Die legendäre Abschreckung der „unbesiegbaren“ israelischen Armee ist im Eimer. Das ist natürlich nicht die Auffassung der westlichen Welt, die nach jedem arabischen Anschlag traditionell gleich eine unverhältnismäßige Reaktion der einzigen militärischen Großmacht im Nahen Osten befürchtet. Aber genau das ist das Grundproblem Israels in Beziehung zu seinen arabischen Nachbarn. So zumindest sieht man die Lage im jüdischen Staat – und entsprechend könnten die Reaktionen Israels in naher Zukunft ausfallen.
Im Mai 2000 hatte sich Israel nach fast 20 Jahren Besatzung aus dem Südlibanon zurückgezogen. Auch wenn das kaum jemand offiziell zugeben wollte, aber das für israelische Soldaten sonst so untypische „V-Zeichen“, das sie damals hoch zu Panzer in die Fernsehkameras hielten, machte unübersehbar, wer der Verlierer war. Israel hatte für den Rückzug auf die von der UNO festgelegten Grenzen nichts von seinen Todfeinden als Gegenleistung erhalten, nicht einmal leere Versprechungen. Und der Chef der radikal-islamischen Schiiten im Südlibanon, Scheich Hassan Nasrallah, wurde groß als Sieger gefeiert.
Im Januar 2004 war wieder der schwarzbärtige Geistliche mit der schwarzen Kaftan und dem typischen Turban der unbestrittene Gewinner, als Israel im Austausch gegen einen zwielichtigen Geschäftsmann und drei Soldatenleichen fast 500 islamistische Terroristen und 59 tote arabische Kämpfer herausrückte. Damit war auch dem letzten palästinensischen Kind klar, wer seine Sache effektiv vertritt: Nicht etwa die verhandlungsbereiten aber korrupten Vertreter der säkularen Fatah, sondern die korantreuen Imame und Mullahs.
Den letzten Beweis, dass der Judenstaat Israel tatsächlich auf dem Weg zur Kapitulation ist, lieferte schließlich die ersatzlose Räumung der israelischen Ortschaften und ihrer 8.000 Bewohner im Gazastreifen und in Nordsamaria im August 2005. Die „Libanonisierung der Palästinensergebiete“, wie das Ziel der Al-Aksa-Intifada von Arabern auch auf den Punkt gebracht wurde, hatte sich gelohnt. Der weitgehend unbestrafte Raketenhagel auf israelische Städte und Dörfer aus dem geräumten Gazastreifen und die weltweit zahnlosen Reaktionen auf die dem demokratisch geäußerten Volkswillen der Palästinenser entsprechende Machtergreifung der Hamas im Januar 2006 waren nur weitere Bestätigungen für den realen Traum der Islamisten: Der Staat Israel geht seinem Untergang entgegen.
Die Ereignisse vom Vormittag des 12. Juli 2006 schließlich, bei dem sieben israelische Soldaten ums Leben kamen, zwei entführt wurden und weitere israelische Soldaten und Zivilisten zu Schaden kamen, waren ein weiterer Sieg der Todfeinde des jüdischen Staates. Eine Stunde suchte die israelische Armee verwirrt, Herr der Lage zu werden, und das, nachdem seit Monaten konkrete Warnungen vorlagen, dass die radikal-islamische Schiiten-Miliz im Südlibanon einen Coup vorbereitet.
„Wer viel droht, wird keinen Erfolg haben“, verkündete Hisbollah-Generalsekretär Nasrallah spöttisch auf einer Pressekonferenz und verwies ganz unverschämt auf seine militärischen Möglichkeiten. Nach Erkenntnissen der israelischen Geheimdienste soll die Hisbollah mehr als 10.000 Raketen haben, die mittlerweile weit ins israelische Kernland hinein reichen, bis nach Haifa und vielleicht sogar Hadera. Verzweifelt verkrochen sich die Zivilisten an Israels Nordgrenze am Abend des 12. Juli in ihre Bunker – deren Zustand vielfach den fast sieben Jahre lang genährten Friedensillusionen entsprach.
„Die Zeit der Drohungen ist vorbei“, schäumte der israelische Verteidigungsminister Amir Peretz, „die Zeit zum Handeln ist gekommen.“ Israelische Parlamentarier forderten in der Knesset nicht nur die gezielte Tötung von Scheich Hassan Nasrallah, sondern auch die Bombardierung von Beirut und Damaskus. Der ehemalige Parlamentssprecher Reuven Rivlin meinte: „Heute gibt es nur eine Antwort: Krieg!“ Oppositionsführer Benjamin Netanjahu versprach eine unbürokratische Unterstützung der israelischen Regierung bei schmerzhaften Vergeltungsschlägen und Ex-Geheimdienstchef Danni Jatom definierte als „Ziel unserer Operation, dass die Hisbollah in Zukunft versteht, dass sie bei einer solchen Unternehmung in jedem Falle immer verlieren wird.“ Der Oberbefehlshaber der israelischen Armee im Nordabschnitt, General Udi Adam, unkte unverhohlen, dass im Krieg gegen den Libanon „alles legitim“ sei.
Die Frage ist, ob Israel es schafft, sich als militärische Großmacht wieder glaubwürdig zu machen – und was für einen Blutzoll diese Kurskorrektur kosten wird. Auf keinen Fall will Regierungschef Ehud Olmert mit Terroristen verhandeln und schon gar keine Gefangenen freilassen. Dabei weiß Israels ältester TV-Nachrichtensprecher, der deutschstämmige Chaim Javin, alias Heinz Kluge, aber schon am Abend des nationalen Desasters: „Ich denke, letztendlich werden wir doch wieder Gefangene freilassen.“ Sein Gesprächspartner, General i.R. Jossi Peled, selbst ehemals Oberbefehlshaber des Nordabschnitts, ergänzt: „Ich hoffe, niemand hört uns jetzt zu, aber ich glaube, Sie haben Recht.“