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Bundestag debattiert über Gewalt in Israel

In einer Aktuellen Stunde stellen sich viele Abgeordnete an die Seite des jüdischen Staates. Deutliche Worte gibt es in Richtung von SPD-Chef Walter-Borjans.
Über eine Stunde debattierten die Parlamentarier über die Lage in Nahost und ihre Auswirkungen in Deutschland (Archivbild)

Mittwochs steht meist die Befragung der Bundesregierung ganz oben auf der Tagesordnung des Bundestages. In dieser Woche war dies anders, denn die Parlamentarier hatten sich dazu entschieden, noch eine Aktuelle Stunde über die Lage in Israel davorzuschieben. Als ein besonderes Signal wollten das einige von ihnen offenbar verstanden wissen. „Damit wird sich das Hohe Haus der gemeinsamen Verantwortung gegenüber den Juden und Israel bewusst“, betonte der CDU-Abgeordnete Johann Wadephul. Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) bedankte sich im Anschluss ausdrücklich: Es sei gut, dass die „historische Pflicht“ Deutschlands noch einmal betont worden sei.

Tatsächlich hatten sich im Grunde alle Redner zuvor zumindest bezüglich des Raketenbeschusses an die Seite Israels gestellt, wenn auch in stark abgestufter Deutlichkeit. Viele nahmen das Wort des „Terrors“ in den Mund, der SPD-Parlamentarier Dietmar Nietan sprach von einem „permanenten Terrorangriff auf Menschen in Israel, der auch ganz bewusst den Tod unschuldiger Palästinenser in Kauf nimmt“.

CDU-Außenpolitiker Jürgen Hardt sagte: „Für mich gibt es keinen Anlass, eine äquidistante Position zu diesem Konflikt einzunehmen, denn die politische Bewertung ist für mich eindeutig: Wer mehrere tausend Raketen auf zivile Menschen schießt, begeht klar einen Verstoß gegen das Völkerrecht.“ Zu Beginn der Debatte hatte Außenminister Heiko Maas (SPD) noch einmal bekräftigt, dass die Hamas die Eskalation „ganz bewusst herbeigeführt“ habe.

Kritik an israelischer Regierung

Mehrere Redner übten aber auch an der israelischen Regierung Kritik. Der außenpolitische Sprecher und frühere Fraktionschef der Linken Gregor Gysi warf Premierminister Benjamin Netanjahu (Likud) vor, wegen seiner innenpolitischen Schwäche „politisch und moralisch“ provoziert zu haben. „Es stimmt nicht, dass die Hamas keinen Grund für die Raketenangriffe hatte, es gab aber keinen Grund, der die Angriffe rechtfertigte“, sagte Gysi.

Auch SPD-Redner Nietan nahm sich Netanjahu zur Brust: „Sollen wir schweigen, wenn sich Herr Netanjahu um seiner persönlicher Machterhaltung willen lieber mit radikalen politischen Kräften in der Knesset und den radikalen Siedlern verbrüdert, anstatt hart an einer neuen Perspektive für einen Frieden zu arbeiten?“, fragte er.

Vorwürfe gegen SPD-Chef Walter-Borjans

Scharfe Kritik übten mehrere Abgeordnete an Aussagen von SPD-Chef Norbert Walter-Borjans. Dieser hatte am Montag laut „Tagesspiegel“ Waffenlieferungen an Israel zwar nicht prinzipiell ausgeschlossen, aber im Gegenzug ein Mitspracherecht eingefordert: „Wir haben dann auch den Anspruch, ein Stück gehört zu werden, wenn es darum geht, deeskalierend zu wirken, sich einer Zwei-Staaten-Lösung zu öffnen, Verhandlungen zu führen.“

Der FDP-Außenpolitiker und Vorsitzende der deutsch-israelischen Parlamentariergruppe Alexander Graf Lambsdorff nannte dies am Mittwoch in seiner Rede „anmaßend, deplaziert und geschichtsvergessen“ und fügte hinzu: „Willy Brandt ist im Gedenken an den Horror des Warschauer Ghettos auf die Knie gefallen. Jetzt, wo Raketen auf Israel niedergehen, ist Norbert Walter-Borjans dem jüdischen Staat in den Rücken gefallen.“ CDU-Parlamentarier Hardt erklärte, Israel brauche „keine Belehrung von uns“. Er könne nur hoffen, „dass man in Israel gar nicht so genau weiß, wer Walter-Borjans ist“.

„Dem jüdischen Staat in den Rücken gefallen“: FDP-Politiker Graf Lambsdorff reagierte mit scharfer Kritik auf Aussagen von SPD-Chef Walter-Borjans (Archivbild) Foto: Achim Melde/Deutscher Bundestag
„Dem jüdischen Staat in den Rücken gefallen“: FDP-Politiker Graf Lambsdorff reagierte mit scharfer Kritik auf Aussagen von SPD-Chef Walter-Borjans (Archivbild)

Diese Kritik führte zu Kopfschütteln bei SPD-Co-Chefin Saskia Esken. Doch mit Dietmar Nietan ging nur einer der drei SPD-Redner explizit darauf ein: „Für mich gilt die Beschlusslage der Partei und nicht die Äußerungen einzelner“, verwies er auf eine Resolution des SPD-Bundesvorstandes vom Montag.

