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Byzantinische Kapelle im Gefängnis von Megiddo entdeckt

„Wir machen Geschichte!“ Die strahlenden Augen von Ramil Rasilov sind die eines begeisterten Studenten, nicht eines Strafgefangenen. Aber genau das ist der junge Mann aus Haifa. Liebevoll streicht er mit dem nassen Schwamm über die Jahrhunderte alten Steinchen, um die Mosaikmuster besser zur Geltung kommen zu lassen. Mitte Oktober wurde in der Justizvollzugsanstalt Megiddo in Nordisrael die vielleicht älteste Kapelle des Landes entdeckt. Der Araber Nadschar Arfan, seit 20 Jahren als Archäologe der israelischen Altertumsbehörde tätig, spricht ungeniert von einer „Jahrhundert-Entdeckung.

Eigentlich hätte das Gefängnis von Megiddo ausgebaut werden sollen. Seine 1.200 Insassen sind zumeist „Sicherheitshäftlinge“, die wegen terroristischer Aktivitäten gegen den Staat Israel eingesperrt wurden. Bislang hatten sie zum Schutz gegen die recht extremen Unbilden des Wetters lediglich Zelte und sollten jetzt endlich ein festes Dach über dem Kopf bekommen. Doch im Februar stießen die Bauarbeiter auf archäologische Fundstücke – was in Sichtweite des legendären Tells von Megiddo niemanden wirklich erstaunt hat. Seit Salomo hatten die israelitischen Könige die strategisch wichtige Stadt zur Festung ausgebaut. In der Offenbarung des Johannes (16,16) werden alle Mächte der Welt zur letzten Schlacht des Bösen gegen das Gute in „Harmagedon“ versammelt.

In einer einzigartigen Kooperation der Justizvollzugsbehörde mit der Altertumsbehörde Israels machten sich 60 Häftlinge aus den Haftanstalten Megiddo und Zalmon unter fachkundiger Leitung sofort an die Arbeit, das Gelände auszugraben. „Die Sicherheitsgefangenen, die gewalttätig sind, bleiben hinter Schloss und Riegel“, stellt Gefängnissprecherin Orit Stelzer-Feier klar. „Bei den Ausgrabungen dürfen nur Häftlinge teilnehmen, die aufgrund krimineller Machenschaften ins Gefängnis gekommen sind.“

Die Ausgrabungen brachten anfangs Münzen und Keramik, aber auch eine handgroße Götzenstatue zu Tage. Vor zweitausend Jahren lag an der Stelle der Haftanstalt ein kleines jüdisches Dorf namens „Kfar Othnai“, das aus der antiken jüdischen Literatur bekannt ist. Auf dem Gelände des Gefängnisses wurde bereits in der britischen Mandatszeit eine „Mikwe“, das heißt, ein jüdisches Ritualbad, gefunden – und jetzt noch eines. Nach der Eroberung des Landes Israel durch die Römer im Jahre 63 vor Christus siedelte sich die 6. Legion neben dem Tel Megiddo an. Langsam wandelte sich das jüdische Dorf bis in byzantinische Zeit in eine christliche Siedlung, die aus der antiken Literatur unter dem Namen „Maximiniaopolis“ bekannt ist.

Nach acht Monaten Arbeit entdeckten die Archäologen und ihre Häftlingshelfer schließlich ein Gebäude von sechs mal neun Metern, dessen Boden mit einem sehr gut erhaltenen Mosaik belegt ist. In mühsamer Kleinarbeit mussten sie zunächst die zusammengestürzte Decke des Baus entfernen, die mit Fresken bemalt gewesen war. Auf dem Boden finden sich neben geometrischen Figuren und einem Medaillon, in dessen Mitte zwei Fische erkennbar sind, auch drei griechische Inschriften.

Professor Leah di Segni von der Hebräischen Universität in Jerusalem, die als führende Spezialistin für antike Inschriften dieser Art gilt, hat die Schriftzeichen übersetzt. Die Inschrift auf der Nordseite des Mosaiks ist einem römischen Offizier namens Gajanos gewidmet, dem Sponsor des Fußbodens. Auf der Ostseite erwähnt eine Inschrift vier Frauen: Primilia, Kyriake, Dorothea und Christa. Die dritte Inschrift auf der Westseite verewigt den Namen Akeptos, „eines Gottesliebhabers“, der (oder die) „den Tisch dem Gott Jesus Christus zum Gedächtnis“ gestiftet hat.

Weil in der Westinschrift nur von einem einfachen Tisch, griechisch „Trapeza“, die Rede ist, spekuliert Professorin di Segni, dass im Zentrum dieses Gotteshauses möglicherweise statt eines Altars nur ein einfacher Tisch gestanden habe, an dem ein heiliges Mahl in Erinnerung an das letzte Abendmahl gehalten wurde. Überhaupt deuten auch die Verwendung des Fisch-Zeichens und das Fehlen des Kreuzes als Symbol auf die Existenz einer frühen christlichen Gemeinde in dieser Gegend.

Der Stil und die Schreibweise der Inschriften, sowie andere Funde im Bereich der Ausgrabungen ermöglichen eine Datierung der Kapelle in das 3. bis 4. Jahrhundert nach Christus. Jotham Tepper, der die Ausgrabungen im Auftrag der staatlichen israelischen Altertumsbehörde leitet, betonte, dass diese Entdeckung einzigartig und bedeutsam sei, zum Verständnis des Christentums, das sich in dieser Zeit in wenigen Jahrzehnten von einer verfolgten Untergrundkirche zur offiziellen Staatsreligion entwickelte.

Bislang waren die Geburtskirche in Bethlehem, die Grabeskirche in Jerusalem und die Kirche bei der Eiche von Mamre nahe Hebron die ältesten bekannten Kirchen im Heiligen Land. Ihre Gründung geht auf die Zeit des byzantinischen Kaisers Konstantin I. zurück, der in der ersten Hälfte des 4. Jahrhunderts das Christentum zur Staatsreligion machte. Allerdings sind Überreste aus der Gründerzeit dieser Kirchen nur noch sehr schwer auszumachen. Damit ist der jetzt in Megiddo entdeckte christliche Sakralbau vielleicht die älteste Kapelle in Israel, möglicherweise sogar in der ganzen Welt.

Experten betonen, dass die Ausgrabungen, Untersuchungen und Auswertung der Funde noch lange nicht abgeschlossen sind. In nächster Zeit wird der Mosaikfußboden entfernt, um restauriert und konserviert zu werden. Außerdem kann so unter dem Gebäude aus römischer Zeit gegraben werden. Zu einem späteren Zeitpunkt will die Altertumsbehörde entscheiden, was mit den Funden und dem Ausgrabungsort geschehen soll. Die Gefängnisleitung von Megiddo hofft, dass ihr Bauvorhaben jetzt nicht einer neuen christlichen Pilgerstätte weichen muss. Und Ramil Rasilov hat noch 24 Tage vor sich, bis sich die Tore der Haftanstalt Megiddo für ihn öffnen. Dann will er ein neues Leben beginnen, als Archäologe.

(Foto: Johannes Gerloff)

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