„Christen werden Syrien verlassen“

Vor einem Jahr übernahmen Islamisten in Syrien gewaltsam die Macht. Im Gespräch mit Israelnetz zeichnet der Nahostexperte Kamal Sido von der Gesellschaft für bedrohte Völker ein düsteres Bild. Hoffnung gibt ihm jedoch Israel.
Von Martin Schlorke

Israelnetz: Herr Sido, vor einem Jahr hat Ahmed al-Schar’a in Syrien die Macht übernommen. Wie hat sich seitdem die Lage der Christen im Land verändert?

Kamal Sido: Die Lage der Christen hat sich dramatisch geändert, weil die Macht im Land nun bei Islamisten, Dschihadisten und Salafisten liegt. Syrische Christen haben deswegen allen Grund, Angst zu haben – auch wenn Al-Schar’a manchmal christliche Würdenträger trifft. Islamisten haben das Ziel, Syrien weiter zu islamisieren. Irgendwann werden Christen in so einem Syrien keinen Platz mehr haben.

Können diese Treffen etwas bewirken?

Solche Gespräche müssen gesucht werden, weil es um die Zukunft der Christen in Syrien geht. Ohne diese Gespräche gibt es noch mehr Probleme und die Radikalen würden noch mehr gegen Christen vorgehen. Die Patriarchen müssen die Forderung, dass Syrien keine islamische Republik werden darf, klar formulieren: Al-Schar’a muss sich vom radikalen Islam distanzieren und ein Präsident aller Syrer sein – auch der Minderheiten.

Das christliche Hilfswerk „Open Doors“ berichtet, dass sich Drohungen gegen Christen mehren.

Al-Schar’a gibt sich moderat. Doch seine Umgebung, Minister, Bürgermeister, Polizisten und seine normalen Anhänger sind weiterhin radikal und eine ständige Bedrohung für Christen, weil Islamisten das Christentum an sich nicht dulden. Christen gelten als Menschen dritter oder vierter Klasse.

Bald stehen die Weihnachtsfeiertage an, die mit einer erhöhten Sichtbarkeit von Christen einhergehen. Droht nun eine noch höhere Gefahr für Christen?

Die Gefahr ist da. Es gibt ein Sprichwort: „Man muss erst fest im Sattel sitzen und kann dann zuschlagen“. So haben (Präsident Recep Tayyip) Erdoğan in der Türkei, (der frühere Präsident Mohammed) Mursi in Ägypten und auch die Mullahs im Iran agiert. Noch blickt die Welt auf Syrien und noch muss sich das Regime weiter stabilisieren. Aber trotzdem spüren Christen schon jetzt, dass sie in Syrien nicht willkommen sind.

Werden die syrischen Christen deswegen ihr Land verlassen?

Ja, Christen werden Syrien verlassen.

Und bereits während des Krieges geflohene Christen werden nicht mehr zurückkehren?

Auf keinen Fall. Selbst Muslime wollen nicht mehr zurück, weil die politische Zukunft so ungewiss ist. Aber auch in Deutschland ist die Lage für Syrer gefährlich. Denn auch hier leben radikale Syrer, die Christen, Drusen oder Alawiten drohen.  

Außenminister Johann Wadephul hat eine Debatte über die Zustände in Syrien angestoßen. Er sagte nach seinem Besuch in Damaskus, dass es in Syrien kaum möglich sei, würdig zu leben.

Es gibt tatsächlich Regionen, die völlig zerstört sind. Dorthin kann man niemanden abschieben. Ich habe mit dem Minister aber ein anderes Problem.

Welches?

Er, aber auch seine Vorgängerin Annalena Baerbock, verharmlosen das islamistische Regime, zum Beispiel durch ihre Besuche. Deutschland sollte sich aber bemühen, dass in Syrien eine Demokratie entsteht, in der auch Christen eine vollständige Glaubensfreiheit genießen. In der auch ich als Muslim keine Angst vor Islamisten haben muss.

Obwohl all das nicht stattfindet, hat der Westen Sanktionen gelockert und Hilfszahlungen zugesagt.

Ich will ehrlich sein: Ich halte diesbezüglich von westlichen Politikern überhaupt nichts. Menschenrechte werden nur dann relevant, wenn sie geopolitischen Interessen dienen. Das war schon immer so und wird sich auch nicht ändern. Deswegen akzeptiert der Westen das Regime auch. Deswegen ist es die Aufgabe von Menschenrechtsorganisationen, Journalisten und der Zivilgesellschaft, auf die Missstände aufmerksam zu machen. Auch die Kirchen müssen lauter werden.

