Zusammen mit der Bildungsstätte Dialog in Nachscholim hat Pahnke diese Reise „bis zum letzten Zentimeter“ vorbereitet. Bildungsreisen nach Israel werden von deutschen Behörden großzügig subventioniert, aber für die zehn Rollstuhlfahrer in Elektro- und Faltrollstühlen gab es keinerlei Zuschuss. „Das stimmt nachdenklich“, sagte Pahnke. „Vor zwei Jahren hatte ein MdB versprochen, 50,00 Euro für eine solche Reise zu spenden – das war’s dann aber auch schon.“
Die Flughäfen in Berlin Schönefeld und in Tel Aviv, die Sicherheit, die Hilfsorganisationen und die Fluggesellschaft El Al standen Kopf. Am Airport Schönefeld bewältigten die Sicherheit und die Helfergruppe der „Rollmöpse“ ihre Aufgaben umsichtig, sensibel und komplikationsfrei. „In Tel Aviv hat die Crew uns zwei Flaschen Jordanwein geschenkt, damit wir die Ankunft in Israel richtig feiern könnten“, erzählt Pahnke.
Die Gruppe besuchte Akko, Haifa, das Tote Meer, die Wüste Juda, den See Genezareth und Jerusalem. Entscheidend waren Begegnungen, mit Hannah von Dialog und mit dem Zeitzeugen Schlomo Wolkowicz. Dieser überlebte die Schoah in Ostpolen – heute Ukraine. Einige Rollis äußerten scharfe Kritik an dem eindrücklichen Denkmal für 1,5 Millionen im Holocaust ermordete jüdische Kinder in der Gedenkstätte Lochamei Haghettaot im Norden Israels. Allein der jüdischen Opfer sei gedacht worden. Die Mordherrschaft der Nazis an Behinderten, Schwulen, politischen Gegnern, Sinti und Roma sei völlig ignoriert worden. Uwe und Silke, beide gelernte Historiker – der eine im Rollstuhl, die andere Mitarbeiterin des Hauses der Wannseekonferenz – erklärten: „So wird jungen Israelis ein falsches Bild über die Nazidiktatur vermittelt.“ Andere argumentierten jedoch, dass die ganze Wahrheit über die menschenverachtende Nazidiktatur an anderen Stellen gezeigt werde. Das Kinderdenkmal sei halt den Kindern gewidmet.
Unterschiede zwischen Israel und Deutschland
Bei der Behindertenorganisation „Achwa“ (Geschwisterlichkeit) in Haifa wurden Gemeinsamkeiten und Unterschiede im Umgang mit Behinderten und ihrem Rechtsstatus in Deutschland und Israel deutlich. Die deutschen Behinderten beobachteten mit Erstaunen, wie viele Busse und andere Fahrzeuge in Israel behindertengerecht ausgestattet sind, und wie die Arbeit von Behindertenorganisationen gesponsert wird. „Behinderte sind in erster Linie Menschen mit besonderen Bedürfnissen.“ Dieser israelische Grundsatz sprang wie ein Funke auf die deutsche Gruppe über. Eine Partnergruppe israelischer Behinderter äußerte den Wunsch nach einem Gegenbesuch in Deutschland. Die Organisation und Finanzierung wäre vielleicht möglich, aber die bürokratischen Hürden wären kaum zu überwinden, lautete der Bescheid.
Mordechai Virschubksi, ehemaliger Behindertenbeauftragter der Stadt Tel Aviv und selbst behindert, benannte in aller Offenheit Probleme und Situationen Behinderter in Israel. In Tel Aviv und in anderen Städten Israels führen sie einen zähen Kampf um die Absenkung der Bordsteine – wie in Berlin.
Die Kriegs- oder Terrorversehrten haben allesamt einen besseren Status als „normale Behinderte“. Auch in Israel gibt es ein Assistenz-Programm, von den Versicherungen finanziert, damit Behinderte selbstbestimmt leben können. Günther Gottschalk in Migdal erzählte, wie sich die Wahrnehmung der Rechte von 750.000 behinderten Menschen in Israel entwickelte, immerhin einem Zehntel der Bevölkerung. 1948 hatte man zunächst andere Sorgen, verstand aber bald, dass zur humanen Gestaltung einer Gesellschaft auch ein gleiches Lebensrecht für Behinderte gehöre und Rücksicht auf ihre besonderen Bedürfnisse.
Diskussion über pränatale Diagnostik
Im Gästezelt von Sabha Abu-Ganem in der Beduinenstadt Rahat im Negev schockierte die selbstverständliche Bejahung der pränatalen Diagnostik und der Abtreibung eines Embryo, sowie sich eine Behinderung abzeichnet. Mordechai Virschubski hatte das sogar als gesellschaftlichen Konsens dargestellt. Die deutsche Gruppe war sprachlos. In der Diskussion wurde argumentiert, dass es doch auch Unfälle, Querschnittlähmungen und Krankheiten gebe. Entscheidend sei, wie die Gesellschaft damit umgehe.
Jerusalem entdeckten einige in kleinen Gruppen auf eigene Faust, besuchten das ultraorthodoxe Viertel in Mea Schearim, wurden bestaunt und staunten selber. Andere entdeckten in der Altstadt Wege ohne Stufen. Wieder andere „erklommen“ mit intensiver Hilfe die Via Dolorosa.
Große Probleme gab es vor dem Rückflug auf dem Ben Gurion-Flughafen: „Wie kann man die Sicherheitskontrollen gewährleisten?“ Die Security war zunächst hilfsbereit. Dann aber mussten die Rollstühle kontrolliert, verladen und die Rollstuhlfahrer ins Flugzeug gebracht werden. Die Handgepäckkontrolle war extrem unangenehm, besonders für die Rollis. Die Kontrolleure waren den Herausforderungen nicht gewachsen. Bärbel hatte als Schwerbehinderte eine Kratzhand dabei, mit der sie manche Dinge tun kann und sich kratzt, wenn es juckt. Die Kratzhand wurde zum „Sicherheitsrisiko“ erklärt. Sie wurde durchleuchtet. „Erst als ich laut wurde, bewegte sich der einzige Verantwortliche unter 10 bis 15 Sicherheitsbeamten und erlaubte Bärbel per Handzeichen, die Sperre zu passieren“, berichtet Pahnke.
Die Israelis hatten vor dem Verladen der Rollstühle nicht gefragt, wie die Batterien abzuklemmen seien. Vom Flugzeug aus beobachteten wir, wie ein Rollstuhl auf den Boden gekippt wurde. Der Totalschaden belief sich auf fast 3.000 Euro.