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Die 17. Knesset des Staates Israel

Die Wahlbeteiligung von 63,2 Prozent war Ausdruck der Lustlosigkeit und fehlenden Motivation der israelischen Wähler, wie auch der unerwartete Wahlerfolg der Pensionärspartei, die auf einen Schlag mit sieben Abgeordneten in das israelische Parlament einziehen wird. Auch das sang- und klanglose Verschwinden der radikal-säkularen Schinui-Partei nach nur einer Legislaturperiode ist ein Symptom dafür, dass die Streitlust in der israelischen Gesellschaft der Lethargie gewichen ist.

Von den 31 Parteien, die sich ursprünglich der Wahl gestellt hatten, werden letztendlich elf in die 17. Knesset einziehen. 20 Parteien schafften die in Israel festgelegte Zwei-Prozent-Hürde nicht, darunter so illustre Vereinigungen, wie die Grün-Blatt-Partei, die für eine Legalisierung von Marihuana eintritt oder die Anti-Banken-Partei, deren Name Programm sein soll.

Relativ kleine Parteien mit einer traditionell treuen Wählerschaft haben von der niedrigen Wahlbeteiligung profitiert. So konnte das ultra-orthodox europäisch geprägte Parteienbündnis Vereinigtes Torajudentum von fünf auf sechs Mandate zulegen, die ultra-orthodox orientalische Schass-Partei von elf auf zwölf Mandate und auch der arabische Parteienblock um ein Mandat auf insgesamt neun Abgeordnete.

Die ultra-orthodoxen Parteien haben eine Wählerschaft, deren Entscheidungen auf der Grundlage religiöser Loyalitäten getroffen werden. Durch religiöse Erlasse und Segensversprechungen mobilisieren die schwarz gekleideten, weiß-bärtigen Rabbiner ihre Gefolgschaft. Da in diesem Sektor die Wahlbeteilung relativ gleich bleibend hoch ist, macht sich eine niedrige Wahlbeteiligung in anderen Bevölkerungsschichten schnell bemerkbar. Insofern haben die Wahlverweigerer bei dieser Wahl in erster Linie dem Einfluss der Ultraorthodoxie in Israel in die Hände gespielt.

Die modern-orthodox dominierte, national-religiöse Nationale Union, die vor allem die israelischen Siedler vertritt, hat ihre neun Sitze beibehalten können. Der Verlust der links-zionistischen Meretz-Partei von einem Mandat auf jetzt fünf Abgeordnete und der zentralen Großparteien von insgesamt 62 auf 61 Mandate, dürfte ebenfalls ein Ergebnis dessen sein, dass viele Wähler am 28. März 2006 eher in die Einkaufszentren marschierten oder das schöne Wetter in der grünen Frühlingsnatur genossen, als zur Wahlurne zu spazieren.

Der große Verlierer dieser Wahl ist – neben der Säkularpartei Schinui – der rechts-konservative Likud unter Führung von Benjamin Netanjahu. Die Likud-Loyalisten des im Koma liegenden Ariel Scharon dürften für Kadima gestimmt haben, während viele konservative Nationalisten und vor allem russische Neueinwandererstimmen zu der Partei „Israel Beiteinu“, übersetzt „Israel unsere Heimat“, von Avigdor Liebermann abgewandert sind. Liebermann scheut vor allem im Blick auf die Araber nicht vor radikalen, manchmal faschistisch anmutenden Äußerungen zurück. Russisch-stämmige Israelis betonen, dass er stark und geradlinig ist.

Die Kadima-Partei wurde im November 2005 vom damaligen Regierungschef Ariel Scharon aus dem Boden gestampft. Kritiker werfen ihr vor, keinerlei demokratische Strukturen zu haben, „führer-orientiert“ und von den neureichen Oligarchen Israels abhängig zu sein. Die Kadima konnte ihre Präsenz in der Knesset von 14 auf 29 Mandate ausbauen, was zunächst einmal bedeutet, dass sie den Schock des Ausfalls von Scharon überwunden hat und unter der Führung von Ehud Olmert das Vertrauen eines großen Teils der israelischen Bevölkerung genießt.

