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Der Ausbruch aus Gaza und seine möglichen Folgen

Die Sprengung der Grenzbefestigungen zwischen dem Gazastreifen und der Sinaihalbinsel hat weit reichende und bislang nur schwer abzuschätzende Auswirkungen. Hamas-Kommandeur Abu Osama gab gegenüber der "London Times" zu, dass die Öffnung der Grenze von langer Hand sorgfältig vorbereitet war. Dutzende von Bombenexplosionen hatten die schwere Metallwand in der Nacht vom 22. auf den 23. Januar 2008 an mehreren Stellen zum Einsturz gebracht. Hunderttausende von Palästinensern strömten daraufhin vom nördlichen Teil der geteilten Stadt Rafah am Südende des Gazastreifens in deren ägyptischen Teil in der Nordostecke der Sinaihalbinsel.

Der ägyptische Präsident Hosni Mubarak weigerte sich, der Aufforderung Israels Folge zu leisten, und die Grenze mit dem Gazastreifen wieder zu schließen. Außerdem scheinen die ägyptischen Polizisten in Rafah, trotz 300 Mann Verstärkung, die zwei Tage zuvor eingetroffen waren, nicht in der Lage, die aus Gaza andrängenden Massen in Schach zu halten. Kairo will eine Konfrontation mit der Muslimbruderschaft vermeiden, deren palästinensischer Arm die Hamas ist.

„Ende vom Traum eines Palästinenserstaates“

„Was in Gaza momentan passiert, ist das Ende des Traumes von einem Palästinenserstaat“, kommentiert ein palästinensischer Redakteur in Bethlehem. Weder die Palästinensische Autonomie unter Mahmud Abbas noch die israelische Regierung haben seiner Meinung nach verstanden, dass der Hamas und ihrem Klientel alles daran liegt, ein unabhängiges Palästina zu verhindern.

„Jetzt bleiben nur noch zwei Optionen“, meint der Journalist: „Eine Angliederung der Palästinensergebiete an Jordanien und Ägypten oder ein Staat für beide Völker gemeinsam.“ Die Angliederung an Jordanien und Ägypten, de facto die Wiederherstellung der Situation von 1967, bedeutete höchstwahrscheinlich das Ende der Regimes in Amman und Kairo. Ein gemeinsamer Staat von Israelis und Palästinensern ist aus Sicht Israels inakzeptabel, weil dann Nichtjuden die Mehrheit stellen würden.

Die einzigen arabischen Staaten, mit denen Israel einen Friedensvertrag hat, sind akut von innen bedroht. In Jordanien sieht sich das Haschemiten-Königshaus, das ursprünglich aus Saudi-Arabien stammt, einer überwältigenden palästinensischen Bevölkerungsmehrheit gegenüber. In Ägypten hat die offiziell verbotene radikal-sunnitische Muslimbruderschaft in den vergangenen Jahren beängstigende Erfolge meist durch so genannte unabhängige Kandidaten mit demokratischen Mitteln erzielt.

In jedem Falle werden die Ereignisse am Südrand des Gazastreifens unmittelbare Folgen für die israelisch-ägyptischen Beziehungen haben. Israelische Zeitungskommentatoren munkeln, der kalte Frieden mit Ägypten werde sich in einen stürmischen Frieden wandeln. Die jordanische Opposition forderte bereits die Ausweisung des israelischen Botschafters aus Amman.

Die Öffnung des Gazastreifens in Richtung Ägypten hat auch konkrete militärische Auswirkungen auf Israel. Zum einen bedeutet jede militärische Aktion gegen Gaza bei einem de facto Anschluss an Ägypten eine Aktion gegen den ältesten Friedenspartner des jüdischen Staates. Zum anderen öffnet sich potentiellen Attentätern in Israel die schwer zu kontrollierende Grenze zwischen der ägyptischen Sinaihalbinsel und der israelischen Negevwüste.

