Am 16. Juni 1933 wurde Arlosoroff in Tel Aviv durch den Pistolenschuss eines Angreifers schwer verletzt. Wenige Tage zuvor war er von den umstrittenen Haʿavara-Verhandlungen in Nazi-Deutschland zurückgekehrt. Er machte mit seiner Frau Sima einen Strandspaziergang. Am folgenden Tag verstarb er im Krankenhaus. Die Täter konnten nie gefasst werden.
Manche vermuten einen politisch motivierten Mord, denn Arlosoroffs Ha‘avara-Abkommen war hoch umstritten. Die Zionistische Weltorganisation und das Reichswirtschaftsministerium einigten sich 1933 in diesem Abkommen darauf, das Ziel der Auswanderung von Juden nach Palästina zu fördern. Die Erlaubnis für Emigranten, ihr Eigentum mitzunehmen, sollte dies ermöglichen.
Trotz der Bedrängung durch das NS-Regime war die Motivation zur Auswanderung unter den deutschen Juden nicht sehr ausgeprägt. Gleichzeitig war ihre Verbundenheit mit Deutschland und der deutschen Kultur zu groß. Hinzu kam, dass nur wenige Länder bereit waren, Juden und Jüdinnen aufzunehmen. Daher waren die strikten Beschränkungen hinsichtlich der Mitnahme des persönlichen Besitzes ein weiterer Hinderungsgrund.
Das einzige Land, das bereit war, Juden in größerer Zahl aufzunehmen, war Palästina. Früh erkannte dies die Zionistische Weltorganisation. Sie sah daher die Notwendigkeit, die Palästinaeinwanderung durch Erleichterungen bei der Mitnahme von Eigentum zu fördern.
Verhandlungen mit Reichswirtschaftsministerium
Chaim Arlosoroff führte gemeinsam mit weiteren Repräsentanten der Zionistischen Vereinigung für Deutschland im Frühjahr 1933 Verhandlungen mit dem Reichswirtschaftsministerium. Eine Regelung sollte eine Auswanderung größeren Ausmaßes unter besseren Bedingungen ermöglichen.
Zwei Monate nach Arlosoroffs Ermordung schlossen beide Seiten im August 1933 das Ha‘avara(Transfer)-Abkommen: Auswanderungswillige Juden zahlten ihr Vermögen bei einer der Transfer-Banken in Deutschland ein. Von diesem Geld kauften palästinensische Importeure Waren in Deutschland, die sie in Palästina veräußerten. Diese Erträge erhielten die jüdischen Auswanderer in Palästina nach Abzug von Kosten wieder ausbezahlt.
Wladimir Se‘ev Jabotinsky, Gründer der Jüdischen Legion im Ersten Weltkrieg sowie Begründer des revisionistischen Zionismus, kritisierte scharf den Pakt mit den Nazis. Das Ha‘avara-Abkommen stellte für ihn einen Bruch des Deutschland-Boykotts dar, zu dem jüdische Organisationen weltweit aufgerufen hatten. Das von Arlosoroff eingefädelte Abkommen blieb allerdings von 1933 bis nach Kriegsausbruch in Kraft. Stammen seine Mörder aus dem revisionistischen Lager? Eine Vermutung, die bis heute nicht belegt werden konnte.
Jugendliebe von Magda Goebbels
Einige Historiker halten es nicht für abwegig, dass der Drahtzieher des Attentats in Nazi-Deutschland zu verorten sei. Denn es gab eine brisante Affäre, die unter keinen Umständen publik werden sollte: Chaim Arlosoroff war Magda Goebbels‘ Jugendliebe.
Sollte diese brisante Affäre zwischen dem Juden und Magda, geborene Behrend, vertuscht werden? Sie war eine adoptierte Friedländer, legitimierte Ritschel, geschiedene Quandt und spätere Gattin des berüchtigten nationalsozialistischen Propagandaministers Dr. Joseph Goebbels. Als solche teilte sie 15 Jahre lang dessen Leben und trug ebenfalls fanatisch seine Ideen mit.
Magda Goebbels, die „Erste Dame des Reiches“, ist als „Gefährtin des Teufels“ in die Geschichte eingegangen. Aber durfte sie auch als einstige Gefährtin eines glühenden Zionisten gelten? Die Frau von Hitlers Propagandaminister und rassistischem Einpeitscher war jahrelang in einen zionistischen Juden verliebt. Mit ihm hätte sie sich die Emigration nach Palästina vorstellen können, um sich dort für die zionistische Sache zu engagieren. Das war ein schlimmer Stachel im Fleisch des NS-Propagandaministers. Ließ Joseph Goebbels Arlosoroff beseitigen?
Chaim Vitalij Arlosoroff (1899–1933) war gebürtiger Russe. Nach einem Pogrom im Jahr 1905 zog es die Familie zunächst nach Ostpreußen. In Berlin besuchte er das Werner-Siemens-Realgymnasium. Später studierte er an der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin, die 1949 in Humboldt-Universität zu Berlin umbenannt wurde.