Vieles bei Kadima ist nach wie vor unklar. Sie vereinigt Politiker, wie beispielsweise Dalia Itzik, die aus der Arbeitspartei stammt und ein dezidiert sozialdemokratisch-linkes Profil zeigt, und Zachi HaNegbi, der aus einer traditionell rechts stehenden Familie stammt und vom Likud zur Rückzugspartei Kadima gewechselt hat. Breite Unterstützung in der Bevölkerung und auch in weiten Teilen des Parteienspektrums findet das erklärte Ziel Ehud Olmerts, die Grenzen des jüdischen Staates Israel bis spätestens 2010 festzulegen und sich von den Palästinensern einseitig zu trennen. Das bedeutet einen weiteren Rückzug aus palästinensisch dominierten Gebieten in Judäa und Samaria, sowie die Annexion derjenigen Landstriche, die eine relativ dichte israelische Besiedlung vorweisen.

Die Frage, die sich jetzt nach Feststellung der Wahlergebnisse stellt, ist, welche Koalition möglich ist. 61 Mandate sind für eine regierungsfähige Mehrheit im israelischen Parlament mit seinen 120 Sitzen notwendig. Ehud Olmert wird als Chef der stärksten Fraktion voraussichtlich mit der Regierungsbildung von Staatspräsident Mosche Katzav beauftragt werden. Danach muss er innerhalb von 42 Tagen eine Regierung vorstellen und es wird sich zeigen, wie weit sein Verhandlungsgeschick, aber auch die Kompromissbereitschaft der infrage kommenden Parteien reicht.

Weder der national-konservative Rechtsblock noch die sozialdemokratisch orientierte linke Mitte haben eine eindeutige Mehrheit. Die ultra-orthodox sephardische Schas-Partei, auf deren Unterstützung für weitere Rückzugspläne einige spekuliert haben, hat gleich klargestellt: „Für einen weiteren einseitigen Rückzug gibt es keine jüdische Mehrheit.“ Das heißt, er ließe sich nur mit Unterstützung der zehn arabischen Abgeordneten durchsetzen. Die Schass war aber weder beim Abschluss der Abkommen von Oslo noch in Camp David 2000 Mitglied der Regierungskoalition. Insofern hat Ehud Olmert große Mühe, der Bevölkerung klarzumachen, dass das Wahlergebnis tatsächlich ein Sieg für die Kadima ist.

Zünglein an der Waage ist die Pensionärspartei, die bislang ohne eindeutiges politisches Profil – abgesehen von Rentnerinteressen – angetreten ist. Sollten die Pensionäre sich für den Rückzugszionismus des Ehud Olmert entscheiden können, wäre eine knappe Mehrheit von 61 Mandaten in einer Koalition von Kadima, Arbeitspartei, Meretz und der Pensionärspartei möglich. Ein oder zwei Rebellen innerhalb dieser Koalition hätten dabei allerdings eine überproportional große Macht.

Die sozial-demokratische Arbeitspartei unter Führung des marrokanisch-stämmigen Gewerkschaftsfunktionärs Amir Peretz büßte eine Stimme ein und ist mit 20 Mandaten in der Knesset vertreten. Trotzdem verbreitet Peretz Siegesstimmung. Er ist als entscheidender Koalitionspartner der Kadima prädestiniert. Politiker und Journalisten spekulieren bereits mit hämischem Unterton, welchen gewichtigen Ministerposten Olmert dem populistisch wirkenden Peretz, der nicht zuletzt wegen seines großen Schnauzbartes unter einer verblüffenden äußeren Ähnlichkeit mit dem sowjetischen Diktator Josef Stalin leidet, wohl anvertrauen wird.

Auch wenn der Wille des israelischen Wählers jetzt Schwarz auf Weiß vorliegt, ist noch lange nicht klar, wie die neue Regierung aussehen, und schon gar nicht, welchen konkreten Weg sie in welchem Bereich einschlagen wird. Ariel Scharon hat auf dem Höhepunkt seiner politischen Karriere gezeigt, dass es möglich ist, bei guter Kenntnis der zentralen Interessen aller Beteiligten zwei Sach-Koalitionen gleichzeitig zu führen. Ganz unabhängig von Parteienbündnissen hat er geschickt die Rückzugskoalition gegen die Wirtschaftskoalition gegeneinander ausgespielt, um seine Ziele zu erreichen.

Ehud Olmert tritt als Erbe Scharons an, wenngleich er an einem eigenen Profil arbeitet. Ganz gewiss wird er beweisen wollen, dass er das Taktieren von seinem Ziehvater gelernt hat, auch wenn er noch lange nicht dessen Gewicht besitzt. Das alles verspricht eine spannende Zeit der Koalitionsverhandlungen, bis eine Regierung und dann vor allem auch Ergebnisse der konkreten Regierungsarbeit sichtbar werden und beurteilt werden können.

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