Armee in Alarmbereitschaft

Deshalb versetzte die israelische Armee ihre Einheiten an der ägyptisch-israelischen Grenze mittlerweile in erhöhte Alarmbereitschaft. Im ansonsten verschlafenen Hinterland Israels, der Negevwüste im Süden des Landes, stören Straßensperren von Polizei, Grenzschutz und Militär den Verkehrsfluss auf den endlos langen Straßen. Die Straße Nummer 10 entlang der ägyptischen Grenze wurde für zivilen Verkehr geschlossen.

Israelischen Geheimdiensten liegen Informationen vor, dass Terroristen an der Entführung von israelischen Touristen im Sinai arbeiten. Deshalb sprach der nationale Sicherheitsrat Israels eine Reisewarnung für den Sinai aus und empfahl allen Israelis sofort aus Ägypten nach Israel zurück zu kehren. Nach monatelanger Ruhe gab es am Abend des 25. Januar gleich zwei Terroranschläge im Großraum Jerusalem. Dabei wurde der Grenzpolizist Rami Suari aus Be´er Scheva erschossen und mehrere Israelis verletzt. Das weist darauf hin, dass die Ereignisse in Gaza durchaus Auswirkungen auf das Westjordanland haben.

Der Durchbruch vom Rafah des Gazastreifens zum ägyptischen Rafah ist ein Sieg für die Hamas und ihre Mutterorganisation, die Muslimbruderschaft. Zeitgleich mit dem Befehl zur Sprengung der Grenzbefestigungen verkündete Hamas-Politbürochef Chaled Mascha´al, dass man das Recht auf Rückkehr in „die Gebiete von 1948“, den bewaffneten Kampf und den Dschihad niemals aufgeben werde. Damit bewies er sich selbst, seinem Volk und vor allem der Welt, dass es eine Alternative zur abgewirtschafteten Palästinenserführung in Ramallah gibt. Die Konferenz in Damaskus, auf der Mascha´al die Eröffnungsrede hielt und gemeinsam mit anderen militanten Palästinenserorganisationen auftrat, war vom Iran und Syrien organisiert worden.

Fajjad: Israelische Sicherheitsbedürfnisse ernst nehmen

Der palästinensische Fatah-Premierminister Salam Fajjad meinte auf dem Weltwirtschaftsforum im schweizerischen Davos: „Wir müssen die israelischen Sicherheitsbedürfnisse ernst nehmen. Wir sind der Gewaltlosigkeit verpflichtet und suchen eine Lösung des Konflikts mit friedlichen Mitteln.“ Bemühungen des palästinensischen Präsidenten, die Lockerung der israelischen Blockade von Gaza auf die eigene Rechnung zu buchen, gingen aber genauso unter in den Turbulenzen der Realpolitik im Nahen Osten, wie die Friedenstöne des Premiers.

Arabische Medien, wie etwa der Nachrichtensender „Al-Dschasira“, sympathisieren unverhohlen mit den radikalen Sunniten. Dabei sind diese Medien offensichtlich weniger Meinungsmacher als ein Spiegel der öffentlichen Meinung auf den Straßen der arabischen Welt. Die Hamas selbst konnte bereits kurz vor der Öffnung der Grenze zu Ägypten und dem damit verbundenen freien Verkehr von Menschen, Waffen und Gütern 20.000 zivilen Bediensteten im Gazastreifen den wöchentlichen Lohn auszahlen.

Viele der schätzungsweise 350.000 Araber aus Gaza, die in den Sinai durchgebrochen waren, kehrten nach Einkäufen in Ägypten wieder in den Gazastreifen zurück. Doch eine beträchtliche Anzahl der Flüchtlinge blieb bislang in Ägypten und setzte die Reise gar in Richtung auf ägyptische Bevölkerungszentren fort. Der rechtsgerichtete Knessetabgeordnete Arije Eldad von der Nationalen Union will in dieser Fluchtbewegung einen Beweis dafür erkennen, dass ein freiwilliger Transfer von Palästinensern aus dem Land Israel in die umliegenden arabischen Länder durchaus eine Option ist.

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