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Das alljährliche Streik-Chaos

„Das Geschäft meines Lebens habe ich heute gemacht!“ Nachts um halb elf strahlt mich der Tankwart an und reibt sich vergnügt die Hände. Daß es bei Streiks auch Gewinner gibt, hatte ich mir schon gedacht, als ich tagsüber die endlosen Autoschlangen vor den Tankstellen sah – ganz abgesehen davon, daß sich die Kinder freuen, wenn das Schuljahr traditionell mit einem Lehrerstreik beginnt. Aber auch die Freude der Schüler wird mit zunehmendem Alter getrübt, wenn nämlich klar wird, daß die verlorene Unterrichtszeit irgendwie nachgeholt werden muß.

Grundsätzlich ist richtig: Israel leidet unter den Streiks, die alle Jahre wieder einen Milliardenschaden anrichten. Das gilt für die Reisenden, die auf Flughafen festsitzen, für die Antragsteller, die auf Regierungsämtern vor verschlossenen Türen stehen, oder eben auch für Autofahrer, die an der Tankstelle nicht bedient werden – deshalb die Hamsterkäufe, wenn sich ein Generalstreik am Horizont abzeichnet.

Die drastischen Sparmaßnahmen des israelischen Finanzministers Benjamin Netanjahu kennen kaum Grenzen. Weder Renten noch Sozialhilfen, weder Kindergeld noch das Budget der Armee sind ihm heilig. Die Schließung des Religionsministeriums ist nicht nur ein Triumph des radikal-säkularen Justizministers Josef Lapid und seiner Schinui-Partei, sondern vor allem auch ein Ergebnis der Sparpolitik der Regierung Scharon. Jeder muß den Gürtel enger schnallen. Lediglich die Geheimdienste blieben davor bislang verschont.

680.000 Rentner, oder 26 Prozent der älteren Menschen Israels, leben unterhalb der Armutsgrenze. 22 Prozent oder 400.000 israelische Familien sind so arm, daß sie Sorgen um das tägliche Brot haben und sich nicht angemessen ernähren können. 60 Prozent davon sind alteingesessene jüdische Familien, 20 Prozent Araber und 20 Prozent Neueinwanderer. 618.000 israelische Kinder müssen in ärmlichen Verhältnissen aufwachsen, in denen sie nicht einmal die Hälfte des Pro-Kopf-Durchschnittseinkommens genießen können. Die „Neuarmen“, die aufgrund der jüngsten Kürzungen unter die Armutsgrenze rutschen, sind dabei noch gar nicht eingerechnet.

Am Montagmorgen begann die (fast) allmächtige Histadrut-Gewerkschaft ihre Muskeln zu zeigen. Warnstreiks sollten dem Finanzminister zeigen: So geht es nicht! Ergebnis: Arbeiter fragten sich, ob sie jetzt arbeiten, oder nicht. Eltern suchten herauszufinden, ob ihre Kinder etwa vor verschlossenen Türen stehen würden, wenn sie sie in die Schule schickten. Angestellte wußten nicht nur nicht, ob sie am Arbeitsplatz zu erscheinen hatten, sondern auch nicht, ob die Bahn dorthin fahren würde.

Am besten sei der Zustand in der israelischen Gesellschaft mit dem hebräischen Wort „Balagan“ zu beschreiben, resümierte der Nachrichtensprecher des israelischen Rundfunks. Das Wort „Balagan“ hat den gleichen Ursprung wie das deutsche „Balkon“ und bezeichnet im Persischen ursprünglich das, was Schauspieler auf einer Bühne machen. Im Deutschen müßte man „Balagan“ wahrscheinlich mit „Durcheinander“ oder „Chaos“ übersetzen, am treffendsten ist aber der alte schwäbische Begriff „Tohuwabohu“.

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