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Der Krieg im Zweistromland und Israel

„Ganz gleich, wie dieser Krieg ausgeht, wir werden dafür bezahlen müssen.“ Mein Gesprächspartner bringt auf den Punkt, was derzeit viele Israelis aussprechen oder auch nur denken. Von Vorkriegspanik ist nichts mehr zu spüren. Trotz bestehender Anordnung sind die Gasmasken an den Schultern der Israelis praktisch völlig verschwunden. Die Angst vor der politischen Zukunft verdrängt die Furcht vor Raketen aus dem Osten.

Öffentlich hatte Jack Straw sich selbst und die internationale Staatengemeinschaft der Inkonsequenz bezichtigt. Israel und der Irak, so meinte der britische Außenminister, würden mit zweierlei Maß gemessen. Der Westen sei heuchlerisch, wenn er die Umsetzung der Resolutionen des UN-Sicherheitsrates im Blick auf den israelisch-palästinensischen Konflikt nicht ebenso einfordere, wie die an den Irak gerichteten Beschlüsse.

Wann immer Amerikaner und Briten das Irak-Problem diskutieren, kommen sie unweigerlich auch auf das Palästinenserproblem zu sprechen. Der Jahrhundertkonflikt zwischen Israel und den Arabern ist hauptverantwortlich für die Trennung zwischen dem Westen und der pan-muslimischen Welt, bekannten US-Präsident George W. Bush und der britische Premierminister Tony Blair nach ihrem Gipfel Ende März im amerikanischen Camp David, dessen Thema eigentlich die Entmachtung des Diktators von Bagdad war. Deshalb müsse der Nahostkonflikt endlich gelöst werden.

Im Mittelpunkt der Überlegungen steht derzeit die sogenannte „Roadmap“, eine „Straßenkarte“ zur Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts, die das „Quartett“ Rußland, USA, EU und UNO vorgelegt hat. Soweit bekannt, geht es darin um einen schrittweisen Abbau der Spannung mit dem Ziel eines unabhängigen Palästinenserstaates bis zum Jahr 2005. Der genaue Inhalt der „Straßenkarte“ ist einigen wenigen Wissenden in Politiker- und Diplomatenkreisen vorbehalten und bleibt Gegenstand der Spekulation.

Interessant ist, daß die Briten auf eine möglichst baldige Veröffentlichung drängen und dabei betonen, Bush sei schließlich der erste US-Präsident, der sich auf eine Zweistaatenlösung des Nahostkonflikts festgelegt habe. Gleichzeitig betont das Quartett, eine Veränderung der Roadmap sei nach ihrer Veröffentlichung nicht mehr vorgesehen.

In Israel macht man sich Sorgen, die Roadmap werde dazu dienen, die Schulden Bushs gegenüber Blair zu begleichen. Der Verdacht, der britische Premier nutze das Palästinenserproblem um Kritik an seiner Kriegspolitik in Europa und der arabischen Welt in Schranken zu halten, ist nicht von der Hand zu weisen. Versicherungen aus dem britischen Außenministerium, man wolle die Demokratie Israel in keiner Weise mit der Diktatur Saddam Husseins vergleichen, sind der israelischen Öffentlichkeit wenig glaubhaft.

Die Atmosphäre in den Palästinensergebieten ist derweil nicht gerade dazu geeignet, auf die israelische Öffentlichkeit beruhigend zu wirken. Während sich das westliche Interesse vor allem auf die Leiden und das beschwerliche Leben in der Palästinensischen Autonomie konzentriert, hört man in Israel die Stimmen einflußreicher aber radikaler Palästinenserführer.

So ruft der gelähmte Sheikh Ahmed Yassin von seinem Rollstuhl im Gazastreifen das irakische Volk unermüdlich dazu auf, „die Waffen der Selbstmordattentäter gegen die Amerikaner“ einzusetzen. Bei Demonstrationen werden israelische, amerikanische und britische Fahnen verbrannt. „Lieber Saddam, schicke Raketen auf Tel Aviv!“ schreien die Massen in Gaza und auf den Straßen von Ramallah ist zu hören: „O geliebter Saddam, bombardiere, bombardiere Tel Aviv. O Saddam, wir lieben dich, warum vernichtest du nicht alle Juden!“

Die Gefangennahme britischer und amerikanischer Soldaten durch die Iraker und ihre Zurschaustellung im Fernsehen wurde von Palästinensern in Ramallah als „großer Tag für das irakische Volk und alle Araber und Muslime“ bezeichnet. Ein Polizist meinte: „Jeder hier war froh, die Bilder von amerikanischen Soldaten in irakischer Gefangenschaft zu sehen.“

„Sie haben gerade zwei Apache-Helikopter abgeschossen!“ Hysterisch schreiend kommt ein Verkäufer aus seinem Geschäft gerannt: „Das ist unglaublich. Die Amerikaner verlieren den Krieg. Der Irak wird Bushs Vietnam!“ Die Jerusalem Post zitiert einen palästinensischen Offizier: „Saddam hat sich wieder einmal als großer Führer erwiesen, als Verteidiger der arabischen Rechte. Seine Männer sind tapfer. Sie haben die amerikanischen und britischen Hunde eine unvergeßliche Lektion gelehrt.“ „Saddam war noch nie so beliebt“, kommentiert ein palästinensischer Journalist, „man hat den Eindruck, daß er den Arabern Selbstvertrauen und Würde wiedergegeben hat.“

Den Selbstmordbombenanschlag vom 30. März in Netanya, bei dem 58 Israelis verletzt wurden, bezeichnete die radikal-islamische Organisation Islamischer Jihad als „Geschenk an das irakische Volk“. Sie rühmte sich, Selbstmordattentäter zur Unterstützung von Saddam Hussein in den Irak entsandt zu haben.

