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Der „Papst der Juden“: Die israelische Öffentlichkeit zum Tod von Papst Johannes Paul II.

Israel trauert um Papst Johannes Paul II. Staatspräsident Mosche Katzav lobte ihn, weil er offiziell Vorurteile und Anklagen gegen die Juden verurteilt hat. Premierminister Ariel Scharon beklagte, dass die Welt „eine der wichtigsten Führungspersönlichkeiten unserer Generation“ verloren hat. Vizepremier Schimon Peres würdigte den Verstorbenen als „echten geistlichen Führer“, der Dialograbbi David Rosen als „wahren Held christlich-jüdischer Versöhnung“ und die Jerusalem Post als „Mann des Dialogs“.

Aber es sind nicht nur die Vertreter der israelischen Öffentlichkeit, die dem Mann, der die katholische Kirche ein Vierteljahrhundert lang geleitet und geprägt hat, die letzte Ehre erweisen. In endlosen Radiosendungen und einer Welle von Zeitungsartikeln werden Erinnerungen ausgetauscht und wird spekuliert, wer wohl der nächste Papst werden und ob der es genauso gut mit dem jüdischen Volk meinen wird, wie Papst Johannes Paul II.

In der Tageszeitung Jediot Aharonot veröffentlicht der 85jährige Jossi Bienenstock einen Abschiedsbrief an Karol Wojtyla, mit dem er die erste Klasse in der Schule besucht hat. „Karol, du warst mein bester Freund“, bekennt der Holocaustüberlebende, und: „…ich habe bei Dir abgeschrieben. Ich wusste, dass du besser warst als ich.“ Weiter schreibt Bienenstock: „Ich weiß sogar von jüdischen Freundinnen, die Du hattest, aber Du hast beschlossen, in die Kirche zu gehen.“

Mit Papst Johannes Paul II. eröffnete sich vielen Israelis und Juden ein neues Bild der katholischen Kirche, die sie für die furchtbarsten Judenverfolgungen zumindest mit verantwortlich machen. Die Bilder vom März 2000 bleiben unvergessen: Der Papst in der Holocaustgedenkstätte Yad Vashem und an der Klagemauer, dem heiligsten Ort des Judentums.

In Yad Vashem weinte Papst Johannes Paul II. über das Leid, das dem jüdischen Volk zugefügt worden war. Und dann reichte er sechs Holocaustüberlebenden die Hand, darunter Edith Zierer aus Haifa, die der Priester Karol Wojtyla im Januar 1945 zehn Kilometer weit auf dem Rücken bis nach Warschau getragen hatte. An der Westmauer bat der Leiter der mächtigsten christlichen Kirche in einem Gebet um Vergebung für das Unheil, das Juden im Namen der Kirche widerfahren ist.

Hoch angerechnet wird Papst Johannes Paul II., dass er sich als polnischer Priester in den 40er Jahren strikt weigerte, jüdische Kinder taufen zu lassen, auch wenn sie von katholischen Priestern gerettet worden waren. Statt dessen ermutigte er ihre Retter, nach den Angehörigen dieser Holocaustüberlebenden zu forschen und sie, wenn möglich, mit ihren Familien zu vereinen.

Im Detail berichten israelische Zeitungen, dass Papst Johannes Paul II. am 17. November 1980 bei einem Treffen mit Vertretern der jüdischen Gemeinde in Mainz „dem Volke Gottes des alten Bundes, der von Gott nie aufgehoben wurde“, seinen Respekt zollte und damit der theologischen Aussage, die Kirche habe das jüdische Volk ersetzt, eine klare Absage erteilte. 1992 verurteilte er dann „den Antisemitismus als Sünde gegen Gott und Menschen“.

Johannes Paul II. war der erste Papst, der sich bei den Juden entschuldigte und seit dem Apostel Petrus wohl der erste Papst, der eine Synagoge betreten hat. Am 13. April 1986 besuchte er die große Synagoge in Rom, umarmte den dortigen Oberrabbiner Elio Toaff und bezeichnete bei dieser Gelegenheit die Juden als „herzlich geliebte ältere Brüder“ der Kirche. Immer wieder wird betont, dass es das Verdienst von Papst Johannes Paul II. ist, dass am 30. Dezember 1993 volle diplomatische Beziehungen zwischen Israel und dem Vatikan aufgenommen wurden.

Mit seinem Besuch im März 2000 in Israel schließlich erteilte Papst Johannes Paul II. der Lehre Augustins eine klare Absage, die Juden müssten als Beweis für die Richtigkeit der christlichen Wahrheit für immer in der Welt zerstreut bleiben. Nach mehr als 40 Jahren Staat Israel ist letztendlich auch die katholische Kirche zu dem Schluss gekommen, dass das jüdische Volk in seine alte Heimat zurückkehrt. Vom Berg Nebo aus, der auf dem Staatsgebiet des haschemitischen Königreiches Jordanien liegt, erinnerte Johannes Paul II. in einem Gebet daran, dass das vor ihm liegende Land von Gott dem erwählten Volk als Erbteil verheißen worden war.

Doch ganz ungetrübt ist der israelische Lobgesang auf den verblichenen Stellvertreter Christi auf Erden dann doch nicht. Besonders die Seligsprechung der judenchristlichen Nonne Edith Stein, die von den Nazis ermordet worden war, wird ihm selbst in liberalen Kreisen angekreidet. Johannes Paul II. hatte sie als „Tochter Israels“ gewürdigt, die „zur Ehre des heiligen Namens Gottes gestorben“ ist. Überhaupt verdächtigt man ihn einer Christianisierung des Holocaust, beispielsweise durch den Vergleich des Vernichtungslagers Auschwitz mit Golgatha.

Andere machen ihm zum Vorwurf, dass er mit dem Islam immer nur den Dialog gesucht habe, anstatt auch die Forderungen der christlichen Kirche klar herauszustellen. So sei Papst Johannes Paul II. dem Angebot des Jerusalemer Großmufti Scheich Ekrima Said al-Sabri, sich anlässlich seiner Pilgerreise im März 2000 zum Islam zu bekehren, die Antwort schuldig geblieben. Und in dem Streit um den Moscheenbau vor der Verkündigungskirche in Nazareth habe sich die Kirche nur für Monumente, nicht aber für die Menschen interessiert.

Schließlich bleibt in den Nachrufen auf Papst Johannes Paul II. in israelischen Zeitungen auch nicht unerwähnt, dass er sich insgesamt zehn Mal mit Jasser Arafat getroffen hat – zum ersten Mal 1982, als die PLO noch weit davon entfernt war, sich vom Terror loszusagen. Und dann ist da das immer noch ungelöste Kapitel von Tausenden von gestohlenen jüdischen Büchern und Manuskripten, die in den Gewölben des Vatikan lagern – anstatt dem jüdischen Volk zurückgegeben zu werden.

Doch bei allem kritischen Abstand wird dieses Oberhaupt der katholischen Kirche doch auch als „Papst der Juden“ bezeichnet. Nie haben so viele Juden für einen Papst gebetet, wie in der Zeit vor dem Abend des 2. April 2005. Eine Woche zuvor hat die jüdische Gemeinde in Warschau aus Sorge über den Zustand von Papst Johannes Paul II. gar einen Purim-Ball abgesagt.

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