Arlosoroff war ein Anhänger von Theodor Herzls Visionen. Als glühender Zionist wanderte er 1924 nach Palästina aus, wo er zur rechten Hand des späteren Staatsgründers Chaim Weizmann wurde. Zudem leitete er ab 1931 die Politische Abteilung der Jewish Agency und war damit praktisch prädestiniert, in der Regierung eines künftigen Staates Israel zum Außenminister zu avancieren. Als enger Mitarbeiter Weizmann widmete er sich zudem dem Aufbau der Mapai-Partei.
Mitschülerin seiner Schwestern
Während seiner Berliner Jahre war es zu einer Begegnung mit Magda Goebbels, zum damaligen Zeitpunkt noch Magda Friedländer, gekommen. Magda war eine Mitschülerin seiner Schwestern Lisa und Dora. Johanna Maria Magdalena (Magda) Goebbels wurde am 11. November 1901 als uneheliche Tochter des 20-jährigen Dienstmädchens Auguste Behrend geboren.
Kurz nach der Geburt heiratete die Mutter den Kindsvater, den wohlhabenden Bauunternehmer und Diplomingenieur Dr. Oskar Ritschel. Das Glück währte nicht lange. Als Magda drei Jahre alt war, ließen sich die Eltern scheiden und ihre Mutter ging kurz darauf eine neue Ehe mit dem wohlhabenden Lederfabrikanten Friedländer ein. Mit dieser ehelichen Verbindung ihrer Mutter bekam Magda, die später einen fanatischen Antisemiten heiratete, einen jüdischen Stiefvater, an dem sie sehr hing.
Im Alter von fünf Jahren kam Magda in das Ursulinenkloster im belgischen Vilvorde, wo sie acht Jahre in der strengen Klosterwelt verbrachte. Ihr leiblicher Vater, Dr. Ritschel, erzählte ihr bei Besuchen vom Buddhismus. Er war hoch erfreut mitanzusehen, wie intensiv sich seine Tochter mit der fernöstlichen Philosophie der Gewaltlosigkeit auseinandersetzte und sich ihr zuwandte.
Zu jenem Zeitpunkt konnte niemand ahnen, wie breit Magdas Spektrum der Begeisterungsfähigkeit sein würde, und wie schnell sie Werte und Überzeugungen über den Haufen werfen würde. Es sollte sich noch zeigen, wie flexibel sie ihre Ideale den jeweiligen Verhältnissen und persönlichen Vorteilen anpassen konnte: Die praktizierende Buddhistin mutierte zu einer glühenden Zionistin und später zu einer fanatischen Nationalsozialistin.
Folgen Sie uns auf Facebook und X!
Melden Sie sich für den Newsletter an!
Im Jahr 1920 begab sie sich nach den Ferien auf eine Bahnfahrt zurück ins Internat. Dabei teilte die 19-jährige Schülerin Magda das Bahnabteil mit einem 38-jährigen Mann. Es war Günther Quandt, der Gründer eines Wirtschaftsimperiums. Quandt war seit kurzem Witwer und verliebte sich in das junge Mädchen. Nur wenige Monate später folgte die Verlobung. Magda trat auf Wunsch ihres zukünftigen Ehemanns vom katholischen zum protestantischen Glauben über.
Den Familiennamen ihres jüdischen Stiefvaters Friedländer tauschte sie kurzerhand gegen den ihres leiblichen Vaters. Die Hochzeit mit dem Industriellen Quandt fand am 4. Januar 1921 in Bad Godesberg statt. Glücklich wurde sie jedoch nicht in dieser Ehe, im Gegenteil: Sie verachtete ihren Ehemann. Das ungleiche Paar trennten Welten. Während der Geschäftsreisen in die USA und nach Südamerika wurde die Ehe nur zum Schein aufrechterhalten.
Affäre zerstörte Ehe
Nach der Rückkehr nach Deutschland stürzte sich Magda in eine Liebschaft mit einem jungen Mann, den sie vor ihrem USA-Aufenthalt bei einem Studentenball kennengelernt hatte. In den ersten Biographien über Joseph Goebbels wurde die wahre Identität ihres Liebhabers unter dem Pseudonym eines „Studenten Hans“ vertuscht, denn bei ihrem jahrelangen außerehelichen Liebhaber handelte es sich um keinen Geringeren als den glühenden Zionisten Chaim Arlosoroff.
Laut Biographien soll die Millionärsgattin an Arlosoroffs Lippen geklebt und sich für seine Visionen eines Staates Israel begeistert haben. Die Begegnungen und Gespräche über die Zukunft der Juden und Jüdinnen in Palästina gipfelte in einem leidenschaftlichen Liebesverhältnis – und gemeinsamen Auswanderungsplänen nach Palästina.
Als der Hass gegen Juden in Deutschland zunahm, schwand auch ihre Zuneigung zu Chaim Arlosoroff und ihre anfängliche Begeisterung für seine zionistischen Ideen. Die Opportunistin Magda strebte ein gutbürgerliches Leben in Luxus an. Aber es sollte es anders kommen: Für Magda bedeutete ihre leidenschaftliche Affäre mit Chaim Arlosoroff das abrupte Ende ihrer Ehe.
