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Das einzige Blinden-Gehörlosen-Stummen-Theater der Welt

Elf Männer und Frauen sitzen hinter einem langen Tisch. Sie tragen weiße Masken ohne Augen- oder Mundlöcher. "Ich erkenne Menschen durch Berühren. Ohne Hände gibt es keine Kommunikation", sagte einer. Zwei schwarz gekleidete junge Frauen schlagen fest auf eine große Trommel. Die Schauspieler nehmen ihre Masken vom Gesicht. Wieder ein Trommelschlag. Die Schauspieler wenden sich einander zu.

„Na Laga´at“ (Bitte berühren) heißt das weltweit einzige Theater, bei dem alle Schauspieler nicht nur gehörlos und stumm, sondern noch dazu blind sind. „Nicht vom Brot allein“ nennt sich das Stück, das zwei Jahre lang mühsam einstudiert wurde. Die Taubblinden mussten lernen, die Vibrationen der Trommeln zu erspüren. Diese geben das Zeichen für die nächste Szene.

Anfangs kneten sie frischen Brotteig. Hefegeruch erfüllt den Theatersaal. Während der Teig in Backformen aufgeht, bieten die Schauspieler Einblicke in ihre stille Welt der Finsternis. Sie tanzen, erzählen ihre Träume, eine Hochzeit wird auf der Bühne gefeiert, ihre Tournee nach Italien wird mit buntem Getöse dargestellt. Wie beim berühmten Bild von Pieter Brueghel „Der Blindensturz“ (1568) packen sich die Schauspieler an der Schulter, um von einem der schwarzgekleideten Helfer hinausgeführt zu werden. Die Helfer drücken sie in der nächsten Szene auf einen bereitstehenden Stuhl, den sie selber nicht sehen.

Übersetzungen in hörbare Sprache und Gebärden

Was die Blinden in Gehörlosensprache zu sagen haben, wird von einem Helfer an der Seite der Bühne für das Publikum in hörbare Sprache übersetzt. Gleichzeitig gibt er das Gesagte in Gebärdensprache wieder, während oberhalb der Bühne der Text in Arabisch, Hebräisch und Englisch auf eine Leinwand geworfen wird. Nach anderthalb Stunden erfüllt den Saal der Duft frischen Brotes.

Adina Tal, die aus Zürich stammende Regisseurin, erklärt dem Publikum den Sinn und die Problematik dieses Theaterprojekts, ehe die Zuschauer eingeladen werden, auf der Bühne das frisch gebackene Brot zu kosten. „Es gibt Theater mit Blinden und mit Gehörlosen und mit Stummen, aber es gibt kein zweites Theater in der Welt, bei dem die Schauspieler alle drei Behinderungen haben.“

Jede Probe und Aufführung sei organisatorisch sehr aufwendig. Die Schauspieler müssen aus allen Teilen des Landes abgeholt und nach Jaffa gefahren werden. Auf der Bühne müsse jeder Schritt, jede Bewegung, eingeübt werden. Die zusätzlich gehbehinderte Schauspielerin Genia Schasky habe sich mal beklagt, an einem Tag fünfzig Mal „geheiratet“ zu haben, berichtet die 56-Jährige.

Kommunikation trotz Gebärdensprache kompliziert

Dem Theater im Hafen von Jaffa angeschlossen sind ein Café mit gehörloser Bedienung und ein Restaurant, in dem man in totaler Finsternis von blinden Kellnern bedient wird. Wie sich herausstellt, bietet sogar die Gebärdensprache der Gehörlosen keine Garantie für eine reibungslose Kommunikation unter den arabischen Kellnern und den jüdischen Schauspielern, von denen einige aus Russland eingewandert sind. Die hebräische Gebärdensprache ist der deutschen ähnlich, weil sie Ende des neunzehnten Jahrhunderts von einem Tauben aus Deutschland mitgebracht wurde. Doch Russen und Araber hätten eine eigene Gebärdensprache entwickelt, erzählt die Leiterin des im Jahr 2002 gegründeten Projekts. Itzik verwendet die „Handschuh-Sprache“ (Lormen), bei der jedes Fingergelenk einen anderen Buchstaben repräsentiert. Und Juri „redet“, indem er mit den Fingern die Braille-Blindenschrift auf die Handfläche seines Partners drückt.

Die Regisseurin Tal war vor einem Monat in Berlin, um die Möglichkeit einer Tournee nach Deutschland und in andere europäische Staaten auszuloten. „Der Transport ist sehr teuer. Jeder Schauspieler benötigt einen eigenen Übersetzer an seiner Seite. Mit den Technikern handelt es sich um 30 Personen. Hinzu kommen Bühnenbauten, darunter Backöfen“, erläutert sie. Das Theater finanziert sich zu 80 Prozent selbst. Der Rest wird aus Spenden bestritten. Deshalb müsse sich die Auslandstournee auch finanziell auszahlen. Um ein neues Theaterstück zu proben, müsse ein eigenes Budget gefunden werden. „Auch ohne Reklame ist unser Saal stets gefüllt. Die Zuschauer kommen dank Flüsterpropaganda, um an diesem einzigartigen Erlebnis teilzuhaben.“

Von: Ulrich W. Sahm

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