Es geht um bedrängte Christen. Warum sind die Kirchen nicht laut? Geopolitik dürfte für die Kirchen ja kein Grund sein.

Tatsächlich spielt Politik eine Rolle. Als der Papst die Türkei besuchte, trat er sehr diplomatisch auf, anstatt sich kritisch zu äußern. Die Herangehensweise ist, dass man die Islamisten für sich gewinnen, beziehungsweise überzeugen will. Das wird aber nicht funktionieren.

Al-Schar’a versprach, alle religiösen Minderheiten im Land zu schützen. Will er das wirklich und kann er das überhaupt?

Ich nehme ihm diese Aussage nicht ab. In seinen Worten, in seinen Augen und in seiner Mimik erkenne ich keine Glaubwürdigkeit. Das macht mir Angst.

Wie bewerten Sie die Situation der anderen Minderheiten im Land?

Noch schlimmer, als die der Christen. Jeden Tag werden Alawiten vergewaltigt und getötet. Sie erleben gerade eine der schlimmsten Phasen ihrer Geschichte. Die Drusen hätten ein unvorstellbares Massaker erlebt, hätte die israelische Luftwaffe nicht eingegriffen. Ohne Israel hätten Zehntausende den Tod gefunden. Trotzdem wurden Dutzende Dörfer zerstört. Wenn Alawiten und Drusen weiter geschwächt und massakriert werden, droht den Christen als nächstes das gleiche Schicksal.

Wie steht es um die Kurden?

Die Kurden leisten Widerstand und sind die Speerspitze der Demokratie in Syrien. Drusen und Alawiten setzen große Hoffnung in die Kurden. Den Kurden droht aber nicht nur Gefahr von den neuen syrischen Machthabern, sondern auch von Erdoğans Türkei. Dank der Unterstützung der Amerikaner können sich die Kurden aber noch wehren. Doch wenn Trump die Unterstützung einstellt, drohen auch hier Massaker.

Gibt es etwas, dass Ihnen für die Zukunft Syriens Hoffnung gibt?

Die Hoffnung darf man nicht verlieren. Denn wer aufgibt, hat schon verloren. Hoffnung gibt mir der Widerstand der Alawiten, der Widerstand der Drusen und der Widerstand der Kurden gegen den radikalen Islam. Und meine Hoffnung ist Israel. Israel weiß aus eigener leidvoller Erfahrung, dass Islamisten eine Gefahr sind.

Herr Sido, vielen Dank für das Gespräch.

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15 Antworten

  1. So groß die Freude des syrischen Volkes nach dem Sturz Assads war, so sehr ist nun Ernüchterung eingetreten. Die geleerten Gefängnisse wurden mit Alawiten gefüllt und immer wieder hören wir von Gewalt und Tötungen. Ich sage es immer wieder:
    Al Scharaa ist ein Wolf im Schafspelz, er strebt ein islamisches Syrien an, das erkennen auch die Christen. Während anfangs Syrer zurück in ihr Land strömten, haben viele dieses Ziel vorerst wieder aufgegeben. Ja, wenn der gesamte Nahe Osten friedlicher wäre, ein Traum. Die Situation muss erst stabiler werden, bevor man sich sicherer fühlen kann. Ob das jemals eintritt? Mein Gebet für die verfolgten Christen hört niemals auf.

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    1. Tja, Ella, ein islamistischer Totschläger bleibt ein solcher, auch wenn er seinen Bart stutzt und feinen Zwirn trägt.
      SHALOM

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      1. Hallo Klaus, wahrscheinlich haben Sie recht, aber es gibt hoffnungsvolle Ausnahmen. So wurde Paulus vom Verfolger – zum Nachfolger. Paulus drohte und mordete wider die Jünger Jesu, bis er ein Licht vom Himmel sah und auf die Erde fiel. Jesus sprach dann zu ihm: Saul, Saul, was verfolgst du mich? Ja Paulus durfte umkehren und wurde zu einem sehr wertvollen Werkzeug für den allmächtigen Gott. Ja, der lebendige Gott tut so gerne, was uns vollkommen unmöglich erscheint.
        Lieber Gruß zu Ihnen, Martin

        10
    1. Leider unterstützen Europäer mit ihrem Helfertick und aus überheblicher „schon wissen, was in Ordnung“ Idee, direkt und indirekt Islamideen und Machthaber. Sie verkennen, dass für alle Islamisten Krieg herrscht wo der Islam nicht herrscht.

