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Beinahe linientreu

Als sich 2018 CDU/CSU und SPD zur erneuten Großen Koalition zusammenschlossen, einigten sich die Parteien auf eine Israelpolitik, die der deutschen Verantwortung gerecht werden sollte. Einige Ziele der Politik konnten umgesetzt werden, bei anderen wurde es schwammig: Ein Rückblick.
Von Johannes Schwarz
Angesichts der bevorstehenden Regierungskonsultationen wollen Merkel und Netanjahu in Jerusalem zusammenkommen (Archivbild)

Deutschland und Israel: Aufgrund der Scho‘ah existiert eine besondere Beziehung, die sich seit jeher beweisen muss. Deutsche Israelpolitik wurde und wird gewöhnlich zentral aus dem Bundeskanzleramt und dem Auswärtigen Amt gemacht. In den vergangenen 16 Jahren zeigte sich Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ambivalent israelfreundlich. Die Große Koalition von 2018 bis 2021, Merkels letzte Amtszeit, offenbart ebenfalls ein wechselhaftes Handeln gegenüber dem jüdischen Staat.

Koalitionsvertrag betonte Existenzrecht

Im 175-seitigen Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und SPD fand sich eine halbe Seite inhaltlicher Auseinandersetzung mit Israel. Zugesichert wurde, die „besondere Verantwortung Deutschlands gegenüber Israel“ zu wahren. Weiter war die Rede davon, dass das „Existensrecht“ Israels „unumstößlich“ sei. Bei näherer Betrachtung fällt auf, dass das Versprechen der Verantwortung umso schwerer umzusetzen ist, je konkreter Politik wird. In Reden und Pressegesprächen in Deutschland betonte die Koalition, wie wichtig die Verantwortung sei. Auf internationaler Ebene jedoch verhielt sich Deutschland nicht immer entlang der verabredeten Linie. So stimmte es wiederholt bei Resolutionen der Vereinten Nationen gegen Israel ab. Immerhin verteidigte die Große Koalition Israels Existenzrecht gegen das islamische Regime im Iran.

Ebenfalls stellte sich die Bundesregierung gegen hass­erfüllten Antisemitismus und dessen Verbreiter. Im Bundestag verabschiedete Merkels vierte Regierung härtere Restriktionen gegen antisemitische Straftaten. Die Regierung machte es sich zur Aufgabe, jüdisches Leben in Deutschland und weltweit zu schützen. Nicht zuletzt war es Außenminister Heiko Maas (SPD), der in markigen Reden den Wert des jüdischen Lebens betonte. Die Regierungszeit über konnte der politische Beobachter erkennen, dass das abstrakte Ziel, die Existenz zuzusichern und die besondere Verantwortung gegenüber Israel zu leben, verfolgt wurde.

Politik in Zeiten von Krisen

Das deutsch-israelische Verhältnis wurde in Merkels letzter Amtszeit zentral durch das politische Patt in Israel und die kämpferischen Auseinandersetzungen im Mai 2021 zwischen Israel und der Hamas in Gaza herausgefordert. Vier Wahlen binnen zwei Jahren brachten das demokratische Gefüge des jüdischen Staates an den Rand der Funktionalität. Auch wenn sich die deutsche Regierung nicht zu innerisraelischen Vorgängen äußerte, war ersichtlich, dass sowohl Maas als auch Merkel mehr Stabilität der Regierungen Israels gewünscht hätten. Die Zusammenarbeit mit Benjamin Netanjahu (Likud), Premierminister bis Juni 2021, verlief für Merkel gewohnt professionell.

Der Israel-Gaza-­Konflikt am Amtsende Netanjahus beanspruchte die internationale politische Bühne. Israel verteidigte sich gegen die Angriffe aus Gaza. Die Große Koalition sah sich aus historischen Gründen an der Seite Israels. Doch inmitten der Eskalation in Nahost zeigte Außenminister Maas in Nahost auch die andere Seite deutscher Israelpolitik – die israelkritische. Zwar verurteilte Maas die Angriffe der Hamas aus dem Gazastreifen, jedoch rief er auch Israel zur Pflicht, mit Rückschlägen gegen die Hamas den Frieden nicht zu gefährden. Dies kollidiert mit dem Versprechen des Existenzrechts, denn das beinhaltet ebenso ein Verteidigungsrecht. Die Große Koalition kam im Spezifischen von der eigens vorgegebenen Linie ab, so sehr sie sich auch bemühte, dass Narrativ des Existenzrechts umfänglich zu proklamieren. Als Ende Mai ein Waffenstillstandsvertrag Ruhe zwischen Israel und der Hamas brachte, zeigte sich Deutschland, wie der Rest der Welt, erleichtert. Mit der Wahl des Premierministers Naftali Bennett (Jamina) im Juni 2021 änderte sich das deutsch-israelische Verhältnis kaum. Merkel betonte bei ihrem Abchiedsbesuch im Herbst 2021 in einer Sitzung des israelischen Kabinetts: „Deutschland ist nicht neutral, wenn es um die Frage der Sicherheit Israels geht“.

