Maskierte und bewaffnete Palästinenser haben am Vormittag des 12. Februar 2006 in Gaza-Stadt Flugblätter verteilt, die eine Sprengung des gesamten Gebäudes, in dem sich die Buchhandlung der palästinensischen Bibelgesellschaft (PBS) befindet, ankündigen, sollte die Bibelgesellschaft ihre Aktivitäten im Gazastreifen nicht bis zum 28. Februar einstellen. Wie ernst diese Drohung gemeint ist, wird dadurch unterstrichen, dass bereits eine Woche zuvor am Eingang der Buchhandlung ein Sprengsatz explodierte.
Die Aktivitäten der PBS, die Mitglied im Weltbund der Bibelgesellschaften ist, werden in den Flugblättern als „Verbreitung einer anti-islamischen Lehre“ und als „evangelistische Kreuzfahreraktion, die vom Kreuzfahrer-Westen unterstützt wird“, bezeichnet. Dem Besitzer des Gebäudes, in dem sich der Bibelladen befindet, wird die Sprengung seines Besitzes angedroht, sollte er die PBS nicht bis Monatsende vor die Tür setzen. Den Anwohnern wird geraten, das Gebäude zu räumen, und der PBS wird nahe gelegt, nicht zu versuchen, sich eine andere Unterkunft im Gazastreifen zu suchen, da sie „genau beobachtet“ würde. Wer hinter den Drohungen steckt, ist bislang unklar.
Die Mitarbeiter der PBS haben die palästinensischen Sicherheitskräfte und das Büro von Präsident Mahmud Abbas informiert. Sie bitten die Kirche um Gebetsunterstützung und haben sich vorgenommen, den Drohungen nicht nachzugeben. Allerdings sind die Anwohner in Panik, und der Besitzer hat um eine zeitweilige Schließung der PBS-Büros und des Buchladens gebeten.
Die jüngsten Drohungen sind nicht die ersten gegen die Arbeit der palästinensischen Bibelgesellschaft. Ende Juli 2005 lagen den Mitarbeitern der PBS „vertrauenswürdige Informationen“ vor, dass eine Gruppe von Extremisten einen Terroranschlag auf ihr Zentrum und die öffentliche Bibliothek der Baptisten in Gaza plant. Und am frühen Morgen des 18. November 2005 wurde das PBS-Zentrum „Living Stones“ („Lebendige Steine“) in Bir-Zeit bei Ramalla in Brand gesteckt. Die Brandstifter waren durch ein Hinterfenster eingebrochen und hatten die Büroräume durch mit Benzin getränkte Lappen angezündet.
Christlich-arabische Kirchen bemühen sich derweil, für die Abwanderung palästinensischer Christen ausschließlich die israelische Besatzung verantwortlich zu machen und reagieren auf Fragen nach einem zunehmenden Druck innerhalb der palästinensischen Gesellschaft mit dem Vorwurf, evangelikalen Christen im westlichen Ausland läge mehr an der Verteufelung der Palästinensischen Autonomiebehörde als am Wohl ihrer palästinensischen Glaubensgeschwister. Allerdings scheinen der Hamas-Wahlsieg Ende Januar und der weltweite Aufruhr um die dänischen Mohammed-Karikaturen die ohnehin prekäre Lage der Christen in den Palästinensischen Autonomiegebieten offensichtlich verschärft zu haben.
Hamas-Führer Osama Hamdan hatte im Libanon unmittelbar nach Bekanntgabe der ersten Hochrechnungen versichert, den Christen in der Palästinensischen Autonomie werde nichts geschehen. Bei einem Besuch der katholischen „Schule der Heiligen Familie“ betonte der Arzt Dr. Machmud A-Sahar, die Nummer Eins der Hamas im Gazastreifen, Anfang Februar, die Hamas werde die palästinensischen Christen, ihre Heiligen Stätten und ihre Institutionen beschützen und keinerlei Angriffe auf sie tolerieren.
Als Scheich Mohammed Abu Tir, die Nummer Zwei auf der Hamas-Wahlliste, verkündete, die „Scharia“, das islamische Recht, werde die Grundlage für die legislative Arbeit des palästinensischen Parlaments sein, bemühte er sich gleich, zu betonen, dass Christen auch weiterhin Alkohol verkaufen dürften und Frauen nicht gezwungen würden, sich zu verschleiern. Inwieweit diese Versicherungen beruhigend wirken oder eher als Hinweis darauf zu werten sind, dass die Christen in der PA tatsächlich etwas zu befürchten haben, bleibt abzuwarten.
Angesichts des weltweiten Aufruhrs um die dänischen Mohammed-Karikaturen sah sich die säkulare Fatah-Bewegung in der ersten Februarwoche gedrängt, in einer offiziellen Verlautbarung zu betonen, dass Drohungen gegen Christen den Prinzipien der Fatah widersprächen. Medienwirksam verteilten bewaffnete Fatah-Aktivisten im Gazastreifen Blumen an Nonnen und Kinder in der lateinischen Kirche in Gaza-Stadt, nachdem der Sprecher der Jasser-Brigaden, Al Muatesim Bilah, verkündet hatte, eine Bedrohung der christlichen Heiligen Stätten in Palästina sei ein Angriff auf alle Palästinenser. Laut der palästinensischen Nachrichtenagentur „Maan“ haben sich die Nonnen für die roten Rosen bedankt und die „tiefe gefühlsmäßige Verbundenheit von palästinensischen Christen und Muslimen“ betont. Maan verschwieg allerdings, dass zuvor Aufrufe kursierten, die Kirchen der etwa 2.000 Christen im Gazastreifen niederzubrennen.
Palästinenserpräsident Mahmud Abbas verurteilte die anti-christlichen Äußerungen und versprach, die christlichen Kirchen zu schützen. Doch selbst gemeinsame christlich-muslimische Demonstrationen gegen die vermeintlichen Mohammed-Verunglimpfungen aus Skandinavien hinderten palästinensische Moslems nicht daran, Anfang der zweiten Februarwoche 2006 vier Brandbomben auf die lateinisch-katholische Schule in Ramalla zu werfen. Glücklicherweise richteten die Sprengsätze nur geringen Sachschaden an.
(Foto: Johannes Gerloff)