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  2. Die zwangsweise Abwanderung der Christen bedeutet eine Vielfaltverlust für Syrien.

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  3. Interessantes Interview. Dass Herr Sido quasi vom Westen fordert, für Demokratie in Syrien zu sorgen, ist höflich ausgedrückt naiv. Wo soll’s denn bitte herkommen ? Kein einziges arabisches Land ist demokratisch und keines auf dem Weg dahin. Und , liebe Ute Engel, sie haben Recht mit dem Verlust der Vielfalt, aber das ist genau das, was die Islamisten wollen.

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    1. @Antonia:
      Sie schreiben: „Dass Herr Sido quasi [!] vom Westen fordert [sic], für Demokratie in Syrien zu sorgen [sic], ist höflich [!?] ausgedrückt naiv.“
      Am Anfang sollte das ernsthafte Sich-Bemühen um das angemessene Verständnis eines Textes stehen. Ihre Lesart aber ist mangelhaft.

      Was sagt Kamal Sido? Hier zwei Zitate:
      1.
      „Er [Wadephul, A.M.], aber auch seine Vorgängerin Annalena Baerbock, verharmlosen das islamistische Regime, zum Beispiel durch ihre Besuche. Deutschland sollte sich aber bemühen [sic], dass in Syrien eine Demokratie entsteht, in der auch Christen eine vollständige Glaubensfreiheit genießen. In der auch ich als Muslim keine Angst vor Islamisten haben muss. Die Kurden leisten Widerstand und sind die Speerspitze der Demokratie in Syrien. Drusen und Alawiten setzen große Hoffnung in die Kurden. Den Kurden droht aber nicht nur Gefahr von den neuen syrischen Machthabern, sondern auch von Erdoğans Türkei. Dank der Unterstützung der Amerikaner können sich die Kurden aber noch wehren. Doch wenn Trump die Unterstützung einstellt, drohen auch hier Massaker.“
      2.
      „Die Hoffnung darf man nicht verlieren. Denn wer aufgibt, hat schon verloren. Hoffnung gibt mir der Widerstand der Alawiten, der Widerstand der Drusen und der Widerstand der Kurden gegen den radikalen Islam. Und meine Hoffnung ist Israel. Israel weiß aus eigener leidvoller Erfahrung, dass Islamisten eine Gefahr sind.“

      Lesen Sie bitte den Text des Interviews. Versuchen Sie zu verstehen. – Ich habe selten einen Text gelesen, der mich in seiner Klarheit und Aufrichtigkeit in solch hohen Maße berührt hat.

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    2. Ja, ich weiß, das Ziel der Islamisten bestehtdarin, dass die ganze Welt von islamischen Gottesstaaten bedeckt ist.

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  4. Vielen Dank für diesen Artikel! Ich wundere mich immer wieder über Politiker, die die Gefahr des radikalen Islamismus anscheinend nicht wahrhaben wollen.

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  5. @Alida : Daß Sie der Text „in solch hohen (sic) Maße berührt hat“, freut mich für Sie. Seien Sie beruhigt, ich habe den Text gelesen und bin, nach gut 40 Jahren Journalismus, durchaus in der Lage, ihn rational zu beurteilen und zu interpretieren. Ich bleibe bei meinem Kurzkommentar, daran ändern Ihre langatmigen Ausführungen nichts. Für mich ist damit der Fall abgeschlossen , ich wünsche Ihnen ein angenehmes Wochenende.

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    1. @Antonia
      Danke für Ihre freundliche Erwiderung. Besonders dankbar bin ich Ihnen, dass Sie mich in so höflichem Ton auf die grammatikalische Panne hingewiesen haben! (Kommentar abgeschickt, Korrektur dann unmöglich – höchstens durch „Neuansatz“.)

      Langatmige Ausführungen? Wo sehen Sie die? Langatmig? Sie setzen mich in Erstaunen. Lesen Sie quer? Meine „Ausführungen“, meine eigenen, bestehen aus wenigen Zeilen.

      Sie bleiben also bei Ihrem Kurzkommentar? Sie behaupten also weiterhin: „Dass Herr Sido quasi [!] vom Westen fordert [sic], für Demokratie in Syrien zu sorgen [sic], ist höflich [!?] ausgedrückt naiv.“
      Herr Dr. Sido jedoch hat nichts „gefordert“, schon gar nicht vom „Westen“. Sie aber behaupten das. Und das ist, so nennt man das vermutlich im Deutschen, eine Unterstellung.
      Kamal Sido spricht von Deutschland. Und ein Sich-Bemühen ist keineswegs, wie Sie unterstellen, ein Sorgen-Für.