Über Syrien haben sich eine große Anzahl Palästinenser und anderer arabischer Freiwilliger zur Unterstützung der Iraker auf den Weg gemacht. Oberst Munir Maqdah, Offizier von Yassir Arafats Leibwache „Force 17“, verkündete, daß bereits eine große Anzahl seiner Leute im Irak eingetroffen seien. Im Irak wurde ausländischen Journalisten ein Trainingslager mit arabischen Kriegsfreiwilligen vorgeführt. Auf diesem Hintergrund wird in der israelischen Öffentlichkeit diskutiert, ob der US-Angriff auf einen syrischen Bus wirklich ein Versehen war.

Mehr als 60 Prozent der palästinensischen Bevölkerung unterstützen den Irak im Krieg gegen die US-Koalition. Das ergab eine Umfrage des palästinensischen Zentrums für öffentliche Meinung. Dieselbe Umfrage ergab allerdings auch, dass mehr und mehr Palästinenser für eine Einstellung der Gewalt gegen Israel sind.

Nicht ganz so aufgeheizt ist die Stimmung im arabischen Sektor der israelischen Gesellschaft. Aber trotzdem wandelten sich die Demonstrationen zum „27. Tag des Landes“ am 30. März zu Kundgebungen für Saddam Hussein. Von Galiläa bis zum Negev gingen Zehntausende israelische Araber auf die Straßen. Allein im galiläischen Sakhnin sprach der Bürgermeister der Stadt von 100.000 Teilnehmern. Auf Plakaten wurde der ägyptische Präsident Mubarak als „Feigling“, „Wendehals“ und „Amerikaner“ bezeichnet, der jordanische König Abdallah II. als „CIA-Agent“. Im Gegensatz zu manchen Vorjahren verlief der „Tag des Landes“ in diesem Jahr aber ohne gewaltsame Zwischenfälle.

Aus Europa berichten israelische Medien über Hunderttausende, die „für Saddam Hussein“ auf die Straße gehen – so wird es im Nahen Osten von Israelis wie Arabern aufgefaßt. In Paris wurde der israelische Teenager Yoni Odona von Demonstranten mit Palästinenserflaggen krankenhausreif geschlagen. In Mailand ist der Eingang zur israelischen Wirtschaftsdelegation mit „Israel = Terroristen“ besprüht. Karikaturen in europäischen Zeitungen, die die amerikanische „Hyper-Macht“ darstellen, als käme sie vom Mars – aggressiv, expansiv, geistig einfach strukturiert – während sie sich selbst als Venus-artig – weich, dekadent und friedliebend – charakterisieren, werden kritisch analysiert.

Außer denen, die lauthals schreien, gibt es aber natürlich auch die vielen Stillen im Lande, palästinensische Christen und Muslime, die sich nach all den Jahren der Intifada nichts als Ruhe, ein normales Leben wünschen. Befürchtungen, es werde wie im Golfkrieg von 1991 lange Ausgangssperren geben, haben sich glücklicherweise nicht bewahrheitet.

„Was die meisten Jugendlichen belastet, ist das Gefühl, daß das Leben an ihnen vorbei geht“, schreibt eine Deutsche, die mit einem Palästinenser verheiratet ist. „Kaum jemand hat wirklich Zukunftsperspektiven. Viele haben durch die langen Ausgangssperren jede Motivation verloren. Ihre schulischen Leistungen haben stark abgenommen, und wer die Schule schon hinter sich hat, langweilt sich zu Tode. Bei einer Arbeitslosigkeit von 60 Prozent haben Jugendliche kaum eine Chance, einen Job zu finden.“

Nur wenige Hundert Meter entfernt von den Palästinensergebieten, in einer ganz anderen Welt, in Israel, sind es aber doch ganz ähnliche tägliche Sorgen, die die Menschen weit mehr beschäftigen als die vom Golfkrieg bestimmten Nachrichten in Radio, Printmedien und Fernsehen.

Die meisten Israelis leiden sehr unter der miserablen Wirtschaftslage. Immer wieder wird von Menschen berichtet, die auf der Straße landen, weil sie ihre Rechnungen nicht bezahlen konnten, oder über die, die den vergangenen, sehr harten Winter auf der Straße überleben mußten. Zigtausende von Angestellten in Ministerien und Kommunen werden von der allmächtigen Gewerkschaft, der Histadrut, zum Streik aufgefordert. Darüber freuen sich nur Schüler, deren Unterricht ausfällt, weil die Lehrer streiken, oder auch Falschparker, weil die Polizei keine Strafzettel schreibt.

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