Ein weiterer fester Bestandteil der Israelpolitik der Koalition war die sogenannte „Zwei-Staaten-Lösung“. Bundeskanzlerin Merkel samt Regierung forderten auf internationalen Bühnen der Politik die Gründung eines Staates Palästina, dem von Israel ein konkretes Territorium zugewilligt werden solle. Die deutsche Regierung, wie auch führende Regierungschefs der westlichen Welt, versuchte durch Dialog mit Israel und der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) einen Weg zu einer friedlichen Lösung zu finden. Merkel und Maas arbeiteten mit Blick auf die „Zwei-Staaten-­Lösung“ eng zusammen. Gleichzeitig war allen politischen Akteuren bewusst, dass die Durchsetzung zweier in Frieden lebender Staaten eine Herausforderung ist. Zwar verschloss sich die israelische Regierung nicht den Gesprächen, doch wiegelte sie bei konkreter Planung eines neuen internationalen Vorschlags meist ab – auch, weil sie nach eigener Aussage auf palästinensischer Seite keinen Ansprechpartner fand. Im Zuge der Forderung nach der „Zwei-Staaten-Lösung“ kritisierte die Große Koalition pauschal und undifferenziert die Siedlungspolitik Israels. Diese widerspreche dem Völkerrecht und verhindere echten Frieden in der Region – der wohl kaum zu erwarten ist.

Ausgebaut wurde die Finanzierung des Hilfswerks der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge in Nahost (UNRWA). Das von der Europäischen Union unterstützte Werk sieht sich Vorwürfen der Zusammenarbeit mit Terroristen ausgesetzt. Deutschland und die EU mahnen Israel, wie auch die PA, zu einer friedlichen Lösung des Konflikts. Auch auf europäischer Ebene wurden Unterschiede bei Anspruch und Realität der deutschen Israel­politik sichtbar. 2021 stimmten Abgeordnete der SPD für die weitere Finanzierung der UNRWA, obwohl diese auch Hetze gegenüber der israelischen Bevölkerung in palästinensischen Schulbüchern zuließ. Abgeordnete der Union stimmten gegen die Finanzierung. Innerhalb der Koalitionsparteien im Bund gab es also gelegentlich Meinungsverschiedenheiten über die praktische Ausgestaltung der Politik gegenüber dem jüdischen Staat.

Insgesamt gliedern sich die Regierungsjahre 2018 bis 2021 mit Blick auf die Israelpolitik in eine langjährige verlässliche Verantwortungslinie ein. Das Existenzrecht Israels bildete einen Anker. Im alltäglichen Politikgeschäft deutete sich die Verantwortung gegenüber Israel an; in hektischen und spannungsvollen Zeiten, zeigte sich Deutschland von einer kritischen Seite. Fielen CDU und CSU in der Koalition eher israelfreundlich auf, schien die SPD offener für israelkritische Positionen zu sein. Die Bundesregierung unter Angela Merkel trat teils als kritischer Akteur auf, meist jedoch als treuer Begleiter in der deutsch-israelischen Freundschaft.

Neue Israelpolitik mit der „Ampel“?

Seit Dezember 2021 hat Deutschland eine neue Regierung, die Ampel-Koalition besteht aus SPD, Bündnis 90/Die Grünen und der FDP. „Die Sicherheit Israels ist für uns Staatsräson“, lautet der erste Satz zur Israelpolitik im Koalitionsvertrag. Ebenso wie die Große Koalition verfolgt auch die SPD-geführte Bundesregierung die „Zwei-Staaten-Lösung“. Grundlage sollen hierzu die „Grenzen von 1967“ sein. Diese entsprechen den Waffenstillstandslinien von 1949.

Vereidigung Olaf Scholz Foto: Bundesregierung / Steins
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), hier bei der Vereidigung, will mit seiner Ampel-­Koalition Israelpolitik neu gestalten

Die Ampel-Koalition begrüßt die Normalisierung zwischen arabischen Staaten und Israel. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) erwartet von der palästinensischen Seite Fortschritte bei Demokratie und Menschenrechten. Gewalt gegenüber Israel dürfe es nicht geben. Gleichzeitig nimmt die neue Bundesregierung auch Israel in die Pflicht: Der Siedlungsbau soll gestoppt werden, da dieser völkerrechtswidrig sei. Das Hilfswerk für Palästina-Flüchtlinge UNRWA soll weiter finanziell unterstützt werden. Ein Monitoringprozess soll im Blick behalten, ob es Fehlentwicklungen bei den Palästinensern gibt. Bemerkenswert: Die Koalition macht sich stark „gegen Versuche antisemitisch motivierter Verurteilungen Israels“, auch in den Vereinten Nationen.

Die Israelpolitik verschiebt sich nicht fundamental, allerdings werden Änderungen deutlich. Außenministerin Annalena Baerbock sprach Anfang 2022 bei einer jüdischen Veranstaltung und stellte klar: Deutschland stehe an der Seite Israels. Die neue Regierung wolle die Stimme erheben, wenn unbegründete Kritik am Staat Israel erhoben wird. Ebenso betont Baerbock, dass das Kabinett noch stärker gegen Antisemitismus vorgehen werde. Daran wird sich die Ampel-Koalition messen lassen müssen. Es ist noch ungeklärt, ob Baerbock die Akteurin der Israelpolitik der neuen Bundesregierung wird und welche Rolle Scholz einnimmt. Klar ist: Um Israel kommt die Regierung nicht herum.

Israelnetz Magazin

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