      Der Gefahr, der ehemalige oder aktive Journalisten, Politiker etc. zuweilen zu erliegen scheinen, ist: Sie pflegen alles und jedes auf ihre manchmal oberflächliche, fast zwanghafte Art zu kommentieren. Und sie sind überzeugt, immer Recht zu haben. Ihnen ist schwerlich zu helfen.

      Sie schreiben: „Für mich ist damit der Fall abgeschlossen [. . .]“ – Ich bitte Sie, von welchem FALL sprechen Sie? Ist das QUASI Journalistendeutsch?

      Langatmige „Ausführungen“? Dieses Mal sicherlich. Je vous souhaite également un très bon week-end, Madame !

      Je vous remercie sincèrement pour votre référence à la TRIBUNE JUIVE, qui remonte à longtemps. Verzeihen Sie bitte mein holpriges Französisch.

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      1. @Alida
        Sorry,wenn ich mich einmische. Aber Antonia hat Recht. Wenn er schreibt,Deutschland sollte sich aber bemühen,das in Syrien eine Demokratie entsteht. Ja wie denn,um Himmels Willen? Ich denke,du solltest nochmals überlegen. Bitte nicht böse sein. Aber Antonia hat schon Recht. Auch wenn ich kein Französisch spreche. Und das der Fall für sie abgeschlossen ist,heißt wohl. Sie bleibt bei ihrer Meinung. Manche Dinge kann man auch ,, zerreden“.
        Viele Grüße Manu

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    2. @ Antonia und Alida

      Ohne mich zwanghaft um jeden Preis um Vermittlung oder Versöhnung bemühen zu wollen, denn ich habe grundsätzlich nichts gegen kontrovers geführte Debatten, scheint mir hier doch nur vermeintlich Gegensätzliches Gegenstand der Diskussion geworden zu sein.

      So meine ich wie Alida, dass dieses Interview mit Kamal Sido sehr gut die Probleme und Gefahren der aktuellen Situation in Syrien aufzeigt.

      Ich gebe aber auch Antonia dahingehend recht, dass das Warten auf Initiativen unserer deutschen Politik zur Befriedung und Demokratisierung Syriens verfehlt ist.

      Dazu haben wir seit Jahrzehnten im Nahen Osten zu oft versagt und scheitern auch aktuell wieder kläglich an den komplexen Herausforderungen.

      Die Aussagen von Sido wären wichtig in Formaten zu äußern, die eine weitere Resonanz entfalten können als hier bei uns im Forum. Hier fallen seine klugen Einschätzungen und Appelle unzweifelhaft auf fruchtbaren Boden.

      Der Auftrag sollte aber sein, unserer Gesellschaft diese Erkenntnisse deutlicher als bisher in Medien zugänglich zu machen. Als Referent der Gesellschaft für bedrohte Völker könnte sich Herr Sido bspw. darum bemühen, seine Ansichten, Bedenken und Kritik bei Lanz oder anderen ähnlichen Plattformen, die von vielen Menschen bei uns zur Meinungsbildung genutzt werden, einem größeren Kreis zu eröffnen.

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    3. Fortsetzung

      Gerade weil es sich bei ihm nicht um einen jüdischen Israeli handelt, die ja gerne von vornherein als unglaubwürdig und subversiv gebrandmarkt werden, könnte sich hier eine wertvolle Chance ergeben, den vielen Uninformierten die aktuellen Geschehnisse durch die Augen eines kenntnisreichen Beobachters und unmittelbar Betroffenen zu vermitteln und sie bestenfalls dadurch zu überzeugen.

      Auf die Hilfe von außen vertrauend in Untätigkeit zu verharren, kann nicht die angezeigte Devise sein, sondern vielmehr durch Nutzung aller Möglichkeiten der öffentlichen Aufklärung neue Gesinnungsgenossen zu mobilisieren. Das müsste doch einem so klugen und sich so wortgewandt Äußernden wie Sido, mitsamt seiner durch ihn vertretenen Organisation, möglich sein.

      Es ist wichtig, dass sich gerade nicht-jüdische Menschen und Nicht-Israelis als Unterstützer öffentlich zu Wort melden, wenn es um die Fehlentwicklungen im Nahen Osten und deren aktuell leider von vielen in unserer Gesellschaft praktizierte falsche Einordnung geht.

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