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Der Grenzübergang Karni – Ein riesiger toter Briefkasten

„Mein Name ist Schalom“, stellt sich der stellvertretende Exportmanager des Karni-Grenzübergangs zwischen Israel und dem Gazastreifen vor. Hektisch unterbricht er seine Einleitung und verbietet den Journalisten zu fotografieren. „Ach lass sie doch“, schaltet sich der Leiter des israelischen Presseamtes ein. Es entsteht eine heftige Diskussion. Oberst Nir Press, der für die Sicherheit verantwortlich ist, beobachtet die Auseinandersetzung lächelnd. Letztendlich darf jeder fotografieren, was ihm interessant scheint – außer den Sicherheitsleuten, die ihre Identität aber sowieso hinter Sonnenbrillen verstecken.

„Also, mein Name ist Schalom und ich gebe Ihnen jetzt ein Sicherheits-Briefing“, setzt Schalom noch einmal gewichtig ein. „Jeder soll sich bitte eine Flasche Trinkwasser nehmen.“ – Und damit sind die Anweisungen zur Sicherheitslage am Hauptumschlagplatz für Waren zwischen Israel und Gaza beendet. Eigentlich ist der Karni-Übergang das Ergebnis israelischer Bemühungen, mit den Palästinensern Handel zu treiben, oder sie wenigstens nicht verhungern zu lassen, ohne mit ihnen direkt in Kontakt treten zu müssen. Karni ist so etwas Ähnliches wie ein riesiger toter Briefkasten zur Fütterung von gefährlichen Raubtieren.

Direkt auf der Grenze zwischen Israel und dem autonomen Gazastreifen steht eine zehn Meter hohe Betonmauer. Diese Mauer hat ganz unterschiedlich geartete Durchlässe: An manchen Stellen ist es ein Loch, durch das ein Förderband Getreide auf die andere Seite schafft. An anderer Stelle sind es Schlauchanschlüsse, über denen steht, für was sie bestimmt sind: Klebstoff, Benzin, Verdünner, Diesel, Betonzusatz, Emulsion für leichtes Rohöl, Speiseöl, Industrieöl, Hyperchlorid oder CO2.

Per Mobiltelefon spricht der Lieferant direkt mit seinem Handelspartner auf der anderen Seite – den er in manchen Fällen schon jahrelang nicht mehr gesehen hat – ab, wann welches Material in welcher Menge entladen wird, damit auf der anderen Seite auch tatsächlich der richtige Lastwagen bereitsteht.

Paletten und große Frachtstücke werden in bombensichere Gehege gestellt. Wie hungrige Fliegen stürzen sich vier Gabelstapler auf einen Sattelschlepper und haben ihn in wenigen Minuten entladen. Wenn die Fracht von israelischer Seite abgeladen ist, gibt es eine letzte Kontrolle. Dann wird das riesige Stahltor geschlossen. Auf der anderen Seite öffnet sich ein ebensolches Stahltor, so dass die Palästinenser die Waren entgegennehmen können.

„Was auf der anderen Seite passiert, ist vollständig in den Händen der Palästinenser“, erklärt Oberst Nir Press, der am Karni-Übergang im Auftrag der israelischen Armee für die Sicherheit zuständig ist. Die logistische Abwicklung der Warenbeförderung liegt genau wie die Details der Sicherheitsfragen in den Händen der privaten Gesellschaft, die auch den Ben-Gurion-Flughafen in Lod und die Grenzübergänge Israels betreibt.

300 bis 350 LKW können hier täglich nach Gaza hinein entladen werden. Was nach Gaza hineingeht, wird auf Bestellung der Palästinenser geliefert. „Das ist einzig ihre Entscheidung“, betont Oberst Press, seien das nun Zwiebeln oder Kirschen, und vor der Fußballweltmeisterschaft natürlich lastwagenweise neue Fernsehgeräte. 450 Tonnen Mehl verbraucht die Bevölkerung des Gazastreifens pro Tag, „und wir haben ihnen in letzter Zeit mehr angeboten, als sie annehmen wollten, nämlich 21.000 Tonnen Getreide und Mehl pro Monat“, versichert Nir Press.

Manche der Waren nehmen einen abenteuerlichen Weg, bevor sie die Verbraucher erreichen. Da gibt es Importe über Israel in das Westjordanland, die dann erst von dort nach Gaza gebracht werden. Manches erreicht auch über Ägypten und das Westjordanland sein Ziel in Gaza-Stadt, wie etwa die ägyptischen Snacks, die palettenweise in den „Raubtierkäfig“ verladen werden. Für die Transportwege sind meist die einzelnen Händler und ihre geschäftlichen Erwägungen verantwortlich.

An normalen Tagen dürfen umgekehrt auch ungefähr 30 Lastwagenladungen Gaza verlassen: Früchte, Gemüse, Kleidung, Möbel oder auch Speiseeis. Doch das ist in diesem Jahr nur selten vorgekommen. Was aus dem Gazastreifen nach Israel hineingelassen wird, wird gründlichst mit neuester Technik durchleuchtet. „Unsere Hauptsorge ist, dass Waffen aus Gaza nach Israel geschmuggelt werden“, meint Oberst Nir Press, und außerdem „hatten wir seit Januar viele konkrete Warnungen vor Terroranschlägen.“ Und die werden sehr ernst genommen.

Am 13. Januar 2005 hatten sich drei Palästinenser mit 150 Kilogramm Sprengstoff in einem Auto am Karni-Übergang den Weg nach Israel frei zu sprengen versucht. Dabei kamen sechs israelische Zivilisten, die dort beschäftigt waren, ums Leben. Monatelang blieb der Warenübergang geschlossen. Am 14. Dezember des vergangenen Jahres verhinderte die israelische Armee einen ähnlichen Anschlag, indem sie ein mit Sprengstoff beladenes Auto, das sich dem Übergang näherte, aus der Luft beschoss. Und am 26. April 2006 vereitelten palästinensische Sicherheitskräfte einen weiteren Anschlagsversuch. Dabei wurde die Autobombe sichergestellt, die Terroristen aber entkamen und sind deshalb frei, ihr Glück noch einmal zu versuchen.

Warum palästinensische Extremisten diese Lebensadern ihres Volkes zum Ziel ihrer Anschläge machen, ist genauso schwer zu beantworten, wie die Frage, warum die Palästinenser in ihrer Notlage nicht alles annehmen, was ihnen von Israel geboten wird. Oberst Nir Press zuckt nur die Schultern: „Vielleicht wollen sie die Illusion einer humanitären Krise schaffen? – Nahrungsmittel, Medikamente und medizinische Hilfsgüter finden aber immer einen Weg in den Gazastreifen, ganz unabhängig von der Sicherheitslage.“

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