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Chaos in der Palästinensischen Autonomie: Versuch einer Orientierungshilfe

In diesem Jahr ist es nicht der israelisch-palästinensische Konflikt, der die Durchführbarkeit der traditionellen Weihnachtsfeiern in Bethlehem in Frage stellt. Mittlerweile sind auch die letzten palästinensischen Propagandisten verstummt, die ausländischen Journalisten weiszumachen suchen, dass es keine inneren Streitigkeiten gäbe, weil alle Palästinenser im selben Boot säßen und einzig die Grausamkeit der israelischen Besatzung an allem schuld sei. Zu Weihnachten 2007 sind es innerpalästinensische Spannungen, die das Friedensfest am Geburtsort Jesu gefährden – obwohl auch das nicht neu ist, nachdem im Jahr zuvor bewaffnete Palästinenser in der Vorweihnachtszeit die Stadtverwaltung von Bethlehem stundenlang besetzt hielten.

Vor laufender Fernsehkamera schießen auf den Straßen von Gaza-Stadt schwarz vermummte „Ordnungshüter“ der Hamas mit Schnellfeuerwaffen auf vorbeifahrende Polizisten der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA). Panische Kinder suchen mit dem Schulranzen auf dem Rücken Deckung. Die schlimmsten Prophezeiungen der Gegner eines einseitigen israelischen Rückzugs aus den Palästinensergebieten scheinen Wirklichkeit geworden zu sein. Fast täglich melden die Krankenhäuser Tote und Verletzte aufgrund von gewalttätigen Auseinandersetzungen.

Der offensichtlichste Konflikt besteht zwischen der säkular orientierten Fatah, die einst von Jasser Arafat gegründet worden war, und der radikal-islamischen Hamas-Bewegung, die der gelähmte Scheich Ahmed Jassin gegründet hatte, und deren Wurzeln auf die ägyptische Muslimbruderschaft zurückgehen. Aber so einfach – Fatah gegen Hamas – ist die Sache nicht. Sonst wäre sie auch im Gazastreifen längst entschieden. Die Machtverhältnisse wären dann nämlich eindeutig: Die Fatah-dominierten PA-Sicherheitskräfte haben dort mehr als 20.000 Mann unter Waffen, die Hamas gerade mal 3.000. Selbst eine bessere Motivation der radikalen Islamisten könnte die zahlenmäßige Übermacht der regulären palästinensischen Sicherheitskräfte nicht wettmachen, ganz abgesehen vom Rückhalt, den diese im westlichen Ausland genießen.

Mahmud Abbas bemüht sich als Präsident der Palästinensischen Autonomiebehörde, den verblassten Mythos um Jasser Arafat zu verwalten. Er steht für die alte Kämpfergarde, die ihren „Abu Amar“, wie Arafat gemeinhin genannt wurde, von Exil zu Exil, von Jordanien in den Libanon, und von dort nach Tunesien begleitet haben. Da diese PLO-Elite 1993 von Nordafrika in die Palästinensergebiete einzogen, werden sie von der Bevölkerung gemeinhin „Tunesier“ genannt. Sie werden vom Westen als Hoffnungsträger unterstützt, weshalb es ihnen meist nicht an Geld fehlt, stehen für Korruption und vor allem für die Interessen des „dekadenten Westens“ (aus islamischer Sicht) oder der „alten Kolonialmächte“ (aus sozialistischer Sicht).

Aber auch die „alte Garde“ der PLO-Führung steht nicht geschlossen hinter „Abu Masen“ – so der Nom de guerre von Mahmud Abbas. Faruk Kaddumi beispielsweise hat Jahrzehnte lang als Außenminister der PLO fungiert und ist seit Arafats Tod Generalsekretär der Fatah. Er hat die Abkommen von Oslo nie anerkannt und hat sich bislang geweigert, die Palästinensischen Autonomiegebiete zu betreten. Hinter dem Rücken von Abbas, so wird gemunkelt, arbeitet er an einem Bündnis mit dem Politbürochef der Hamas, Chaled Mascha´al.

