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Bethlehem vertrocknet

„Die Sonne scheint keinen Regen.“ Lakonisch kommentiert der ältere arabische Herr den sommerlich warmen Dezembertag – und deutet damit die Katastrophe an, die das Ferienwetter mit seinem strahlend blauen Himmel für das vom trockenen Sommer ausgelaugte Land bedeutet. Als Antwort auf die Frage: „Wie geht’s?“, hat die Feststellung des Bethlehemer Olivenholzschnitzers aber noch einen tieferen Sinn. Er sitzt wie viele seiner Mitbürger psychisch und ökonomisch ganz offensichtlich auf dem Trockenen.

Sobald die Sonne in der Richtung, in der das Mittelmeer liegt, versunken ist, fängt in Bethlehem der Weihnachtsschmuck an zu glitzern. Die Geburtsstadt Jesu hat sich herausgeputzt. Von den Kämpfen der vergangenen Jahre ist kaum mehr etwas zu sehen. Der gelbe Kalkstein der Häuser und Straßen der Altstadt glänzt im Abendlicht golden. Bethlehem macht in der Vorweihnachtszeit 2005 einen schmucken und einladenden Eindruck. Vielleicht war die Stadt noch nie in einem so aufgeräumten Zustand.

Die Straßen sind für orientalische Verhältnisse sauber, die Geschäfte offen, die Händler wie üblich aufdringlich einladend, aber freundlich. Nur die Touristen fehlen. Trotz angestrengter Suche ist bei einem ganzen Tag in Bethlehem kein einziger Urlauber zu entdecken. Im nobelsten Hotel der Stadt, dem „Jacir Palace Inter-Continental“, unweit des Rachelsgrabs an der Hauptstraße nach Hebron sollen gerade einmal vier oder fünf Zimmer belegt sein. Im Foyer ist ein Christbaum aufgebaut, der Hoteldirektor unauffindbar.

Die in den vergangenen Jahren schon zur Tradition gewordenen Klagen über die israelischen Besatzer, ihre Panzer, Kontrollen und Brutalität scheinen einer Lethargie oder vielleicht auch Ernüchterung gewichen. Niemand beklagt sich darüber, und das, obwohl die Mauer und der Zaun, die Israel von den palästinensischen Autonomiegebieten trennen, noch nie so perfekt und effektiv waren.

Als fehle die kriegerische Spannung, machen derweil in Bethlehem Gerüchte die Runde, der Jordanier Abu Musab al-Sarkawi, der im Irak den Widerstand gegen die Amerikaner organisiert und zu den Hauptdrahtziehern der al-Qaida gerechnet wird, habe zur Weihnachtszeit Anschläge auf die heiligsten Stätten der Christenheit und die palästinensischen Christen geplant. Als genaue Anschlagsziele werden die Universität von Bethlehem, die Bethlehem Arab Society und die Geburtskirche gehandelt.

Bei genauerer Nachfrage ist von einer Internetseite oder einer arabischen Fernsehsendung die Rede, aus der die Nachricht stammen soll. Niemand will eine genaue Quelle angeben. Doch immerhin überlegen Bethlehemer Eltern laut, ob sie ihre Kinder bei den traditionellen Pfadfinderparaden mitmachen lassen sollen, oder der Krippenplatz und die Geburtskirche am Heiligabend nicht besser zu meiden wären.

Salah a-Ta’amri, ein Beduine mit verwandtschaftlichen Beziehungen ins jordanische Königshaus, wird Ende Dezember den Posten des Gouverneurs von Bethlehem übernehmen. Der Brigadegeneral der Fatah-Bewegung, der vor ein paar Jahren noch die von Israel belagerten palästinensischen Freiheitskämpfer in der Geburtskirche befehligt hatte, tut die Anschlagsgerüchte im Vorbeigehen auf dem Krippenplatz als unbegründete Panikmache mit einer Handbewegung ab. Palästinensische Journalisten sehen das ähnlich und meinen, da wolle nur jemand den Christen das Weihnachtsfest verderben oder störe sich daran, dass so viele Muslime aus Bethlehem begeisterte Weihnachtsfeierer sind.

Nach dem Selbstmordanschlag des Islamischen Dschihad am ersten Dezembermontag in Netanja, bei dem fünf Israelis ermordet und Dutzende verletzt wurden, verhängte das israelische Militär eine Sperre über die Palästinensergebiete. In der Verlautbarung des Armeesprechers wird aber sofort betont, dass trotzdem während der Weihnachtsfeiertage 500 palästinensischen Christen die Einreise nach Israel erlaubt werde, um in Jerusalem an Gottesdiensten teilnehmen zu können. Der erste Eindruck in den Tagen nach dem Anschlag ist laut Bethlehemer Bürgern allerdings, dass sich mit der Sperre für Bethlehem nichts verändert hat.

Das Schwarma am Bab e-Skak und die Hähnchen am Krippenplatz sind genau dieselben, wie in den Jahren zuvor. Auch am Bild der Beduinenfrauen und Händler im Suk der Altstadt hat sich nichts verändert. Sehnsüchtig warten sie in ihren überfüllten Läden auf Kunden. Eine Reihe von Bethlehemern ist in der Vorweihnachtszeit nach Deutschland gereist, um auf Weihnachtsmärkten den Touristen nachzulaufen, die nicht nach Bethlehem kommen wollen.

Nur der Grenzübergang zwischen Jerusalem und Bethlehem ist neu. Der altbekannte „Checkpoint 300“ ist verschwunden. Wenige Hundert Meter dahinter wird der traditionelle Weg nach Bethlehem von einer neun Meter hohen Mauer und einem massiven Stahltor versperrt. Daneben glänzt nagelneu „Rahels Grenzübergang“. Begeistert schwärmt der Militärsprecher von der Ästhetik und modernen Technologie des Terminals, über den Touristen, Pilgern und israelischen Arabern ein unkomplizierter Zugang zu den heiligen Stätten Bethlehems ermöglicht werden soll.

Ein deutscher Entwicklungshelfer, der täglich das neue Wundergrenzbauwerk von seiner Wohnung in Jerusalem zur Arbeitsstelle in Bethlehem passieren muss, beklagt, dass durch die Nagelreihen auf der Straße bereits sein Motorroller beschädigt wurde. Und auch über den Transport von Kranken und Behinderten, so befürchtet er, hätten sich die Israelis wohl wenig Gedanken gemacht. Alle Passagiere von Fahrzeugen, die von der palästinensischen Autonomiestadt Bethlehem ins israelische Jerusalem wollen, müssen ihre Fahrzeuge verlassen und umständlich durch die Kontrollanlagen von „Rahels Grenzübergang“ geschleust werden.

(Foto: Johannes Gerloff)

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