen unmöglichen Spagat vollziehen. Einerseits muss ihm an der Aufklärung des Mordes an seinem Vater gelegen sein. Andererseits könnte er sein Land in einen neuen Bürgerkrieg stürzen, wenn er sich gegen die allgegenwärtige und nahezu allmächtige Hisbollah stellt. Schließlich entschied er sich für seinen Vater und „die Würde des Libanon und der Libanesen“, wie er selbst zu verstehen gab.

Jetzt ist zu befürchten, dass alte Spannungen zwischen den Volks- und Religionsgruppen im Libanon wieder aufbrechen. Jeweils ungefähr ein Drittel der vier Millionen Libanesen sind Sunniten, Schiiten und Christen – wobei es auch noch weitere, politisch nicht unwichtige Minderheiten, wie etwa die Drusen gibt. Die Verfassung sieht vor, dass der Präsident maronitischer Christ, der Premierminister sunnitischer Moslem und der Sprecher des Parlaments Schiit zu sein hat. Die Familie Hariri gehört der sunnitischen Glaubensrichtung innerhalb des Islam an. Die Hisbollah ist schiitisch. Der Generalsekretär der Arabischen Liga, Amr Mussa, befürchtet, dass der Libanon wieder ins Chaos abgleiten könne. Der Ägypter bezeichnete die Lage im Lande als „schlimm, angespannt, bedrohlich“.

Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah hatte gleich nach dem Rücktritt seiner Minister verkündet, es werde im Libanon keinen weiteren Bürgerkrieg geben. Aber wer weiß, ob diese Entscheidung tatsächlich in seinem Machtbereich liegt – und ob alle Libanesen mit dem, was sich der vom Iran gesteuerte Scheich unter „Nicht-Bürgerkrieg“ vorstellt, zufrieden sein werden? Zwei Tage nach dem Scheitern der Regierungskoalition wurden schon die ersten Handgranaten von Unbekannten auf das Hauptquartier der Freien Patriotischen Bewegung geworfen. Diese Partei wird von dem libanesischen Christen Michel Aun geführt, der bekannt ist als Verbündeter der Hisbollah.

2008 waren im Libanon bei interreligiösen Zusammenstößen 81 Menschen getötet worden. Im Sommer 2007 gab es viel verschwiegene, aber wochenlange und blutige Kämpfe gegen so genannte Al-Qaida-nahestehende Gruppierungen um das Flüchtlingslager Nahr el-Bared bei der nordlibanesischen Stadt Tyrus, die Hunderte von Menschenleben gefordert haben. Ein Jahr zuvor hatte der Konflikt zwischen Israel und der Hisbollah die Infrastruktur des Landes schwer beschädigt. 1982 waren die Israelis im Libanon einmarschiert, um palästinensische Milizen zu vertreiben. Parallel dazu tobte von 1975 bis 1990 ein Bürgerkrieg, in dem praktisch jeder gegen jeden kämpfte, und dessen Narben bis heute überall im Lande sichtbar sind. Dabei dürften die unsichtbaren Wunden in den Seelen und Beziehungen der Menschen noch viel tiefer gehen und auch eine größere Tragweite haben als das, was äußerlich an Gebäuden sichtbar ist.

In den vergangenen Wochen haben sich eine Reihe von politischen Spielern um die Macht im Libanon gemüht: Iran, Saudi-Arabien, Syrien, Ägypten und die Vereinigten Staaten wollten ein Wort mitreden. Hassan Nasrallah und die Hisbollah haben das Land fest im Griff. Dabei hat der schwarze Scheich es immer wieder verstanden, auch seinen Sponsoren und Freunden, etwa Syrien und dem Iran, zu zeigen, dass er einen eigenen Willen und eigene Macht hat. Die spannende Frage ist, wer dieses Mal das letzte Wort behalten und ob der Machtkampf ohne Gewaltausbruch entschieden wird.

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