In der PA drängt eine junge Fatah-Führungsgeneration an die Macht, für die Namen wie Kaddura Fares, Dschibril Radschub, Mohammed Dahlan und vor allem der von Israel zu fünfmal lebenslanger Haft verurteilte, aber nichts desto trotz wohl populärste PLO-Politiker Marwan Barghuti stehen. Diese Leute sind keineswegs frei vom Korruptionsvorwurf und möglicherweise auch nicht so „gemäßigt“, wie westliche Diplomaten sich das gerne vorstellen. Aber sie haben, im Gegensatz zu den „Tunesiern“, einen direkten Draht zur Bevölkerung, beherrschen weite Teile des Sicherheitsapparats und haben sich, zumindest im Falle von Barghuti, in den Jahren der Intifada als „Freiheitskämpfer“ einen Namen gemacht.

Auch die nebulösen Al-Aksa-Märtyrer-Brigaden gehören zur Fatah und geben sich gerne als deren militärischer Arm aus. Ihre Anführer sind meist Ende Zwanzig und man trifft sie in den Schulen und Kindergärten der palästinensischen Flüchtlingslager. Großspurig erklären sie ihre Loyalität gegenüber „Abu Amar“. Unter wessen Kontrolle sie indes tatsächlich stehen, ist unklar. Während sich Fatah-Chef Abbas um einen Waffenstillstand bemüht, sind sie nach eigenen Angaben für einen Großteil der mittlerweile fast 50 Kassamraketen verantwortlich, die trotz offizieller Waffenruhe weiter auf den Süden Israels gefallen sind.

Die islamische Widerstandsbewegung „Hamas“ ist der große Gegenspieler der PLO. Sie ist nicht nur das Ventil für die Korruptionsmüdigkeit der palästinensischen Bevölkerung, sondern steht für „gelebten Glauben“, Geradlinigkeit und besonders auch eine klare Linie gegenüber dem verhassten Israel. Sie vermittelt einen neuen Stolz und ein Selbstwertgefühl, die der islamischen Welt spätestens mit der Kolonialzeit abhanden gekommen waren. Der Schulterschluss des palästinensischen Premierministers Ismail Hanije mit Mahmud Ahmadinedschad im Dezember in Teheran war nicht nur ein Fundraising-Trick. Der iranische Präsident bietet wie kein anderer islamischer Führer dem Westen die Stirn.

Aber auch die Hamas ist kein so einheitlicher Monolith, wie das auf den ersten Blick erscheint. Die Auslands-Hamas, unter Führung von Chaled Mascha´al in Damaskus, verhindert seit Monaten eine Freilassung des entführten israelischen Soldaten Gilad Schalit – und fordert damit der Inlands-Hamas und vor allem der palästinensischen Bevölkerung schreckliche Opfer ab. Und dann scheint es auch unter den Fundamentalisten Spannungen zwischen Pragmatikern und Ideologen zu geben.

Zu einem vollständigen Bild der Situation in den palästinensischen Autonomiegebieten gehören außerdem noch säkulare, neo-marxistische Gruppierungen wie die „Volksfront zur Befreiung Palästinas“ (PFLP) oder die „Demokratische Front zur Befreiung Palästinas“ (DFLP), die nie offiziell Teil der Palästinensischen Autonomiebehörde waren und die palästinensisch-israelischen Verträge und die PA genauso zur „Dschehenna“ wünschen, wie das die radikale Schwester der Hamas, der Palästinensische Islamische Dschihad, tut.

Und schließlich kommen als Antwort auf die Frage, warum Palästinenser auf Palästinenser schießen, noch die verschiedensten Familien- und Stammesfehden in Betracht, oder Auseinandersetzungen um religiöse Traditionen, Ehre und offene Blutracherechnungen. Wenn dieser ganze Cocktail dann auch noch mit „wirtschaftlichen Interessen“ verbunden ist und weiter westlich im Mittelmeer stattfände, würde man ihn als „Cosa-Nostra-ähnliche Vorgänge“ bezeichnen.

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