Wutentbrannt setzte der Industrielle Günther Quandt seine Frau auf die Straße. 1927 wurde die Ehe geschieden. Die mittellose Magda Quandt schaffte es jedoch, ihrem Mann Unterhaltszahlungen und eine Abfindung abzupressen, denn die bekannte Industriellen-Familie befürchtete einen Skandal. Der gemeinsame Sohn Harald wurde der Mutter zugesprochen.
Magda heiratete Goebbels
Dem sollte ein erneuter Wendepunkt im Leben folgen. Im Spätsommer 1930 schloss sich die Society-Lady spontan einer Menschenmenge an, die zu Tausenden in den Berliner Sportpalast strömte, um einer Parteiveranstaltung der NSDAP beizuwohnen. Die Reichstagswahlen, die der NSDAP in Berlin zum Durchbruch verhelfen sollten, standen unmittelbar bevor. Dr. Joseph Goebbels war auch an diesem Abend der Hauptredner.
Magda hatte in den Augen der Nationalsozialisten einen dunklen Fleck in ihrer Biografie: Ihre Jugendliebe war Jude. An jenem spätsommerlichen Abend stellte sie im Berliner Sportpalast die Weichen für ihre Zukunft: Sie wurde zur Gattin des berüchtigten nationalsozialistischen Propagandaministers Dr. Joseph Goebbels.
Arlosoroff kehrte im Frühjahr 1933 in offizieller Funktion nach Berlin zurück: Er sollte mit den neuen Machthabern in Deutschland über die Ausreise von Juden verhandeln. In einem Schaufenster einer Buchhandlung entdeckte er eine Fotografie von Magda mit ihrem Mann Joseph Goebbels. Arlosoroff war entsetzt.
Kontaktaufnahme abgelehnt
Als er sich gefangen hatte, fasste er den Entschluss, seine ehemalige Geliebte zu kontaktieren, um durch sie eine direkte Verbindung mit dem Propagandaminister herzustellen. Magda wehrte allerdings seine Kontaktaufnahme ab. Sie teilte ihm mit, dass ihr großer Ärger drohe, wenn sie mit ihm spräche. Anstelle dessen solle Deutschland lieber sofort verlassen. Chaim Arlosoroff soll daraufhin umgehend aus Deutschland nach Tel Aviv abgereist sein, wo er am 14. Juni eintraf. Zwei Tage später wurde er erschossen.
Nach Arlosoroffs Ermordung wurden drei Verdächtige angeklagt, von denen zwei freigesprochen wurden. David Ben-Gurions Mapai-Partei fokussierte ihren Wahlkampf auf den Mord und die angebliche Beteiligung der konkurrierenden revisionistischen Zionisten um Wladimir Jabotinskys. Am 8. Juni 1934 wurde Abraham Stavsky in politisch aufgeladener Atmosphäre zum Tode verurteilt.
Abraham Isaak Kook, aschkenasischer Oberrabbiner von Palästina, führte eine Kampagne gegen das Todesurteil. Die Verteidiger beschuldigten die Polizei, die Zeugenaussage von Arlosoroffs Ehefrau Sima beeinflusst und aus politischen Gründen Beweismittel manipuliert zu haben. Infolgedessen wurde das Todesurteil vom obersten Berufungsgericht aufgehoben.
Stavsky setzte seine Arbeit mit der Irgun fort, indem er im Rahmen der fünften Alija 1939 Tausenden von Juden zur Flucht vor der nationalsozialistischen Verfolgung in Europa und zur illegalen Einwanderung in das Mandatsgebiet Palästina verhalf. Er organisierte dafür Schiffe.
Streit um Altalena
Am 22. Juni 1948 eskalierte der Streit um die Waffenverteilung in der Altalena-Affäre vor Tel Aviv in heftigen Gefechten zwischen der Irgun auf der einen Seite und Hagana und Palmach auf der anderen Seite. Abraham Stavsky wurde dabei schwer verletzt und starb nur 45 Meter entfernt von dem Ort, an dem Chaim Arlosoroff zwölf Jahre zuvor ermordet worden war.
Eine von Premierminister Menachem Begin 1982 initiierte Untersuchungskommission entlastete Stavsky nochmals, jedoch ohne andere Verdächtige zu benennen. Bis heute kursieren Gerüchte und wilde Spekulationen um den Mord an Chaim Arlosoroff.
Goebbels hatte in seinem Tagebuch notiert, dass er Ärger mit Magda hatte. Einige Historiker schließen nicht aus, dass es bei dem heftigen Streit um die Liebesaffäre seiner Frau mit dem Juden Chaim Arlosoroff ging. Befürchtete NS-Propagandaminister Joseph Goebbels eine politische Erpressung? Wir werden es wohl nie erfahren.
2 Antworten
@ Redaktion. Danke für Artikel.
Chaim Arlosoroff war Magda Goebbels‘ Jugendliebe. Liebe macht blind.