Probleme in Deutschland

Mehrere Redner gingen auch auf die Auswirkungen der in Israel aufgeflammten Gewalt auf Deutschland und die antisemitischen Vorfälle der vergangenen Tage ein. Dirk Wiese (SPD) forderte, „bei uns zu Hause“ zu beginnen und das „Nie wieder“ mit Leben zu füllen. AfD-Parlamentarier Anton Friesen rief die Bundesregierung dazu auf, den „Antisemitismusimport aus der islamischen Welt zu stoppen“.

Aus der Unionsfraktion kam zudem Kritik an der Einflussnahme ausländischer Staaten auf in Deutschland lebende Migranten und deren Nachkommen. „Wir haben eine neue gesellschaftliche Realität, dass türkische und arabische Fernsehsender in Deutschland in Millionen von Wohnungen und Häusern Israelfeindlichkeit und Antisemitismus senden “, sagte Norbert Röttgen (CDU). Damit müsse sich die Politik beschäftigen.

Israel-Politik der Bundesregierung

Die Debatte kreiste auch um die Frage, wie sich Deutschland in den Konflikt einmischen und wie eine langfristige Lösung aussehen könnte. Außenminister Maas hatte bereits in der vergangenen Woche von einem Drei-Stufen-Plan geredet, der zunächst ein Ende des Raketenterrors, dann einen Waffenstillstand und schließlich die Rückkehr zu Gesprächen forderte. Zuletzt hatte zudem die EU entschieden, ihren Sondergesanten für den Nahen Osten in die Region zu schicken, was auch in den Reihen der Opposition auf Zustimmung stieß. Grünen-Politiker Omid Nouripour betonte zudem, es sei nicht naiv, an der Zwei-Staaten-Lösung festzuhalten, sondern zu glauben, „dass der Status quo auf Dauer hält“.

Die deutlichste Kritik an der Politik der Bundesregierung kam vor allem von der AfD. Ihr Redner Anton Friesen sprach unter anderem unter Verweis auf das Abstimmungsverhalten bei den Vereinten Nationen (UN) von einer „israelfeindlichen Politik“, was Norbert Röttgen später zurückwies. Zuvor hatte bereits AfD-Außenpolitiker Armin-Paul Hampel mit Blick auf das UN-Hilfswerk für Palästinaflüchtlinge (UNRWA) gefordert, „den Geldfluss, mit dem deutsche Steuerzahler die Terroristen in Palästina finanzieren“, zu stoppen. Mehrere Abgeordnete prangerten die Aussagen aus der AfD als unglaubwürdig an.

Gegenüber der Bundesregierung wurde auch der fraktionslose Abgeordnete Mario Mieruch (LKR) deutlich. Er sprach von einem „Zickzack-Kurs zwischen der einzigen Demokratie im Nahen Osten und islamistischen Terroristen“. An die Regierung gewandt sagte er: „Sie behandeln beide gleich, und nichts ist falscher.“ FDP-Politiker Graf Lambsdorff kritisierte, dass es „eine Weile gedauert“ habe, bis sich Außenminister Maas klar geäußert habe. Dies sei inzwischen jedoch korrigiert worden, was er begrüße.

Weitere Debatten

Für den Nachmittag steht noch eine Debatte über den Kampf gegen Antisemitismus auf der Tagesordnung des Plenums. Dazu liegt neben einem Bericht der Bundesregierung auch ein Antrag der FDP-Fraktion auf dem Tisch. Darin fordern die Liberalen unter anderem, deutsche Schulbücher anhand der Antisemitismusdefinition der „Internationalen Allianz zum Holocaust-Gedenken“ (IHRA) einer Prüfung zu unterziehen. Diese Definition wird auch von der israelischen Regierung unterstützt. Zudem möchte die FDP das deutsche Abstimmungsverhalten bei den UN „hinsichtlich einseitiger, politisch motivierter Resolutionen“ überprüfen.

Auch in einigen Landesparlamenten spielen in diesen Tagen die Ereignisse rund um die aktuelle Raketeneskalation eine Rolle. So befasste sich bereits am Mittwochvormittag der Landtag von Schleswig-Holstein unter der Überschrift „Gegen jeden Antisemitismus in Schleswig-Holstein – Das Existenzrecht Israels ist deutsche Staatsräson“ mit der Thematik. Am Donnerstag debattieren auch die Abgeordneten im nordrhein-westälischen Landtag über Anträge verschiedener Fraktionen.

Von: Sandro Serafin

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